Eskalation in Gaming-CommunitysMorddrohung als Reflex

In der Gaming-Welt werden Morddrohungen teilweise leichtfertig ausgesprochen. Genauso werden lange Hasstiraden geteilt, die sich um vermeintliche Kleinigkeiten drehen. Warum ist das so? Und wie sollten wir dem begegnen?

Frontal aufgenommenes schwarz-weiß-Foto eines Mannes, der wütend schreit.
Warum schaukeln sich hasserfüllte Kommentare und Drohungen in manchen Communitys so schnell hoch? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Alessandro Bellone

„Ich habe eine sehr konkrete Morddrohung bekommen.“ Diese Zeilen einer befreundeten Journalistin finde ich eines Tages in meinem Posteingang. Anlass für diese Nachricht war eine Reportage über prominente Streamer und ihre Beziehung zu den Fans. Ein Text, der für heftige Reaktionen sorgte – und eben eine Morddrohung.

Nichts, was diese Kollegin gewohnt ist, obwohl sie seit Jahren über Themen schreibt, die gemeinhin als noch brisanter und gesellschaftlich noch relevanter angesehen werden als Livestreaming-Kultur: Russlandpolitik, Migrationspolitik, diese Dinge. Morddrohungen erhielt sie bisher nie.

Ist das ein Zufall? Oder ist das Eskalationspotential in der Welt des Gamings und insbesondere in der Beziehung zwischen Streamern und ihren Zuschauern außerordentlich explosiv? Woran könnte das liegen? Diesen Fragen bin ich nachgegangen und sprach mit Psychologen, Streamerinnen und Hass-Betroffenen über ihre Perspektiven und Erfahrungen.

Wenn der Kommentarbereich brennt

„Ich habe sowohl als freie Redakteurin Anfang der 2010er Jahre als auch jetzt als Content Creator immer wieder Erfahrungen mit wütenden Gamern gemacht“, schreibt mir Sandra Friedrichs. Sie hat lange Zeit als PR-Expertin in der Spielebranche gearbeitet und wurde vergangenes Jahr zur Vize Miss Germany gekürt – eine Auszeichnung, die sie auch für ihr Engagement für Themen rund um Mental Health im Gaming erhielt. Heute produziert sie regelmäßig persönliche Videos, Ausschnitte aus ihrem Leben und Videos rund um die Lebenssimulation Die Sims.

„Entweder wurde mein Aussehen beleidigt, weil ich in deren Augen zu hässlich, zu viel geschminkt – oder weil ich keine ‚ebenbürtige‘ Gamerin sei. Das ging auch in regelrechte Hasstiraden über, bei denen sich die Kommentatoren in Rage geschrieben haben.“ Für Sandra Friedrichs waren diese Erfahrungen belastend und vor allem die ausführlichen Hassnachrichten, die unter ihren Videos vielfach auftauchen, treffen sie sehr.

Friedrichs Erfahrungen teilen viele Menschen, insbesondere auch Frauen, die in der Gaming-Öffentlichkeit stehen und die ihrer spielerischen Leistungen oder auch einfach nur ihrer Stimme wegen mit Hassnachrichten konfrontiert werden. Erfahrungsberichte wie diese sind seit über einem Jahrzehnt fester Teil der täglichen Berichterstattung rund um Spielkultur und seit noch viel längerer Zeit ein hartnäckiges Problem der Spielkultur selbst.

Extrem hohe Identifikation mit dem Hobby

Unterkriegen lassen will sich Friedrich davon trotzdem nicht: „Auf keinen Fall lasse ich zu, dass diese Menschen noch mehr Einfluss auf mich haben als diese kurzen Momente der Ohnmacht. Ich mache meine Arbeit unbeirrt weiter und kläre darüber auf, wie engstirnig viele solcher Kommentare sind.“

Immer wieder fragt sich Friedrichs, was diese heftigen Reaktionen einiger Zuschauer provoziert, die zu langen Hassnachrichten und -kommentaren führen. Einer ihrer Erklärungsansätze: der extrem hohe Grad der Identifikation dieser Menschen mit ihrem Hobby.

