Kryptowährungen im Russland-Ukraine-KriegZwischen Sanktionsumgehung und Befreiungsinstrument

Politiker:innen sorgen sich, dass Russland mit Bitcoin und Co. Sanktionen umgehen könnte. Dabei waren Kryptowährungen der russischen Regierung lange ein Ärgernis, denn für Oppositionelle sind sie eine wichtige Finanzierungsmöglichkeit. Über die ambivalente Rolle der Coins im Krieg.

Eine Taube mit einem Smartphone unter dem Flügel vor "Cyber"-Hintergrund
Eine Taube wirbt um Krypto-Spenden für die Ukraine. – Alle Rechte vorbehalten Screenshot: YouTube/Everstake

„Invest in Peace Bro, it feels so good.“ So will es die rappende Taube in einem Musikvideo des ukrainischen Krypto-Unternehmens Everstake. Mit dabei ist auch Mychajlo Fedorow, stellvertretender Ministerpräsident der Ukraine und Minister für digitale Transformation. Gemeinsam mit Everstake ruft Fedorow die Weltgemeinschaft dazu auf, weiterhin Kryptowährungen wie Bitcoin für die Verteidigung der Ukraine zu spenden.

Mit mehr als 60 Millionen US-Dollar an Einnahmen seit Kriegsbeginn feiert die Aktion durchaus Erfolg. Dennoch blickt man in Brüssel und Washington wohl eher nach Moskau als darauf, dass Bitcoin und andere Digitalwährungen auch Kiew zugutekommen.

Behauptete der russische Premierminister Michail Mischustin doch Anfang April, Russinnen und Russen besäßen Bitcoin und andere Kryptowährungen im Wert von 130 Milliarden US-Dollar. Das entspräche etwa dem Wert der Goldreserven des Staates, der gegen die Ukraine einen brutalen Angriffskrieg führt.

Laut Mischustins beruhe die Zahl auf „unterschiedlichen Schätzungen“, überprüfbar ist sie nicht. Doch Kryptowährungen sind beliebt in Russland. Neun Prozent der Bevölkerung besaßen laut Umfragen von Statista aus dem Jahr 2021 Bitcoin oder eine andere Digitalwährung. Beim energieintensiven und lukrativen Mining von Bitcoin stand das rohstoffreiche Land weltweit hinter Kasachstan und den USA 2021 auf dem dritten Platz.

Zahlen vom Januar 2022 attestieren einen geringeren Anteil am globalen Bitcoin-Mining, laut dem stellvertretenden Handelsminister verbrauchte die russische Mining-Industrie Ende Mai jedoch mehr Strom als die heimische Landwirtschaft.

Sorgen um Sanktionsumgehung

Als der Kreml Ende Februar die selbsternannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk anerkannte und seinen Angriffskrieg begann, reagierte der Westen prompt mit Sanktionen. Dies ging mit der Sorge einher, Russlands Eliten könnten Kryptowährungen nutzen, um die verhangenen Wirtschafts- und Finanzrestriktionen zu umgehen.

Denn Transaktionen mit digitalen Währungen sind weitgehend unabhängig von Banken. Sie passieren jenseits des internationalen Zahlungsnetzwerks SWIFT, aus dem die westlichen Partner mehrere russische Banken ausschlossen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte Ende März, dass Kryptowährungen „in diesem Moment sicherlich dazu benutzt werden, um die Sanktionen zu umgehen, die viele Länder der Welt gegen Russland beschlossen haben.“

Im fünften Sanktionspaket der EU ist gerade deshalb ein explizites Verbot von „hochpreisigen Krypto-Vermögensdienstleistungen für Russland“ festgesetzt. Auch in den USA regte sich eine ähnliche Sorge, am 17. März tagte hierzu der Bankenausschuss. Doch eignen sich Kryptowährungen für diesen Zweck? Welche Rolle spielen Bitcoin und andere Digitalwährungen tatsächlich in Russlands Krieg gegen die Ukraine?

