Cybercrime-KonventionMenschenrechtsverletzungen über Grenzen hinweg

Die UN-Cybercrime-Konvention wurde am Wochenende symbolisch unterzeichnet. Deutschland hat seine Unterschrift nicht unter den Vertrag gesetzt, die Vereinigten Staaten ebenfalls nicht. Internationale Menschenrechts- und Digitalrechte-Organisationen lehnen das Abkommen weiterhin ab und fordern die Staaten auf, es nicht zu ratifizieren.

UN-Generalsekretär António Guterres auf der Zeremonie in Hanoi.
UN-Generalsekretär António Guterres (Mitte vorn) mit internationalen Delegierten auf der Unterzeichnungszeremonie in Hanoi am 25. Oktober. – Alle Rechte vorbehalten United Nations Office on Drugs and Crime

Die UN-Cybercrime-Konvention wurde am Samstag in Hanoi symbolisch unterzeichnet. UN-Generalsekretär António Guterres gab sich die Ehre: In einer feierlichen Zeremonie in der vietnamesischen Hauptstadt wurde der internationale Vertrag mit den Unterschriften der Staaten versehen, die damit das politische Signal geben, die Konvention unterstützen zu wollen.

Rechtlich verbindlich ist das nicht. Denn erst durch eine Ratifikation können die jeweiligen nationalen Parlamente einer Konvention Geltung verschaffen. Für die Cybercrime-Konvention sind dafür mindestens vierzig Ratifikationen notwendig. Neunzig Tage danach tritt sie in Kraft. Dass Parlamente in vierzig Staaten zustimmen, ist schon wegen der zahlreichen Unterschriften in Hanoi sehr wahrscheinlich, aber der Zeitpunkt des Inkrafttretens hängt von den verschiedenen parlamentarischen Gepflogenheiten in den Ländern ab.

Europa uneins

Deutschland hat bei der Unterzeichnungszeremonie in Hanoi seine Unterschrift nicht auf den Vertrag gesetzt, plant das aber dem Vernehmen nach in der Zukunft. Die Frage ist jedoch, wann dieser Zeitpunkt kommen wird, denn ob ein Staat nach Monaten, Jahren oder Jahrzehnten ratifiziert, ist ihm selbst überlassen. Die Europäische Union war aber unter den Unterzeichnern, was als politisches Signal bedeutsam ist. Der konservative ÖVP-Politiker und EU-Kommissar für Inneres und Migration Magnus Brunner nannte das Abkommen einen „Meilenstein“, der die weltweite Zusammenarbeit im Kampf gegen Cyberkriminalität stärke.

Die EU-Kommission teilte heute in einer Pressemeldung mit, dass der Kampf gegen Cyberkriminalität für die EU eine Priorität sei und der UN-Vertrag die Fähigkeit der EU verbessere, international gegen solche Verbrechen vorzugehen. Nach der Unterzeichnung wird nun der EU-Rat über das Abkommen beraten und über den Abschluss entscheiden, wozu auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich wäre.

Die europäischen Staaten, die in Hanoi unterzeichnet haben und damit ein Signal setzen, die Konvention ratifizieren zu wollen, sind nach Informationen von netzpolitik.org die Slowakei, Österreich, Belgien, Tschechien, Frankreich, Griechenland, Irland, Luxemburg, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Schweden als EU-Mitgliedsstaaten sowie das Vereinigte Königreich. Europa ist sich also uneins, denn viele kleinere Staaten und einige große Staaten wie eben Deutschland oder Italien, aber auch die Niederlande oder Nicht-EU-Mitglied Schweiz fehlen auf der Unterzeichnerliste.

72 Unterzeichner-Staaten

Nicht überraschend: China und Russland sind als langjährige Unterstützer auf der Liste der insgesamt 72 Unterzeichner-Staaten. Russland hatte den UN-Vertrag vor Jahren sogar initiiert.

Die Vereinigten Staaten hingegen haben nicht unterschrieben. Ohne eine US-Beteiligung wäre die UN-Konvention aber ein weitaus weniger wirksames Abkommen. Ob sie den Vertrag ratifizieren und damit auch einwilligen, Daten nach den Maßgaben der Konvention herauszugeben, bleibt eine offene Frage.

Denn darum geht es in dem UN-Vertrag im Kern: Daten. Im Kampf gegen das organisierte Verbrechen und eine nur vage definierte „Computerkriminalität“ werden durch den Vertrag nämlich weitreichende Überwachungsmaßnahmen und Kooperationen beim Austausch von Daten vorgeschrieben. Die umfangreichen Datensammlungen und die internationalen Datenzugriffsmöglichkeiten werden vor allem kritisiert, weil längst nicht in allen Staaten hinreichende Menschenrechtsstandards und rechtliche Schutzmaßnahmen existieren, die Missbrauch verhindern oder zumindest aufdecken könnten. Unabhängige Gerichte, Datenschutzgarantien oder auch nur Verhältnismäßigkeitsprüfungen sind zwar in vielen Demokratien etabliert, aber eben keine weltweiten Standards.

David Kaye, der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, nannte den UN-Vertrag vor der Abstimmung in der UN-Generalversammlung im Dezember letzten Jahres „äußerst mangelhaft, sowohl in seiner Formulierung als auch in seiner Substanz“. Es sei für ihn und für viele Beobachter „schockierend, dass demokratische Staaten ihn unterstützen“ würden.

