Hass auf TwitterWarum Gegenrede nicht immer funktioniert

Lange war weitgehend ungeklärt, ob Gegenrede tatsächlich funktioniert. Dies hat sich nun geändert: Eine neue Studie zeigt, dass Gegenrede die Häufigkeit von rassistischer Hassrede reduzieren kann – allerdings nur unter bestimmten Umständen.

Ein Symbolbild für Hass
Hassrede gibt es auch auf Twitter (Symbolbild) CC-BY 2.0 K-Screen Shots

Ein Forscher:innenteam der Technischen Hochschule Zürich hat mit einer Untersuchung auf Twitter nachgewiesen, dass Hassrede durch Gegenrede reduziert werden kann. Die Forscher:innen mussten dabei allerdings feststellen, dass nicht alle Formen der Gegenrede von Erfolg gekrönt waren. So ließ sich nur eine Wirkung nachweisen, wenn sie mit Empathie argumentierten und beispielsweise darauf hinwiesen, wie sich betroffene Personen durch den Hass fühlen würden.

Hassrede ist und bleibt ein grundlegendes Problem der sozialen Medien. Immer wieder befinden sich Minderheiten im Zielfeuer des Hasses. So sind vor allem LGBQT-Personen und ethnische Gruppierungen von dieser digitalen Gewalt betroffen. Dies hat weitreichende Folgen für die betroffenen Personen. Um dagegen anzukommen, wird immer häufiger auf die Methode der Gegenrede zurückgegriffen. Bei ihrer Anwendung wird auf Hassrede anhand verschiedener Strategien geantwortet. Ziel ist es, den Hass zu entkräften und zu zeigen, dass er nur geringen gesellschaftlichen Rückhalt hat.

Allerdings klaffte eine große Forschungslücke in der Frage zur tatsächlichen Wirkung von Gegenrede. So konnte bisher bloß ein Zusammenhang zwischen dem erhöhten Aufkommen von Gegenrede und dem Rückgang von Hassrede festgestellt werden. Nur blieb dabei unklar, ob Gegenrede tatsächlich auch als Ursache für den Rückgang ausgemacht werden kann. Die Schweizer Forscher:innen konnten die Kausalität nun in einem Experiment beweisen.

Empathie oder doch lieber Memes?

Im Rahmen der Studie hatten Schweizer Forscher:innen sechs „Bot-Accounts“ auf Twitter erstellt. Diese antworteten innerhalb von 24 Stunden auf die Hassrede ausgewählter Nutzer:innen. Dazu wurden insgesamt 1.350 Twitteraccounts anhand ihres Tweet-Verlaufes ausgewählt. 540 davon losten die Forscher:innen in die Kontrollgruppe. Die anderen Nutzer:innen erhielten unter ihren Hass-Posts innerhalb von 24 Stunden eine Antwort mit Gegenrede. Dabei wendeten die Forscher:innen jeweils eine der folgenden Methoden an:

Please, Sir. Stop Tweeting. Ein Vogel wie er einem anderen den Schnabel zu hällt
Humorvolle Gegenrede aus der Studie - Imgflip

Die erste Herangehensweise umfasste, den Hass-Tweetern die Konsequenzen ihrer Aussagen zu erläutern. Beispielsweise entgegnete ein Bot: „Denk dran, dass der Post auch von Personen gesehen wird, die dir wichtig sind.“ Im Rahmen des zweiten Ansatzes probierten es die Bots mit Humor. So reagierte einer der Accounts beispielsweise mit Memes. In beiden Fällen konnte das Team allerdings keine messbaren Auswirkungen auf das zukünftige Verhalten der Nutzer:innen feststellen.

Die dritte Methode hingegen zeigte Erfolg. Diesmal wurde auf die Empathie der Hassredner:innen gesetzt. So schrieb ein Bot: „Deine Sprache ist schlicht unnötig verletzend gegenüber Einwanderern.“ Diese Herangehensweise zeigte offenbar Wirkung: In den nächsten vier Wochen verfassten Nutzer:innen dieser Gruppe circa 44 Prozent weniger Hass-Tweets als die der Kontrollgruppe. Außerdem löschten sie ihre vorherigen Hass-Tweets circa acht Prozent häufiger.

Aller Anfang ist schwer

Wie eine frühere Untersuchung auf Facebook zeigte, führt die alleinige Präsenz von Gegenrede zu mehr Gegenrede. Nachdem die Forscher:innen dieser Studie begannen, auf Hassrede gegen Roma mit Gegenrede zu reagieren, motivierten sich anschließend auch weitere „echte“ Nutzer:innen, gegen den Hass anzureden. War Hassrede hingegen vorherrschend und kaum Gegenrede vorhanden, waren die Nutzer:innen entmutigt und reagierten seltener – schließlich schien sonst niemand ihre Ablehnung gegen den Hass zu teilen. Daher zeigt sich: Das Eis zu brechen kann sich lohnen.

Eine weitere frühere Studie ergab, dass die Wirkung von Gegenrede stark von dem sozialen Status einer Person abhängt. So wurde nachgewiesen, dass eine größere Follower-Anzahl die Effektivität der Gegenrede erhöht. Sollte die gegenredende Person allerdings erkennbar Teil einer gesellschaftlichen Minderheit sein, wirkten ihre Aussagen deutlich schlechter – vor allem dann, wenn sie selbst von der Hassrede betroffen war.