„Ich bin keine Psychologin, aber ich kann mir vorstellen, dass diese Kommentatoren ihr ‚Selbst‘ mit ihrer Beziehung zu diesem Hobby gleichsetzen”, sagt sie. “Wenn sich nun andere ebenso wie sie als ‚Gamer‘ bezeichnen, könnten sie sich bedroht fühlen oder als würde ihnen jemand etwas wegnehmen wollen.“

Ein gut erforschtes Phänomen

Auch Dr. Benjamin Strobel kennt diesen Erklärungsansatz. Der Psychologe beschäftigt sich vor allem mit der Dynamik von Gaming-Communitys und ist ebenso wie Sandra Friedrichs mit dem Phänomen der Hasskommentare als Reaktion auf Berichterstattung, Livestreams – oder einfach nur ein Sims-Video – vertraut.

„Tatsächlich kann dieses Verhalten mit hoher Identifikation zu tun haben“, bestätigt Strobel. „Darauf deuten zumindest auch Ergebnisse einer Studie der Psychologin Rachel Kowert und ihren Kollegen hin. Sie fanden heraus, dass eine hohe Identifikation mit Gaming-Kultur auch mit mehr toxischen Verhaltensweisen verbunden ist.“

Die Erklärung für diesen Zusammenhang liegt in einem psychologischen Modell, das ursprünglich aus der Marktwirtschaft kommt: der Self-Brand-Connection. „Games, Spielehersteller oder auch Streamer kann man hier als Brands oder Marken verstehen, mit denen ich mich verschieden stark identifiziere. Je mehr ich das Gefühl habe, dass eine Marke mit meinen eigenen Vorstellungen und Idealen übereinstimmt, desto stärker kann die Verbindung zwischen meinem Selbst und der Marke werden.“

In der Folge, so der Psychologe weiter, fühlten sich Angriffe auf diese Marke wie persönliche Angriffe auf den Fan selbst an – was starke Emotionen und den Impuls zur Verteidigung auslösen könne.

„Angst oder Scham wirken hier weniger

Dieser Erklärungsansatz allein greife aber zu kurz, wie Benjamin Strobel betont. Gerade online greifen noch weitere Faktoren, die sich nicht nur auf Gaming-Communitys beschränken: „Zum einen spielt Anonymität eine Rolle, weil Personen das Gefühl haben, dass ihre Aussagen nicht notwendigerweise auf sie persönlich zurückfallen. Gefühle wie Angst oder Scham, die sie andernfalls davon abhalten würden, sich abfällig zu äußern, wirken hier weniger.“

Zum anderen spielen Regeln und Normen eine wichtige Rolle, die im Online-Raum anders definiert sind als im „echten“ Zusammenleben offline: „Im Vergleich zum physischen Raum sind digitale Räume deutlich weniger reguliert. Und für die Regeln, die es gibt, ist die Durchsetzung nicht sonderlich konsequent. Dadurch verschieben sich Grenzen und Normen, der Werterahmen verändert sich.“

Ein anschauliches Beispiel für diese verschobenen Grenzen sieht der Psychologe in Phishing-Mails: „Die löschen wir einfach – dass es sich aber eigentlich um einen Betrugsversuch und eine Straftat handelt, beachten wir kaum noch. Dieser Normbruch ist so normalisiert, dass wir ihn gar nicht mehr wahrnehmen.“

Eben dieser Effekt sei auch in der Welt des Gamings zu sehen, wenn Morddrohungen ausgesprochen werden – und für den Urheber konsequenzlos bleiben: „Alle anderen bekommen das mit und lernen: Wenn du sowas sagst, passiert gar nichts. Wenn das Verhalten dann sogar noch von anderen bejubelt wird, lernt eine ganze Community: Das ist in Ordnung.“

Rein rechtlich wäre alles klar

Rechtlich sind Konsequenzen bei Morddrohungen und anderen strafbaren Hass-Postings längst vorgesehen. In der Vergangenheit durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das im Februar durch das Digitale-Dienste-Gesetz auf EU-Ebene abgelöst wurde. Es schreibt unter anderem nutzerfreundliche Meldewege für strafbare Inhalte vor, wie Plattformen mit Meldungen umgehen sollen und wie Verdachtsmeldungen an Behörden weitergeleitet werden müssen. Was mit einer strafbaren Bedrohung auf einer Online-Plattform passiert, ist also geregelt.

Doch sowohl beim Umgang der entsprechenden Plattformen mit strafbaren Inhalten als auch bei der polizeilichen Verfolgung gab es in der Vergangenheit immer wieder Probleme. Im Jahr 2022 zeigte etwa eine Recherche des „ZDF Magazin Royale“, dass Betroffene teils nicht ernst genommen wurden oder Ermittlungen nur schleppend verliefen.

