Women on WebGegen die Unsichtbarkeit im Netz

Viele ungewollt Schwangere suchen zuerst online nach Rat, bevor sie sich jemandem öffnen. Telemedizinische Organisationen beraten nicht nur, sie helfen auch konkret. Doch staatliche Zensur und große Suchmaschinen drängen ihre Angebote immer weiter ins Abseits.

im Hintergrund: auf dem Bildschirm die Seite einer Suchmaschine, zu sehen ein Bild mit weißen Tabletten daneben die Lupe als Symbol für die Websuche, darüber ein Verbotszeichen; im Vordergrund: eine Hand, die eine Lupe hält
Seit gut fünf Jahren ist die Website von Women on Web über Suchmaschinen schwer zu finden. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Lupe: IMAGO/Hanno Bode; Tabletten: womenonweb.org; Bearbeitung: netzpolitik.org

Erst im Februar scheiterte ein Gesetzesvorhaben im Bundestag, mit dem Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf Wochen entkriminalisiert worden wären. Mehr als 300 Abgeordnete setzten sich dafür ein. Am Ende fehlte die Unterstützung von Union und FDP.

In Deutschland gilt der Schwangerschaftsabbruch damit weiterhin als Straftat, geregelt im Strafgesetzbuch direkt hinter Mord und Totschlag. Der Abbruch bleibt straffrei, solange er innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen erfolgt; auch bei sexualisierter Gewalt oder wenn die Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist. Angst vor Stigmatisierung oder eine schlechte Versorgungslage vor Ort können Menschen trotzdem daran hindern, sich zu informieren und selbstbestimmt zu entscheiden.

Pillen per Post

Umso wichtiger werden telemedizinische Hilfsangebote wie das der kanadischen Organisation Women on Web (WoW). Die Organisation bietet medizinische Online-Beratungen und vermittelt schwangere Menschen mit Ärzt*innen und Apotheken, die Abtreibungspillen kommen dann per Post – ein Set aus zwei Tabletten, Mifepriston und Misoprostol. Damit können Betroffene den Abbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft selbst durchführen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dieses Verfahren und Hilfsangebote wie das von WoW 2017 als sicher eingestuft.

WoW hilft vor allem Menschen in Ländern mit einer schlechten Versorgung, wie Nordirland, in Staaten mit besonders restriktiven Gesetzen, wie den Vereinigten Staaten und Polen, oder Ländern, in denen Abbrüche komplett verboten sind, wie Ägypten oder Irak. Das Ziel: Ungewollt Schwangere sollen selbst über ihren Körper bestimmen können. Der UN-Menschenrechtsrat bezeichnet das Recht, über eine Schwangerschaft zu entscheiden, als „Kernstück des Grundrechts auf Gleichheit, Privatsphäre und körperliche und geistige Unversehrtheit“ und als Voraussetzung für andere Rechte und Freiheiten.

Mit ihrer Arbeit muss sich WoW jedoch regelmäßig gegen die Zensur ihrer Online-Präsenz durch Staaten wehren. Und auch Tech-Konzerne drängen die Organisation im Netz in die Unsichtbarkeit.

Staaten blocken Website

So veranlasste die spanische Regierung Anfang 2020 eine Netzsperre für die Website womenonweb.org. Die Begründung: Die NGO dürfe die Pillen in Spanien nicht vermarkten, das dürften nur Ärzt:innen.

Die internationale Frauenrechtsorganisation Women’s Link unterstützte WoW im folgenden Rechtsstreit, um die Sperrung der Website anzufechten. Sie forderten außerdem, das Recht auf Informationen über sexuelle und reproduktive Gesundheitsdienste anzuerkennen. Im Oktober 2022 urteilte schließlich Spaniens Oberster Gerichtshof, dass das Sperren gegen die Meinungsfreiheit und Freiheit auf Information verstoßen habe.

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Auch in den USA wird eine Zensur der Website immer wahrscheinlicher. Daher baue WoW die Hauptwebsite um, erklärt Hannes Jaacks, der bei WoW für Suchmaschinenoptimierung zuständig ist. Im Notfall könne sie schnell im Ganzen oder teilweise auf neuen Domains reproduziert werden.

