Erstmalig öffentliche StatistikTaser-Einsätze nehmen deutlich zu

Nach einer Informationsfreiheitsanfrage sind Zahlen sämtlicher Taser-Einsätze der Polizei in Deutschland bekannt. Sehr oft erfolgen diese ohne Gewaltbereitschaft der Betroffenen, oft gegen psychisch Erkrankte. In vielen weiteren Fällen werden Einsätze nur angedroht.

Polizistin zielt mit einem gelben Taser auf ein unsichtbares Ziel
Viele Landespolizeien haben mittlerweile Taser eingeführt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Tim Oelbermann

Die Polizeien der Länder und des Bundes lösen immer öfter Taser aus. Von 2021 bis 2023 haben sich diese Zahlen auf insgesamt 1.171 Einsätze mehr als verdoppelt. Das zeigen offizielle Statistiken, die von der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/Cilip diese Woche erstmals veröffentlicht wurden. Längst nicht alle Einsätze dieser „Distanz-Elektroimpulsgeräte“ (DEIG) erfolgen zur Abwehr einer Gefahr für Leib und Leben: Den Dokumentationen zufolge waren die Betroffenen im vergangenen Jahr in 662 Fällen unbewaffnet.

Taser schießen mit hohem Gasdruck zwei Elektroden ab, die an Drähten befestigt sind und sich unter die Haut bohren. Sofern beide Pfeile treffen, ruft ein Stromimpuls von bis zu 50.000 Volt eine Muskelverkrampfung bei dem Opfer hervor. Im „Kontaktmodus“ wird der Taser ohne Abschuss der Pfeile direkt an den Körper der Zielperson gehalten. Risikolos ist die angeblich „nicht-tödliche Waffe“ auch aus Polizeisicht nicht: bei Älteren, Schwangeren und Menschen mit gesundheitlichen Problemen soll sie nicht eingesetzt werden.

Nur Auslösen der Waffe gezählt

Die „Angaben zu den DEIG-Einsätzen aufgeschlüsselt nach Bund und Ländern“ werden seit 2020 vom Polizeitechnischen Institut der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster (DHPol) in den Bundesländern und der Bundespolizei abgefragt und zusammengeführt. Den Auftrag dafür erteilte 2018 die Innenministerkonferenz.

Dokumentiert wird in den offiziellen Statistiken nur das Auslösen der Waffe – die Zahl von Androhungen des Tasereinsatzes ohne anschließendes Abschießen der Pfeile lag etwa in NRW im Jahr 2023 um den Faktor 3 höher. Das ergab eine Abfrage des „nd“ für die Jahre 2023 und 2024.

In diesen Fällen genügte die Androhung von Schüssen. Für die Einschüchterung sorgt dazu ein Lichtbogen zwischen den Elektroden des Tasers sowie ein Laser, mit dem auf die Person gezielt wird.

Diagramm, das Tasereinsätze aufgeschlüsselt nach "erfolgreich" und "Person bewaffnet" zeigt.

Stetige Zunahme im Streifendienst

Bis weit in die Zehnerjahre wurden Taser nur bei Spezialeinheiten (SEK) aller deutschen Polizeien sowie dem Zoll genutzt. Die Zahlen dieser Einsätze liegen jährlich im oberen zweistelligen Bereich und bleiben weitgehend konstant. Häufig handelt es sich dabei um Suizide, zu deren Verhinderung die SEKs auch gerufen werden.

Eine deutliche Zunahme verzeichnen indes die Einsätze von Tasern im Streifendienst. Seit 2018 haben die Hälfte aller Bundesländer die Geräte eingeführt – in der Reihenfolge der Häufigkeit von Einsätzen sind dies Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Bayern, Schleswig-Holstein, Bremen und Saarland. Seit letztem Jahr werden sie auch in Hessen beschafft.

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Mehrere weitere Landesregierungen erwägen die Beschaffung und testen die Geräte in Pilotprojekten an ausgewählten Direktionen. 2023 waren dies Berlin, Hamburg, Hessen und die Bundespolizei. Laut der Übersicht gab es 2023 auch in Schleswig-Holstein, das Taser bereits im Streifendienst nutzt, noch ein Pilotprojekt.

Erstmals Einsatzumstände erfasst

Die Taser-Statistik ähnelt jener zu „Fällen von polizeilichem Schusswaffengebrauch“, die seit 1984 ebenfalls von der Polizeihochschule geführt wird. Zu Taser-Einsätzen werden aber deutlich mehr Angaben gesammelt, darunter etwa Alter, Geschlecht und Alkohol- oder Drogenkonsum der betroffenen Person. Dies kann helfen, die Maßnahmen in einem Gerichtsverfahren oder für die Polizeiforschung zu bewerten.