Die Betroffenen werden mit Hass und Drohungen daher oft alleingelassen – und müssen ihnen mit den Mitteln entgegentreten, die sie zur Verfügung haben.

Morddrohungen müssen keine Selbstverständlichkeit sein

Natürlich sind nicht alle Spielerinnen und Spieler potenzielle Absender von Morddrohungen. Die Analyse von Benjamin Strobel und die Erfahrungsberichte Betroffener unterstreichen aber: Das Potential zur verbalen Grenzüberschreitung ist in der Gaming-Community wegen unterschiedlicher Faktoren besonders hoch. Doch Morddrohungen müssen trotzdem keine Selbstverständlichkeit werden – es gibt Möglichkeiten auf mehreren Ebenen, diesen Ausbrüchen entgegenzuwirken.

Der Psychologe Strobel sieht eine Chance in einem grundsätzlichen Perspektivenwechsel auf die Online-Welt und wie wir uns in ihr bewegen: „Wir müssen einerseits Werte wie Vielfalt und Gleichwertigkeit aktiv vermitteln und diese mit gesellschaftlichen Normen auch einfordern. Andererseits müssen wir bei Verhalten Grenzen setzen, das gegen diese Werte verstößt.“

Hier sieht Strobel auch die Verantwortung bei den Plattformen, auf denen diese Konflikte stattfinden, vornehmlich Twitch, YouTube und soziale Netzwerke wie Instagram.

„Wir müssen vor allem die Verschiebung des Werterahmens in digitalen Räumen durchbrechen. Und wir müssen Regeln und Normen unserer demokratischen Gesellschaft stärker einfordern. Das heißt auch, Regelbrüche und Normverletzungen nicht zu akzeptieren. Wenn wir diese Grenzen nicht ziehen, wird es bald keine mehr geben“, schließt der Psychologe.

Er fordert alle, die dafür Kraft und Kapazitäten haben, zum aktiven Entgegentreten auf: „Wenn ich etwas lese, das nicht in Ordnung ist, weil es andere herabsetzt, kann ich mit Gegenrede ein Zeichen setzen. Damit kann ich verhindern, dass sich die Normen immer weiter verschieben. Wenn andere sehen, dass solche Kommentare nicht gut ankommen, geahndet oder gelöscht werden, ist das ein wichtiges Zeichen, von dem alle lernen und an dem eine Community wachsen kann.“

Moderation als Schlüsselstrategie

Auf meinem Bildschirm blicken mir Robin Schweiger und Thomas „Tom“ Goik entgegen. Die beiden sind Spielejournalisten, früher beim Branchenpromi GIGA und seit 2014 an der Spitze ihres selbstgegründeten Onlinemagazins Hooked.

Sie erreichen mit ihren oft kritischen Videos auf YouTube tausende Gamer, regelmäßig treten sie auf Twitch live mit ihrem Publikum in Austausch. Sie kennen sich aus in der Spielebranche, sind selbst Streamer – und alles andere als überrascht, als ich ihnen von den Erfahrungen meiner Kollegin erzähle, die am Beginn dieser Recherche standen.

„Typischer ‚Gamer-Rage‘ war meine erste Assoziation dazu, und eigentlich ist es traurig, dass ich davon so gar nicht überrascht bin“, sagt Thomas Goik, Robin Schweiger stimmt ihm nickend zu. Das Duo ist mit der Wut der SpielerInnen vertraut, der sie allerdings seit einigen so entschieden entgegentreten, wie es auch der Psychologe Benjamin Strobel einfordert – und an ihrem Beispiel wird klar: Diese Strategie kann funktionieren.

„Wir moderieren all unsere Kommentarbereiche stark, das ist unglaublich wichtig“, erklärt Schweiger. „Wir lassen natürlich Kritik zu, aber blenden Kommentare aus, die über sowas wie grundlegende Menschenrechte diskutieren wollen oder schlichtweg beleidigend sind. Und wenn man das eine zeitlang konsequent macht, dann baut sich dadurch eine Community auf, die aus sich heraus ebenfalls andere moderiert. Das heißt, wenn bei uns Zuschauer Grenzen überschreiten, schreiten andere Mitglieder aus der Community eigeninitiativ ein.“

Diese Disziplin im Umgang mit der Community haben sich die beiden Journalisten angewöhnt, nachdem sie jahrelang selbst erleben mussten, wie sich der Umgang online ohne klare Regeln entwickeln kann.