Nicht nur in Spanien, auch in anderen Ländern betreibt WoW zudem mehrere Websites in der jeweiligen Landessprache. Dazu zählt die spanische Unterseite comoabortar.org (übersetzt „wie abtreiben?“). Darüber können Nutzer:innen an Informationen kommen, wenn die Hauptwebsite nicht verfügbar ist. Trotz der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist die Unterseite in Spanien allerdings bis heute nicht zu erreichen.

Um Nutzer:innen mit Informationen zu versorgen, verfolgt WoW noch eine weitere Strategie, wenn Länder wie Südkorea oder der Iran die Website blocken. So enthalten bereits die Snippets, die Google bei einer Suche als Vorschau anzeigt, die wichtigsten Kerninformationen.

Herabgestuft

Was aber, wenn die Websites von WoW in der Trefferliste der großen Suchmaschinen erst nach langem Scrollen zu finden sind? Neben Microsofts Suchmaschine Bing beeinflusst Google wesentlich, welche Seiten Menschen auf der Suche nach Informationen im Web finden. Denn wie die Suchergebnisse auf der Trefferliste angeordnet sind, ist kein Zufall. Zwar gilt der Grundsatz der Suchneutralität. Danach sind redaktionelle Eingriffe der Suchmaschinen in die Ergebnisse nur erlaubt, um Ergebnisse auszuschließen, die parteiisch, lückenhaft oder irrelevant sind.

Doch die Plattformen können letztlich selbst entscheiden, welche Kriterien sie für die Sortierung der Suchergebnisse ansetzen. Sie passen ihre Algorithmen an und stufen Websites herab, die dem Hausrecht widersprechen. In der Regel wollen sie damit verhindern, falsche oder irreführende Informationen weiterzuverbreiten.

Tauchen Websites erst weiter unten in der Trefferliste auf, etwa auf Seite 5 oder 13, wird es für Nutzer:innen immer schwerer sie zu finden. Denn Nutzer:innen vertrauen häufig auf die Ergebnisse der Suchmaschinen und klicken zumeist auf den ersten Treffer. „Laut Studien landen über die Hälfte der Klicks auf den ersten drei Positionen der Ergebnisansicht. Nur 0,6 Prozent der Suchenden navigieren auf die zweite Seite“, so Hannes Jaacks von WoW.

Im Gespräch mit netzpolitik.org erklärt er, wie Google und Microsofts Suchmachine Bing die Website im Ranking herabgestuft hätten. So soll Bing laut Angaben von WoW Filter für Inhalte zum Begriff „abortion“ („Abtreibung“) genutzt haben. Demnach schränkte Bing die Möglichkeiten ein, Pillen online zu beziehen, indem zentrale internationale Abtreibungsquellen ausgeblendet wurden. Sei der Begriff hingegen mit Tippfehlern eingegeben worden, sei der Filter wirkungslos gewesen. Microsoft hat sich auf Anfrage nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Grafik zu Zugriffszahlen der Website womenonweb.org; ein starker Einbruch ab März 2020
Zugriffszahlen von womenonweb.org via Google - Alle Rechte vorbehalten Privat

Im Fall von Google vermutet WoW aufgrund der Zugriffszahlen auf womenonweb.org, dass die Suchmaschine die Website abgewertet habe. Lagen die Zahlen vor der Pandemie zeitweise deutlich über 2,5 Millionen, fielen sie ab März 2020 stets ab auf deutlich unter 500.000. Im Jahr 2024 lagen sie schließlich unter 100.000.

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Auf Anfrage erklärt Google, dass der Abfall der Zahlen nicht notwendigerweise darauf hindeutet, dass Google die Seite für irrelevant hält oder explizit herabstuft. Es könnten sich auch die Interessen von Nutzer:innen oder Inhalte auf der Website verändert haben. Das Unternehmen betreibe ein Ranking-System, das Nutzer:innen die zuverlässigsten Informationen anzeigen soll und dabei nicht darauf ausgerichtet sei, eine bestimmte Website zu fördern oder abzuwerten.

Was hält Google für vertrauenswürdig?