Von Verbotsforderungen zum potenziellen Zahlungsmittel

Vor Kriegsbeginn war das Geschäft mit Kryptowährungen in Russland von Rechtsunsicherheit geprägt. Erst im Januar 2022 plädierte die russische Zentralbank dafür, Digitalwährungen weitgehend einzuschränken. Hatte der Kreml ihre Verwendung als Zahlungsmittel für Güter und Dienstleistungen bereits im Jahr 2020 unterbunden, sollten nach Willen der Zentralbank künftig auch der Tausch von Kryptowährungen und das Mining aus dem Land verschwinden.

Anonyme Informant:innen behaupteten damals gegenüber Bloomberg, dass der Inlandsgeheimdienst FSB auf ein Verbot dränge. Schließlich werde Bitcoin zunehmend zur Finanzierung regierungskritischer Organisationen und Medien genutzt. Dazu passt, dass sich die Finanzaufsicht Rosfinmonitoring (Rosfin) im April 2021 laut Reuters an die weltweit größte Bitcoin-Börse Binance gewandt haben soll, um über die Herausgabe von Nutzer:innendaten zu reden.

Die Behörde wollte demnach Millionen von US-Dollar schweren Bitcoin-Spenden an den inhaftierten Oppositionspolitiker Alexei Nawalny nachspüren. Binance bestreitet die Vorwürfe, Daten an die russischen Behörden weitergegeben zu haben. Auch Nawalnys Stellvertreter Leonid Wolkow hält das für nicht allzu wahrscheinlich. Dass Kryptowährungen dem Kreml Kopfzerbrechen bereiteten, erscheint vor diesem Hintergrund dennoch plausibel.

Unmittelbar vor Kriegsbeginn war die Stimmung in Moskau jedoch auffällig Krypto-freundlich. Ausgerechnet am 21. Februar, drei Tage vor Beginn der Invasion, reichte das russische Finanzministerium einen Gesetzesvorschlag ein, der den Handel und das Mining von Kryptowährungen unter einem strengen Regelkorsett zulassen soll.

Russische Behörden debattieren seitdem den Entwurf, der Krypto-Börsen und andere Dienstleister aus der Branche zum Datenaustausch mit dem FSB und anderen Ermittlungsbehörden verpflichten soll. Am 18. Mai erklärte der Handelsminister Denis Manturow gar, Regierung und Zentralbank würden an der Zulassung von Kryptowährungen als Zahlungsmittel arbeiten. Die Zentralbank gibt sich mittlerweile offen für die Nutzung von Kryptowährungen bei internationalen Transaktionen, warnt aber weiterhin vor den Gefahren für Bürger:innen und die finanzielle Stabilität des Landes.

Bitcoin und die Sanktionen

Die Wende bei der Krypto-Regulierung lässt einen Zusammenhang mit dem Krieg vermuten. Tatsächlich explodierte der Handel zwischen Bitcoin und Rubel in den ersten Kriegstagen – die Wirtschaftszeitschrift Capital spricht von einem Anstieg um 900 Prozent. Der Trend flachte indes wieder ab. Auch Premier Mischustin, mit der Rettung der heimischen Wirtschaft betraut, forderte bei einer Sitzung der Staatsduma die Integration von Kryptowährungen in das heimische Finanzsystem. Andere Kreml-Politiker dachten derweil öffentlich über die Nutzung von Bitcoin-Zahlungen für Gaslieferungen oder den Handel mit afrikanischen Staaten nach.

Dass Russland mit Kryptowährungen im großen Stil Sanktionen umgeht, hält der Wirtschaftswissenschaftler und Leiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) Philipp Sandner für unwahrscheinlich. Er resümiert gegenüber netzpolitik.org, dass die Sorge westlicher Politiker:innen unbegründet gewesen sei. „Große Beträge können nur bei großen Börsen getauscht werden. Gerade große Börsen sind es, die sich an die internationalen Regulierungen halten“, so der Kryptowährungs-Experte.

Führende Krypto-Börsen wie Binance und Coinbase schränkten ihre Dienste für russische Staatsbürger:innen mittlerweile tatsächlich ein. Laut Sandner sei der Krypto-Markt außerdem insgesamt zu klein, um wirklich signifikante Beträge zu verschieben. Die westliche Diskussion um Bitcoin und Sanktionen charakterisiert er deshalb als eine „Scheindebatte“.