Goik erzählt: „Bei Giga Games hatten wir jahrelang eine unmoderierte Kommentarsektion und die war furchtbar, wirklich ganz furchtbar. Die waren gemein zu uns und anderen Redakteurinnen – etwas, dem man viel stärker hätte entgegentreten müssen. Hätten wir damals bei der Chefetage aber nach einem Moderationsteam gefragt, hätte man uns wohl den Vogel gezeigt.“

Mit ihrer Strategie der strengen Moderation sieht sich das Duo allerdings recht alleine in ihrer Branche. Mit Blick auf noch größere Redaktionen, Podcastmagazine und Streamer kritisieren Goik und Schweiger, das Moderation und Community-Betreuung noch immer zu häufig nachlässig behandelt werde: „Es werden an viel zu vielen Stellen viel zu selten Regeln durchgesetzt, auch weil mit steigender Reichweite nur selten auch wachsende Moderationsteams verbunden sind. Aus irgendeinem Grund ist das der Weg, den das Internet eingeschlagen hat.“

Es liege in den Händen von uns allen, so das Duo, diesen Weg wieder zu verlassen und Grenzüberschreitungen online entgegenzutreten – so, wie wir es auch offline im Alltag tun sollten.

29 Ergänzungen

  1. Weg eingeschlagen?
    Nee, nee, das ist Facebook mit Chatkontrolle und behördlicher Schnittstellen. DER Weg wurde eingeschlagen

    Das Internet kommt daher… unmoderierte Plätze, moderierte Plätze, Nutzer wählt! Heute will man plötzlich Zivilisation, nur ohne Bürgerkrieg. Also das mit dem Diskutieren wird übrsprungen.

    1. Das Internet wird nun verordnet. Also quasi als Teil der Krankenhausreform. Hoffentlich brauchen wir das Internet nicht für irgendwas Wichtiges…

  2. Im Duett gesungen: „Es werden an viel zu vielen Stellen viel zu selten Regeln durchgesetzt, auch weil mit steigender Reichweite nur selten auch wachsende Moderationsteams verbunden sind. Aus irgendeinem Grund ist das der Weg, den das Internet eingeschlagen hat.“

    Der erste Satz ist eine zutreffende Beschreibung. Der zweite hingegen ist an Dürftigkeit kaum zu überbieten.

    „Das Internet“ kann keinen „Weg einschlagen“. Das ist Leugnung von Verantwortlichkeit. Es sind Menschen (die Nutzer), die für ihr Tun verantwortlich sind, und nötigenfalls zur Verantwortung gezogen werden müssen.

  3. Das Internet ist nichts für Menschen mit dünner Haut. Finde es ehrlich gesagt faszinierend wie der Umgang mit Beleidigung etc. umgegangen wird.

    In Amerika beleidigt sich jeder einfach wie er will und selbst Präsidenten scheuen sich nicht. In England gehört „Banter“ zum guten Ton und der Beleidigungsparagraph wurde deswegen entfernt, weil er dieser Kultur im Weg stand. Mein Informatiklehrer war Engländer und konnt kein Deutsch. Er WOLLTE das wir ihn beleidigen.

    Morddrohungen etc. außen vor dafür gibt es gesonderte Paragraphen und sind auch dort strafbar.

    1. > Das Internet ist nichts für Menschen mit dünner Haut.

      Zeit, dies zu ändern. Mal darüber nachdenken, wie das gelingen könnte.

      1. Weiß man seit Usenet / IRC Zeiten: Das einzige was manchmal hilft:

        Geschlossene Benutzergruppen mit Einladung via Sponsor.

      2. „Zeit, dies zu ändern. Mal darüber nachdenken, wie das gelingen könnte.“

        Vorschlag: Mehr Daten sammeln.
        Ort: Sankt-Pauli Ultra Kurve, oder vergleichbar.

        Until we meet again…

  4. Die „Mord-Droher“ der Gaming-Welt sind für diese so representativ wie die Hooligans es für die Fussball-Welt sind. Keiner mag sie, und es mag auch keiner mit ihnen über einen Kamm geschert werden.