Grundlegend für die Sortierung der Google-Suchergebnisse ist der PageRank-Algorithmus, ein Grundsystem, das die Suchmaschine 1998 ins Leben rief. Seither hat Google den Algorithmus mehrfach angepasst. Google informiere Website-Inhaber über Aktualisierungen des Algorithmus und gebe Tipps, wie sie ihre Website entsprechend anpassen können, so der Konzern auf Anfrage. Nach welchen Kriterien genau und mit welchen Algorithmen Google Inhalte einstuft, kommuniziert das Unternehmen allerdings nicht transparent.

So gab es 2018 ein umfassendes Update des Kernalgorithmus. Dabei wurde das Prinzip „Your money or your life“ (YMYL) etabliert: besonders Seiten zu Finanz- und Gesundheitsthemen will Google prüfen. Hier sei es besonders wichtig, vertrauenswürdige Informationen und Fachwissen zu vermitteln, so das Unternehmen.

Tatsächlich verlässt sich Google dabei vor allem auf offizielle Quellen: unter anderem etablierte Medien, Universitäten, Krankenhäuser. Erwähnt eine offizielle Quelle wie die WHO eine Organisation oder verlinkt auf eine andere Website, wirkt sich das positiv auf die Vertrauenswürdigkeit aus. Wie ein Leak von 2024 zeigt, optimiert Google die Suchergebnisse anhand von Nutzer:innen-Daten und Klicks auf verlinkte Quellen.

Man kann nur spekulieren

Demnach müssten Nutzer:innen die Website von WoW über Google leicht finden können. Erwähnungen in etablierten Medien wie Guardian und Verlinkungen bei Gesundheitsdiensten wie der staatlich finanzierten Organisation Planned Parenthood in den USA müssten eigentlich einen positiven Effekt auf die Vertrauenswürdigkeit und damit das Ranking haben. Es bleibt also die Frage, was hinter dem niedrigen Ranking der Website steckt.

An den rechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes scheint sich Google nicht zu orientieren, so jedenfalls die Vermutung von Hannes Jaacks. Er erklärt: „Tatsächlich basiert ein erfolgreicher Anti-Zensur-Kniff auf dieser Annahme: Staatliche Zensur findet gegen uns bisher immer auf den DNS-Servern der Anbieter im jeweiligen Land statt. Der aus den USA crawlende Googlebot ist davon nie betroffen.“

Denn Googlebot operiert meist von Rechenzentren in den USA und verwendet die dortige DNS-Infrastruktur. Diesen Umstand kann sich WoW zunutze machen. „Wir ziehen die Inhalte von betroffenen Domains mit Googles ‚Werkzeug zur Adressänderung‘ auf neue Domains um. Nach einer gewissen Zeit ist der Traffic wiederhergestellt.“ Bei diesem Vorgehen wird Google darüber informiert, dass sich die Inhalte dauerhaft unter einer neuen Webadresse befinden. Da der Googlebot über nicht-zensierte DNS-Server crawlt, wird die neue Domain ebenso zuverlässig erfasst wie die vorherige – unabhängig davon, ob sie im jeweiligen Land blockiert ist.

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3 Ergänzungen

  1. Und dennoch ist es so, dass SEO-Parasiten, uhm, Werbeagenturen, Freelancer, Webseitenbetreiber, Entwickler von Spielen uvm. Google immer weiter füttern und für die Suchmaschine optimieren, deren Tracker und Analyse,- und Monetarisierungsdienste nutzen.

    Ergo? Ein hausgemachtes Problem und fast jeder steckt mit drin, dank unflexiblem Geschäftsmodell und der Faulheit Alternativen zu suchen.

    Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich eigentlich (fast) alles in der Hand von der Microsoft Corporation und Google, LLC befindet

    WIKI Übersicht der Suchmaschinen:
    https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_search_engines

    oder anders formuliert in größtenteils amerikanischer Hand mitsamt deren moralischen und ethischen Wertvorstellungen die anderen Ländern aufgedrückt werden. Und wenn nicht direkt, wird auf die Infrastruktur zurückgegriffen wie Azure, AWS oder Google Compute.

    Leider betrifft das nicht nur die angesprochene Zensur, sondern viele Bereiche des (nicht amerikanischen Lebens) auf diesem Planeten.

    Das Internet ist kaputt. Auf der einen Seite BigTech Unternehmen, auf der anderen stehen Rechteverwerter, Werbeindustrie und die Politik in der anderen Ecke. Die Anwender? Irgendwo als Spielball dazwischen.

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