Auch Changpeng Zhao, CEO der Krypto-Börse Binance, bezeichnete diese Vorstellung Anfang April als einen „Mythos“. Schließlich seien Bitcoin und Co. streng genommen nicht anonym, Transaktionen ließen sich zurückverfolgen.

Kryptowährungen und die russische Opposition

Für russische Oppositionelle waren Kryptowährungen hingegen teilweise ein wichtiges Instrument zu finanzieller Unabhängigkeit. Ein Beispiel ist das unabhängige zweisprachige Online-Medium Meduza. Das spendenfinanzierte Portal operiert größtenteils aus Riga, 2021 setzten die russischen Behörden es auf die Liste ausländischer Agenten.

Mit Kriegsbeginn kamen die Unterstützungszahlungen russischer Leser:innen nicht mehr durch, was ausgerechnet westlichen Sanktionen geschuldet war. Denn der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System zwang den Zahlungsdienstleister Stripe zur Einstellung seines Services für russsische Nutzer:innen. „Dadurch haben wir über 30.000 Abonnenten aus Russland verloren, woraufhin wir gezwungen waren, eine neue Crowdfunding-Kampagne für andere Länder zu starten“, erklärte Meduza auf netzpolitik.org-Anfrage.

Seitdem finanziert sich Meduza zum Teil über Zuwendungen in Bitcoin, Ethereum oder auch Monero. Laut Medienberichten sind so alleine auf Bitcoin- und Ethereum-Wallets bereits etwa 230.000 US-Dollar zusammengekommen. Allerdings komme davon nur ein geringer Teil aus Russland, berichtete Meduza gegenüber netzpolitik.org. Dennoch – Kryptowährungen sind neben dem Erwerb von Merch aus Partner-Shops momentan das einzige Mittel, um Meduza aus Russland zu unterstützen. Dabei ist die Nachrichtenseite eines der wenigen verbliebenen russischsprachigen News-Outlets, die abweichend vom Kremlkurs über den Krieg berichten. Meduza ist nicht das erste Beispiel für die Bedeutung von Kryptowährungen für russische Oppositionelle.

Die Anti-Kreml-Bewegung des Putin-Kritikers Alexey Nawalny sammelte bereits vor Kriegsbeginn Spenden in Kryptowährungen. Die Oppositionellen nutzen seit 2016 vor allem Bitcoin als Finanzierungsinstrument, das gegen FSB-Einflüsse resistent sein soll. Dabei fällt auf, dass die Bitcoin-Spenden in den Wochen nach Nawalnys Inhaftierung im Januar 2021 schlagartig anstiegen. Die Popularität von Kryptowährungen für die Unterstützung oppositioneller Bewegungen wuchs als Reaktion auf zunehmende staatliche Repression offenbar an. 

Dass politische Spannungen, wie sie in Russland und der Ukraine momentan vorherrschen, die Popularität von Kryptowährungen steigern werden, wird spätestens seit der erhöhten Verbreitung von Bitcoin im krisengeplagten Venezuela vermutet. Ob damit eine grundsätzliche Schwächung autoritärer Systeme einhergeht, bleibt unterdessen umstritten.

Krypto-Pioniere prophezeien im Zuge der Etablierung nichtstaatlicher Währungen demokratisierende Effekte bis hin zu vollkommen dezentralisierter staatlicher Governance. Kritiker:innen befürchten ihrerseits das Gegenteil. Sie warnen vor einer Festigung autoritärer Regime durch die Einführung staatlich-zentralisierter digitaler Währungen und verweisen auf Beispiele aus China oder dem Iran.