      1. Man kann sich schon seit langem nicht mehr wirklich aussuchen mit wem man Multiplayer-Games spielt. Das Match-Making wuerfelt die Spieler „passend“ zusammen und das wars. Wenn einer Dummschiss im (Voice-)Chat schreibt/schreit wird er (ja, ER!) blockiert und gemeldet. Mehr geht dann schon nicht.

      2. „Aber mit ihnen spielen ist okay?“

        Im Rechtsstaat? Unwissentlich? Klar ist das ok, was denn sonst. Man weiß oft nicht, mit wem man spielt, wenn es eine offene Geschichte ist. Das ist fast wie auf dem Bolzplatz…

    1. > Die „Mord-Droher“ der Gaming-Welt sind für diese so representativ wie die Hooligans es für die Fussball-Welt sind.

      Nein, das ist falsch.

      Hooligans begehen Straftaten mit mehr oder weniger Einverständnis innerhalb ihrer Gruppe und gehen davon aus, selbst auf die Fresse zu bekommen. Das finden die gut, und sie bringen sich nicht vorsätzlich um. Das sind Kerle mit Eiern und keine feige Stubenfliegen, die sich nicht aus ihrem Kellerloch heraus trauen. Wer im Internet mit Mord droht, ist mit Verlaub ein feiges Arschloch, das glaubt nicht erwischt zu werden. Solche Menschen neigen zur Heimtücke.

      1. wird hier gerde echt die toxische Männlichkeit von Hooligans verherrlicht? Mal auf die Uhr geguckt: das Jahr ist 2024, doch schon so spät. Mannomann!

  5. Mmh. Wird denn bei der Betrachtung der hohe Abstraktionsgrad der da eventuell in nicht niedrigem Maße bei der Kommunikation über digitale Medien zu dem verstärkt soziopathischen Verhalten beiträgt überhaupt nicht reflektiert?

  6. In China hat man das Problem durch sehr rigide Einschränkungen der Spielzeit teilweise gelöst, eine wissenschaftliche Erklärung für überwiegend männliche Spieler existiert auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Testosteron#Psychische_Wirkungen – »einer beeinträchtigten Regulation emotionaler und motivationaler Prozesse, geringerer sozialer Sensibilität und starker Belohnungsmotivation führt. Ob sich das in antisozialem Verhalten äußert, hängt jedoch von einer Reihe sozialer und genetischer Faktoren ab.«

    Spiele und spielen sind Kulturtechniken und der damit verbundene Kulturkampf ist älter als Gamergate und lässt sich über die Fragdolls (2005) seit 20 Jahren beobachten, dazu kommt latenter Sexismus in der Spieleindustrie und dem mittlerweile dazugehörendem Kulturbetrieb (Streamer, Contentcreator). Für Spielehersteller und Platttformen existieren keine Anreize ihre Kunden oder das Umfeld zu moderieren.

    1. So leid es mir tut, aber in diesen Belangen kann man Gamer wirklich alle über einen Kamm scheren. Nicht unbedingt mit Morddrohungen, aber mit anderen menschenrechtsverletzenden Dingen.

      Kleiner Shit-Test dazu, um mein Argument zu untermauern: Einfach die Gamer-Szene nach Persona non Grata einer Wahl fragen.

      Hitler… lassen wir erstmal außen vor. Drachenlord oder CWC? Shitstorm garantiert, Beleidigungen und Cybermobbing fallen wie Regentropfen. Klar, jetzt kann einer sagen „Aber ich mache das doch nicht!“ Wieviel von 99% ist jetzt genau ausgerechnet diese eine Person, die sich nichts zu Schulden kommen lässt? Bis zu 50% wird es schon ein mühsamer Weg sein.

        1. Hier ist ein Link:
          https://www.belltower.news/online-mobbing-und-menschenhass-das-troll-forum-kiwi-farms-136357/

          „Die Saga von Chris Chan“

          Weiter unten ist auch von „Chloe Sagal“, einer Transperson die Rede. Dass auch Chloe unter dem Einfluss des Internets und von Gamern, gelitten hat, spricht Bände. Spieleentwickler ja, aber wehe es ist eine Transperson. Dann darf gehasst und gehetzt werden, und keiner schreitet ein.

          Ein komplett von oben bis unten gut durchdachter Artikel. Auch viele weitere Artikel unter dem Stichwort Gaming, und wie toxisch diese Community ist, reflektieren den Stand der Dinge.