„Der Vertrag soll einen umfassenden Zugang zu Daten schaffen“

Alarmierend breite Zustimmung

Die internationalen Menschenrechts- und Digitalrechte-Organisationen, die das Zustandekommen des UN-Vertrages fünf Jahre kritisch begleitet haben, äußern sich in einem gemeinsamen Statement weiterhin ablehnend zu dem Abkommen.

Sie rufen die Staaten auf, von der Ratifikation abzusehen, um den Vertrag nicht in Kraft treten zu lassen. Sie erwarten von allen die Menschenrechte achtenden Staaten, ihre Unterstützung des UN-Abkommens zumindest solange zurückzuhalten, bis garantiert ist, dass alle Unterzeichnerstaaten der Konvention wirksame Schutzmaßnahmen und rechtliche Garantien umsetzen. Nur so könnten Menschenrechtsverletzungen in der Praxis verhindert werden.

Die 16 unterzeichnenden Organisationen, darunter Human Rights Watch, die Electronic Frontier Foundation, Privacy International, epicenter.works und Access Now, drücken nochmals ihre tiefe Besorgnis über die UN-Cybercrime-Konvention aus, weil sie „grenzüberschreitende Menschenrechtsverletzungen begünstigen“ würde. Die Konvention enthalte keine ausreichenden Menschenrechtsschutzbestimmungen, die sicherzustellen würden, dass die Bemühungen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität auch mit einen angemessenen Schutz der Menschenrechte einhergehen. Wichtige Rechtsgrundsätze seien nicht genügend vorgeschrieben worden.

Cybercrime

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Auch Tanja Fachathaler, die zusammen mit anderen Organisationen für die österreichische Digital-NGO epicenter.works jahrelang die Verhandlungen begleitete, äußert sich gegenüber netzpolitik.org weiterhin ablehnend. Dass so viele Staaten nun symbolisch unterzeichnet hätten, sei besorgniserregend:

Die breite Zustimmung der Staaten zur Cybercrime-Konvention in Hanoi ist alarmierend. Wir halten an unserer Kritik an dem Vertrag fest: Durch seine teils fehlenden, teils lückenhaften Sicherheitsbestimmungen öffnet er das Tor zu Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch der Kooperationsmechanismen, die im Vertrag geschaffen werden.

Die „Verfolgung kritischer Stimmen“ sei eine „reale Gefahr“, die durch die Konvention noch verstärkt werden könnte. Die politische Opposition, aber auch Medienvertreter und IT-Sicherheitsexperten seien von den Regelungen des Abkommens bedroht. Sollte es trotzdem in Kraft treten, fordert Fachathaler gegenüber netzpolitik.org, dass es „dringend geboten“ sei, „dass die Anwendung der Bestimmungen im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards“ stehe. Es sei zudem „essentiell, die Zivilgesellschaft in die Implementierung des Vertrags einzubinden“.

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3 Ergänzungen

  1. “ Die Europäische Union war aber unter den Unterzeichnern, was als politisches Signal bedeutsam ist.“.
    Und was für ein Signal das ist:

    1. Damit haben die EU-Politiker neben Dingen wie der Chatkontrolle und ihrer Going-dark-Initiative einmal mehr klar und deutlich gemacht, dass sie letzendlich genauso wenig von Grund- und Menschenrechten halten, wie die Staaten, bei denen sie absurderweise genau das verurteilen.
    Die ständigen Reden von Demokratie und das Verurteilen von Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen passieren, wirken nach diesem Signal auf mich wie blanker Hohn.
    Denn letzendlich brechen durch dieses Abkommen für Diktatoren und alle, die es werden wollen, goldene Zeiten an, bei den Möglichkeiten, die sich dadurch vermutlich bieten werden.

    2. Zudem muss man sich das mal vor Augen führen:
    Das Abkommen wurde 2017 von Russland vorgeschlagen. Dasselbe Russland, gegen das die EU dauernd Sanktionen ausgesprochen hat bzw ausspricht und gegen das sie jetzt seit dem Ukraine-Krieg eifrig Munition liefert.
    Wenn es also wieder mal um Überwachung und den Abbau von Menschenrechten geht, scheinen unter den Politikern von Ländern wohl auf einmal – zumindest zeitweise – alle Feindschaften vergessen.
    Da scheinen für die wohl die Bürger die größeren Feinde zu sein…

    Hoffentlich bleiben wenigstens die vereinigten Staaten standhaft und unterschreiben nicht. Aber bei Trump weiß man nie so genau.

    1. Trump müsste doch was hergeben, am Ende auch noch Informationen über irgendwelche seiner Freunde – oder denen, die er gerade Freunde nennt. Da wäre ich bei Biden nicht so sicher gewesen.

      Aber sicher ist: Unsere „Sicherheitsbefürworter“ sind genau die, die den inneren Spagat schaffen von „Dauerüberwachung aller“ zu einem „Wir schauen doch nur auf die bösen Leute“ – ohne zu merken, dass damit gar kein Unterschied mehr zwischen „allen“ und „die Bösen“ gemacht wird. Und dabei auch nicht im Geringsten mitbekommen, dass der Abstand zwischen ihnem Verhalten und dem in China oder Russland bis auf Null schrumpft.

      1. Was kümmern uns Faschismus und seine Entwicklungswege. Autoritarismus und Führerkult, völlig losgelöste Sachen, nett auf dem Bildschirm, wenn der Führer es doch sagt.

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