Dennoch – die Studien zeigen, dass Gegenrede zu einer Reduktion von Hassrede beiträgt. Offen bleibt allerdings, ob Gegenrede auch zu einer tatsächlichen Meinungsänderung führen kann. So ist bekannt, wie faktenbasiertes Einreden auf gegenteilig Überzeugte wirkt: leider fast gar nicht. In dem Fall zieht der Backfire-Effekt: Falls mit einer Aussage grundlegende Bausteine der individuellen Persönlichkeit in Frage gestellt werden, bewirkt der Effekt, dass eine emotionale Abwehrreaktion ausgelöst wird – selbst wenn die Informationen auf anerkannten Fakten basieren. Aufgrund dieser Abwehrreaktion kann der Überzeugungsversuch letztlich fehlzünden: So kann es dazu kommen, dass die Person anschließend noch stärker auf der eigentlich falschen Meinung beharrt. Für einen erfolgreichen Diskurs sollte also sachte argumentiert werden – eben mit Empathie.

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4 Ergänzungen

  1. Mit Gegenbeleidigungen wie „Blödarsch“ oder „Hirnamputierter“ haben sie es wohl nicht versucht? Der Bot könnte sich auch einfach selbst lächerlich machen, und dann guckt man mal, wie das wirkt – oder mit Links auf interessante weniger böse aber immer noch krasse Inhalte versuchen, abzulenken.

    Vermutlich war der Bot nicht als Bot zu erkennen, damit er menschlich wirkt? Aber die Posthistorie einsehbar? Oder eben doch zu erkennen (dann geht obiges vielleicht ja doch?). Hmm, mit Menschen stelle ich mir das schwierig vor, da sich die Menschen daran gewöhnen werden solche Systeme zu erkennen und zu ignorieren. Schon „in ein Gespräch verwickeln“ wird ja fehlschlagen müssen, dann noch die Frage mit der Erkennung von Ironie, Sarkasmus, Satire…

    Die Reaktion auf den Bot-Account kam vielleicht von Menschen die noch eigenerreichbar waren, denen vielleicht also ein guter Artikel zu dem Thema oder eine heiße Schokolade gereicht hätte, um ihr Verhalten zu ändern. Dass sie auf den Bot geantwortet haben, vermutlich ohne es zu merken, spricht allerdings für „Leute mit wenig Zeit“. Bei Gegenrede trauen sich mehr Leute auch gegenzureden, so weit so gut, gilt aber auch für Hassrede: Hass motiviert einige, auch Hass auszudrücken, oder einfach so mitzumachen.

    1. Hallo,
      all die Fragen kannst du dir leicht selbst beantworten. Anders als bei manchen Portalen ist hier die Studie gleich oben verlinkt. (Und frei einsehbar)

  2. Ich habe eine verlinkte Studie gelesen und nach meinem verstädnis steht dort das gegenteil von dem was hier behauptet wird.
    „Hassrede ist und bleibt ein grundlegendes Problem der sozialen Medien. Immer wieder befinden sich Minderheiten im Zielfeuer des Hasses. So sind vor allem LGBQT-Personen und ethnische Gruppierungen von dieser digitalen Gewalt betroffen. Dies hat weitreichende Folgen für die betroffenen Personen. “
    https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/1043986213507403

    „First, the current study’s results suggest that cyberspace environments—and a corresponding lack of physical proximity to potential offenders—may have a very different impact on an individual’s level of fear of crime than the physical environment. The levels of fear of OIPV reported by respondents were extremely low; mean fear was close to or just above a value of 1, with 0 representing no fear at all (0 = not afraid at all to 9 = very afraid).Supportive of our expectations, individuals simply are not that fearful of online victimization.“

    „Perhaps one of the most interesting results was in fact the lack of a significant relationship between previous OIPV experience and fear of OIPV. “

    eine Studie die eine relativ geringe Angst im Online Kontext ermittelt, soll dafür stehen, dass es „weitreichende“ Folgen für „betroffene“ Personen hat?

    Welche sind das und wo ist der spezifische Unterschied zum dem was im „normalen“ Leben existiert?

    Erstaunen tut mich immer wieder, wie solche sozialen Fragen im Miteinander der Menschen zu einem Politikum werden. Höflichkeit und Respekt vor anderen Menschen, insbesondere in einer Umgebung wo die schriftliche Kommunikation vorrangig ist, müssen natürlich gelernt werden.

    Statt also ständig auf die Auswüchse zu zeigen, wäre es sinnvoller wenn man Menschen beibringt, dass wir in einer sehr diversen Welt mit einer Vielzahl von Ansichten und Lebensentwürfen leben. Jeder dieser Ansichten hat für den, der sie vertritt die gleiche Bedeutung wie deine eigenen. Erst wenn Kommunikation auf dieser Ebene stattfindet ist sie zielführend.

    Im Moment stehen Verbote, Strafen und Einschränkungen im Vordegrund, was diametral entgegengesetzt zu dem ist, was Netzpolitik einmal bedeutete.

    1. Hallo,

      die Studie findet, dass sich die Wahrnehmung von interpersonellem Hass online auf die Angst vor diesem Hass auswirkt. Außerdem findet die sie, dass Opfer von vorheriger Hassrede diese Erfahrungen auf ihr soziales Umfeld übertragen.

      „Perhaps one of the most interesting results was in fact the lack of a significant relationship between previous OIPV experience and fear of OIPV. “ Generell wurden in der Studie sehr viele verschiedene Zusammenhänge abgefragt (siehe Table 2). Dass nicht bei allen signfikante Ergebnisse zu Trage kommen, ist keineswegs verwunderlich.

      Nichtsdestotrotz gebe ich Ihnen recht, dass diese Studie nicht der ideale Beleg für meine Aussage war. Dazu habe ich Ihnen nun aktuellere Studien angefügt, welche die Thematik besser umfassen:

      https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09687599.2018.1515723
      https://spssi.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1540-4560.00264

      Viele Grüße!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.