      1. @Pranee
        Du bist nicht besser als diejenigen die du hier verurteilst.
        Du pickst dir einen Bericht über ein rechtes Forum heraus und verallgemeinerst.
        Nach deiner Auslegung sind alle Deutschen Nazis, alle Moslems Islamisten und alle Männer Frauenfeindlich und so weiter.
        Du scheinst einen ganz schönen Hass auf uns Gamer zu haben.
        Ja es gibt Idioten in der Szene und Frauen, Transpersonen und so haben es schwerer und werden definitiv benachteiligt aber es ist halt nicht „der Großteil“ oder gar 99% der Community.
        Es sind ein paar Idioten, die am lautesten schreien und auffallen.
        Kommt lasst uns Internet, Fußball, Islam und alles unter 30 verbieten, dann haben wir Ruhe.

        1. Ach, ist das so? Es sei nicht der Großteil?

          Frag doch mal Gamer, was sie vom Gendern halten, einer Methode die Trans-, Interpersonen, sowie weitere Menschen nicht nur inkludiert, sondern ihnen ein Zeichen setzt für eine offene und tolerante Gesellschaft.

          Wenn der Großteil der Gamer es in Ordnung findet, besondere Pronomen für Transpersonen zu nutzen oder „die Sprache zu verbiegen“, dann wird an deiner Geschichte etwas dran sein.

          Ich bezweifle das aber. Eher ist es so, dass viele Gamer vom Gendern nichts halten, also exkludieren wollen, statt inkludieren.

          Desweiteren wollte ich noch Frauenrechte anschneiden, und wie die in Gamerkreisen so ankommen, doch dann wird der Kommentar hier zu lang.
          Abtrösten kann ich dich mit dem Suchbegriff „Gaming“ unter belltower.news

          Und tut mir leid, aber deren scharfsinnigen Argumente und tiefgründigen, fundierten Sachverhalte haben schon ein bisschen mehr Überzeugungskraft als ein simples nicht alle Gamer über einen Kamm scheren zu wollen.

          1. Ich bin kein Gamer, aber wenn ich als Transmann die Aggressivität betrachte, mit der das Gendern in die Gesellschaft hineingepresst wird, hat das für mich eher wenig mit der gepredigten Offenheit oder Toleranz zu tun. Eher mit „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein“.

            Und so kann man in dieser Debatte nur schwer zwischen dem groben Klotz und dem groben Keil unterscheiden. Vermutlich ist in bester Yin-Yang-Manier ein bisschen Klotz im Keil und umgekehrt. *shrug*

  7. Ich zocke auch viel und sehe Differenzierungsbedarf.

    Zum einen spielt natürlich die Anonymität eine gewisse, wenn auch nicht allein entscheidende Rolle. Wo Distanz herrscht, wird eher beleidigt, da gewisse Leute sich sicher(er) fühlen.

    Wird oft mit anderen interaktiv gespielt wie z. B. in MMOs etc., steigt schon statistisch gesehen das Risiko, an Leute zu geraten, die aus irgendeinem Grund nicht gut drauf sind und das an anderen Spielern auslassen. Manche interaktiven Spiele haben toxische Communities, wobei mit zunehmender Größe und steigendendem Spielealter die Wahrscheinlichkeit dafür steigt.

    Trotzdem sind mir Extremfälle wie Morddrohungen oder auch extreme Beleidigungen so gut wie nie passiert. Das ist vielleicht nicht repräsentativ, aber nimmt dem Ganzen vielleicht auch die Brisanz, die es für andere haben mag.

    Ein gutes Mittel dagegen sind Meldebuttons, mit denen man in vielen Spielen beleidigendes Verhalten durch den Support unterbinden lassen kann.

    Eine andere, weniger aufwendige Methode ist, solche Spieler einfach auf „Ignorieren“ zu setzen. Das gilt auch für normale Chats ausserhalb der Gamerszene. Spart Zeit und Nerven. Oft ist es das beste Mittel, nicht alles an sich herankommen zu lassen, sich ein dickes Fell zuzulegen und zu sagen: „Er/Sie weiss es halt nicht besser oder kann nicht anders“. Und sich dann anderen, netten Gamern oder Chattern zuwenden.