Die DHPol dokumentiert in der jährlichen Statistik außerdem Verletzungen der getaserten Personen – diese kommen in fast der Hälfte aller Fälle vor. Meist handelt es sich dabei um oberflächliche Hautverletzungen durch die Pfeile oder Verbrennungen durch die Elektroden. In einer höheren zweistelligen Zahl von Fällen verletzten sich Menschen nach Eintreten der Muskelverkrampfung durch Stürze.

Ebenfalls erwähnt wird in der Statistik, ob anschließend eine medizinische Versorgung notwendig war. In 229 Fällen wurden die Menschen im Jahr 2023 ambulant behandelt, mehrere Dutzend Mal aber auch stationär aufgenommen. Offenbar wird die Waffe oft gegen psychisch Erkrankte gezogen: Ein gutes Fünftel aller Taser-Opfer (254 Personen) wurde als freiheitsentziehende Maßnahme gemäß den „Psychisch-Kranken-Gesetzen“ der Bundesländer in psychiatrische Einrichtungen gebracht.

Keine Spalte für Todesfälle

Sowohl die Statistik zum Schusswaffengebrauch als auch die zu Tasern werden von der Polizeihochschule zuerst den Innenminister:innen bei ihrem Sommertreffen im Juni des Folgejahres vorgelegt. Anschließend kann die Herausgabe angefragt werden. Die Listen zu Tasern waren bislang allerdings nicht zur Veröffentlichung freigegeben – diesen Beschluss konnte die Zeitschrift Cilip nun erreichen.

Eine Spalte für Tote nach Taser-Einsätzen existiert in den Statistiken nicht – denn nach offizieller Lesart gibt es diese nicht. Die Cilip dokumentiert seit 2018 aber elf Taser-Todesfälle. Als offizielle Todesursache wurden Herzprobleme, Drogen- oder Alkoholkonsum sowie psychische Ausnahmesituationen angegeben. Meist – aber nicht immer – wurde jeder Zusammenhang mit dem Taser ausgeschlossen.

Zuletzt wurde am Mittwoch ein 67-jähriger, angeblich „polizeibekannter“ Mann von der Polizei in Wuppertal beinahe tödlich getasert. Der Vorfall ereignete sich, nachdem die Polizei wegen eines Streits in der Fußgängerzone alarmiert worden war. Der Mann soll ein Messer bei sich geführt haben. „Im Rahmen des polizeilichen Einsatzes“ sei er laut Staatsanwaltschaft „reanimationspflichtig“ geworden.

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7 Ergänzungen

  1. „reanimationspflichtig“ heißt, die Person wurde durch den Taser getötet und hernach vlt. oder auch nicht durch Rettungskräfte wiederbelebt. Taser sind akut lebensgefährlich, wenn sie auf den Oberkörper gerichtet werden. Die Trefferquote ist allerdings bei anderen Körperteilen eher gering. Die Statistik zeigt, daß mehr als die Hälfte der Personen, auf die die Taserwaffe gerichtet wurde, unbewaffnet waren. Offenbar senkt der Taser die Hemmungen der Polizei, die latent tödliche Waffe abzufeuern. Wie können denn die Einsatzkräfte überhaupt erkennen, ob das Opfer ggf. Herz-/Kreislaufprobleme hat, was die Lebensgefahr bei Tasereinsatz signifikant erhöht? Diese Waffe ist ggf. genauso letal wie eine Schußwaffe und jeder Einsatz müßte eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung nach sich ziehen.

    1. „Unbewaffnet“ heisst nicht „ungefährlich“. Jemand aggressives unter Drogen oder im psychischen Ausnahmezustand ist idR nur mit massivem Gewalteinsatz unter Kontrolle zu bringen, da ist der Taster uU das mildere Mittel.

  2. Es fehlen natuerlich Angaben zur Verbreitung von Tasern, mit denen man die gestiegene Anzahl der Einsaetze dann korrelieren muesste, um eine sinnvolle Aussage treffen zu koennen.

    Ansonsten sollte relativ einfach verstaendlich sein, dass Polizisten eine Person im psychischen Ausnahmezustand lieber mit einer Distanzwaffe angehen als im direkten Nahkampf. Gleichzeitig kann man die idR nich einfach laufen lassen, sowohl aus Selbst- wie aus Drittgefaehrung. Der Autor koennte sich dazu mal mit Pflegekraeften entsprechender Einrichtungen unterhalten.

  3. Zum Eigenschutz müsste man ne dicke Lederjacke anziehen. Oder nen Motorradanzug. Da kommen die Pfeile nämlich nicht durch….

    1. Bauernschlau in Lederkleidung bedroht Polizeibeamte.
      Was macht diese, wenn Teaser keine Wirkung entfalten kann?
      Danach ist Bauernschlau möglicherweise tot.

    2. Womit die Polizei sich in einer entsprechenden Situation zwischen Schlagstock und Schusswaffe entscheiden muss. Ersteres geht nur bei hinreichend geringer Gefährdung im Nahbereich und hat dann gute Chancen zumindest auf Knochenbrüche oder Gehirnerschütterung. Viel Spaß.

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