Kryptowährungen für die ukrainische Regierung

Doch auch die Regierung in Kiew nutzt digitale Währungen. Tatsächlich waren diese in der Ukraine schon vor dem russischen Einmarsch verbreitet, das Land galt als „kryptofreundlich“. Laut dem Global Crypto Adoption Index von Chainalysis war die Ukraine im Jahr 2021 bei der Krypto-Adaption weltweit auf dem vierten Platz. Nur wenige Tage nach der russischen Invasion startete die Regierung einen Spendenaufruf auf Twitter, der explizit auf Zuwendungen in Bitcoin, Ethereum und dem Stablecoin USDT abzielte.

Laut eigenen Angaben erhielt das Land bis April über 60 Millionen US-Dollar an Krypto-Spenden, die es für die militärische Verteidigung, technische Ausstattung und Kommunikationskampagnen einsetze. Michael Chobanian, Gründer der ukrainischen Krypto-Börse Kuna und Initiator des „Crypto Fund for Ukraine“, pries die Vorteile von Spenden in digitalen Währungen kürzlich gegenüber dem US-Senat. So habe man neben schnellen und flexiblen Transaktionen die Möglichkeit, Spenden aus Ländern ohne flächendeckenden Zugang zu klassischem Banking zu erhalten.

Für ukrainische NGOs sind Kryptowährungen mitunter eine wichtige Einnahmegrundlage. So schloss die Social-Payment-Service-Plattform Patreon die Organisation Come Back Alive aus. Da diese seit dem Krieg im Donbass Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte für die ukrainische Armee zur Verfügung stellt, sammelt sie nach Patreon-Richtlinien Geld für militärische Zwecke und verstößt damit gegen die Nutzungsbedingungen. Seitdem hat sie über 4 Millionen US-Dollar in Bitcoin erhalten.

Der Russland-Ukraine-Krieg als Präzedenzfall

Im Russland-Ukraine-Krieg sind Kryptowährungen ein wichtiger Faktor, die Washington Post titelte bereits vom „ersten Krypto-Krieg“. Zu einem gewissen Grad nutzen Bitcoin und andere Digitalwährungen beiden Seiten und sind hier mehr als ein reines Spekulationsobjekt. Denkbar ist, dass die sicherheitspolitische Sichtbarkeit von Kryptowährungen ihre Akzeptanz in der Ukraine weiter ankurbelt und auch im Wiederaufbau relevant wird.

So betont Michael Chobanian, die die ukrainische Krypto-Spendenkampagne leitet, in einem Interview mit BTC-Echo: „Die Menschen im Militär und der Regierung verstehen nun: Krypto hat einen Wert für sie – und für unser Land.“ Chobanian geht davon aus, dass Krypto bleiben werde. „Es ist jetzt Mainstream“, so der Unternehmer, der auch eine eigene Kryptobörse gegründet hat.

Auf der anderen Seite beflügeln überhöhte Sorgen, Russland könne mithilfe von Kryptowährungen im großen Stil internationale Sanktionen umgehen, Debatten über eine verschärfte Regulierung von Kryptowährungen. Mittelfristig ist von strengeren Regulierungs- und Meldevorgaben bei Transaktionen und Mining auszugehen – nicht nur in Russland und nicht nur in Folge des Krieges. Einerseits wird also die Rolle von Kryptowährungen für die Sanktionsumgehung immer wieder betont. Zugleich vernachlässigt diese Wahrnehmung die Bedeutung digitaler Währungen für die finanzielle Autonomie russischer Oppositioneller und die Handlungsfähigkeit von Akteur:innen in der Ukraine.

Anton Livshits hat an der Universität Leipzig Kulturwissenschaften studiert. Zuletzt befasste er sich als Praktikant bei Belltower.News, dem Redaktionsportal der Amadeu Antonio Stiftung, mit russischer Desinformation und rechten Ideologien in Russland. Seit Jahren arbeitet er als freier Journalist für BTC-ECHO, wo er hauptsächlich zur politischen Regulierung von Kryptowährungen schreibt.

Polina Khubbeeva hat ihre Masterarbeit zu Kryptowährungen im politischen Diskurs verfasst. Neben ihrem Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin hat sie als freiberufliche Redakteurin für BTC-ECHO und Zitty/Tip zu digitalpolitischen Themen geschrieben. Polina ist unter khubbeeva@gmx.de erreichbar.

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