  8. „Zum einen spielt Anonymität eine Rolle, weil Personen das Gefühl haben, dass ihre Aussagen nicht notwendigerweise auf sie persönlich zurückfallen.“
    Ah, die gute Anonymität. Man weiß auch nicht, mit wem man es zu tun hat, wenn es reines Gaming und Unterhaltung darüber wäre, also der eigentliche Kern von „Gaming Communities“. Einzig von Streamern gibt es eine Ahnung oder konkretes Wissen dazu, um wen es sich handelt. Das Heilmittel ist allerdings nicht, Anonymität aufzuheben. Das ist aber nicht nur eine Gaming Community, falls es überhaupt eine ist, sondern irgendwie Leute zu Kanal X von Plattform Y. So gesehen Fernsehpublikum. Was wissen wir zu Showmastern und Schauspielern, was das Publikum betrifft, sobald erstere z.B. über Adressenverbreitung zugänglich wurden?

    „Gefühle wie Angst oder Scham, die sie andernfalls davon abhalten würden, sich abfällig zu äußern, wirken hier weniger.“
    Man sollte nicht aus Angst oder Scham etwas nicht sagen, wenn es sinnvoll ist. Ich weiß nicht ob wir hier grundsätzlich von notkontrollierten Resthirnträgern ausgehen sollten. Konzepte, warum Barrieren nicht da sind, oder Kontrollverlust stattfindet gibt es einige. Z.B. die Natur der virtuellen Verbindung, der Asynchronizität aber im Punktuellen (Posts), um einen Unterschied zu einer realen Unterhaltung zu nennen. FOMO gibt es bei echten Unterhaltungen auch, hilft aber bei Kontrollverlust im Virtuellen sehr! Also verstärkend helfend jetzt.

    „Ein anschauliches Beispiel für diese verschobenen Grenzen sieht der Psychologe in Phishing-Mails“
    Hier muss ich schmunzeln, denn es folgt noch der „Normbruch“, dass man diese nicht zur Anzeige bringe. Hier endet das analoge Verständnis an der Wand des Digitalen. Kein Anschluss unter dieser Nummer!

  9. Zur Anonymität wollte ich noch ergänzen:
    – Anonymität als Argument, warum Enthemmung funktioniere, ist zu einem Teil ein Obrigkeitsargument, dem Prinzip der Abschreckung durch Strafe zugewandt. Dieses funktioniert nur leider in vielen Fällen nicht (richtig), und wurde noch nie wissenschaftlich quantifiziert (bzw. die anderen Gründe auch nicht).
    – Man sollte bedenken, dass Kommentare an der Tastatur schreiben (ohne „extensives Training“) i.d.R. nicht das gleiche ist, wie einen Brief zu schreiben oder handschriftlich zu formulieren. Ganze Hirnregionen schlafen, Herzblut fehlt, oder sagen wir, der Beziehungsaspekt ist anders, da wir keinem lebendigen Ding gegenübersitzen, sondern bestenfalls einer Vorstellung von einem Gegenüber. Die Vorstellung wird aber nicht vordergründig über unser Interaktionswissen und Erfahrung mit Menschen bestimmt, sondern durch Thema, Chathistorie, Positionierung des anderen u.ä. Das Bewusstsein zu formen und zu halten, wäre hier nötig. Durch Obrigkeit und Angst als Treiber, landen wir hier vermutlich nur irgendwann beim Kurzschluss.
    – Kommentare können zwar mit Sendungsbewusstsein an einer Sache entlang geschehen, genießen aber nicht die emotionale und echtlebenbehaftete Kontextualisierung, wie sie das schreiben eines Buches o.ä., mit dem (Neben-) Zweck des Lebensunterhaltes oder künstlerischen Ausdrucks.

    Also heben wir die Anonymität auf? Machen wir Chatkontrolle und kriminalisiern Dickpicks von biologisch herausgeforderter Personen gewisser Altersklassen, oder fangen wir mit der Bildung in der Grundschule an: „Du weißt nicht a) wer mithört und b) wer auf der anderen Seite schreibt.“, „Für wen arbeiten Sie?“ zzgl. Höflichkeits- und Konfliktverhalten. Eigentlich bräuchte es ein Bildungsfon, mit eingeschränkter Funktion, aber mit Funktion. LLMs die auf Beleidigen trainiert sind, sowas sind sinnvolle Projekte, nicht IPetz 4.0.

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