e-Governance: Staat und Digitalisierung dürfen nicht auseinanderdriften

Was muss sich ändern, damit die digitale Verwaltung endlich in Deutschland ankommt? Auf der re:publica warnte der Verwaltungswissenschaftler und Digitalrat Peter Parycek vor einem Verlust staatlicher Handlungsfähigkeit. Sein Vortrag erinnert an die alte Diskussion, ob Föderalismus überhaupt effizient sein kann.

Parycek auf der Bühne
Peter Parycek bei seinem Vortag zu „(un)regierbarer digitaler Staat?“ auf der re:publica. CC-BY-SA 2.0 re:publica

Wie können wir demokratische Rechtsstaaten so bauen, dass sie zukunftsfähig sind? Zuallererst müssen sie endlich im digitalen Zeitalter ankommen und ihre Organisationsstrukturen umbauen, meint Peter Parycek, Experte für e-Governance, bei seinem Vortrag auf der re:publica. Genauso wichtig sei es, dass digitale Lösungen in Organisation und Verwaltung transparent und nachvollziehbar bleiben.

Parycek, der den Think Tank „Öffentliche IT“ am Fraunhofer FOKUS leitet, sieht die Gefahr, dass der Staat mit der Digitalisierung nicht Schritt halten kann. Auf lange Sicht könnte er so seine Steuerungsfähigkeit und damit ein Stück weit seine Legitimation einbüßen. Deswegen müsse die digitale Logik endlich in Verwaltung und Politik Einzug halten. Denn tatsächlich ist die digitale Verwaltung in Deutschland im europäischen Vergleich weit abgehängt.

Neue Verwaltungskultur

Bei den Fragen, wie auch die deutsche Verwaltung im digitalen Zeitalter ankommen kann, müsse man neue Wege gehen. In deutschen Behörden arbeiten fast ausschließlich Jurist:innen, doch allein mit Menschen aus einem Fachbereich ist man den heutigen Anforderungen an eine moderne Verwaltung kaum gewachsen. Deswegen plädiert Parycek für eine neue Kultur, in der interdisziplinäre Teams mit den Herausforderungen des digitalen Zeitalters umgehen könnten.

Genauso müssten bereits im Gesetzgebungsverfahren neue Wege beschritten werden und Informatiker:innen verstärkt in den Gesetzgebungsprozess miteinbezogen werden. Denn digitaler Staat ginge nur, wenn Gesetz und Code gemeinsam beschlossen würden. In allen anderen Fällen würden Staat und Digitalisierung weiter auseinander driften.

„Law is Code“

Parycek nennt diese Formel „Law is Code“. Doch bisher fehle die technische Expertise im Gesetzgebungsverfahren, damit neue Gesetze und Digitalisierung Hand in Hand gehen können. Der Code kommt, wenn er denn kommt, nach dem Gesetz und außerhalb davon.

Er fordert, dass neben dem gängigen Gesetzestext und den üblichen Erläuterungen auch Programmzeilen, die e-Governance ermöglichen sollen, bereits im Gesetzgebungsverfahren diskutiert und beschlossen werden. Nur so könnten Verwaltung und Digitalisierung aufeinander abgestimmt und transparent ermöglicht werden.

Zentrales Problem: Föderalismus

Neben Veränderungen in der Verwaltungskultur, die Zeit benötigen, sieht Parycek das zentrale Problem auf dem Weg in die digitale Verwaltung in der föderalen Gliederung der Zuständigkeit in Bund, Länder und Kommunen.

Besonders im digitalen Zeitalter sei es schwer, Abläufe und Services zu digitalisieren, wenn Daten und Akten dezentral in den Ämtern der gesamten Bundesrepublik verteilt sind. Solche Organisationsstrukturen gehörten eigentlich einer längst vergangenen Zeit an. So beschreibt es Parycek, der Mitglied des Digitalrats der Bundesregierung ist, in seinem Vortrag.

Der deutsche Verwaltungsaufbau komme ursprünglich aus Zeiten, in denen das Pferd noch Hauptfortbewegungsmittel war. Die Grenzen der Landkreise seien so gezogen worden, das alles innerhalb eines Tagesritts erreichbar war. Ein solch kleingliedriges dezentrales System war notwendig, um einen Staat damals überhaupt regier- und verwaltbar zu machen.

Deutsche Liebe zum Papier

Damit einher geht die Liebe zum Papier. Ummelden könne man sich in Deutschland nur mit Amtsgängen und persönlicher Unterschrift. Hinzu kommt – und so verbinden sich Föderalismus und Papierliebe -, dass solche Verwaltungsakte dezentral erfolgen: Die „Wahrheit“ über eine Person, wenn man so möchte, ist nur dezentral in verstreuten Amtsstuben zu finden.

Was mit den vielen Verweisen Paryceks auf die Probleme des dezentralen Föderalismus für die moderne Verwaltung mitschwingt, scheint die Forderung nach einer Zentralisierung der Verwaltung zu sein. Etwa mit zentralen staatlichen Registern, in denen alles zu einer Person gespeichert wäre. Doch tatsächlich sieht der Verwaltungswissenschaftler die Antwort nicht in einem einzigen zentralisierten Register – auch wenn es für die Implementation einer digitalen Verwaltung schwierig ist, wenn Daten dezentral bei den verschiedensten Behörden gespeichert sind und nur dort verifiziert vorliegen.

Bürger:innen lenken Daten

Paryceks Vorschlag: Für die Kommunikation zwischen Bürger:innen, Verwaltung und Unternehmen müssten die Daten vielmehr bei der Bürgerin selbst gespeichert sein. Sie allein verwaltet diese und gewährt Behörden und Unternehmen den Zugriff in bestimmten Fällen, etwa bei der Ummeldung der Wohnung. Damit sei der gleiche Effekt erreicht wie bei einem zentralen behördlichen Register, jedoch liegt die Datenhoheit bei der Bürgerin.

Alles in allem, so betont Parycek, komme es darauf an, dass Digitalisierung und Staat nicht auseinander drifteten. Nur so könne die Handlungsfähigkeit des Staates im Zeitalter der Digitalisierung aufrecht erhalten werden.

Dass er dabei die Notwendigkeit eines digitalen Staates betont, ist richtig. Genauso, dass er auch Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Implementation dieser voraussetzt – ansonsten sei demokratische Governance nicht möglich.

Eine klassische Forderung im digitalen Gewand

Paryceks Vortrag klingt grundsätzlich so, als könnten Digitalisierung, Verwaltung und demokratische Legitimation ganz einfach miteinander vereint werden.

Bei genauem Hinhören wird aber deutlich, dass sein Konzept gängigen Forderungen nach effizienteren Strukturen für eine gesteigerte staatliche Handlungsfähigkeit entspricht. Hier wird die Rechtfertigung staatlichen Handelns über Effizienz erreicht und weniger darüber, wie es rechtsstaatlich adäquat gegenüber den Bürger:innen mit Kontrollmechanismen legitimiert werden kann.

Dies hat seinen Ursprung in der klassischen Diskussion um die Probleme des kooperativen Föderalismus und positioniert sich auf Seite der Zentralisierung – für mehr Handlungsfähigkeit des Bundes gegenüber den Ländern. Damit bekommt seine Analyse einen Hauch der bekannten Aussage, dass der Föderalismus Hindernis auf dem Weg zu gesteigerter Handlungsfähigkeit sei. Die Kontrollmechanismen, die nur ein Föderalismus gewährleistet, könnten dabei übersehen werden.

Dass Parycek dies durch möglichst transparente Strukturen ausgleichen möchte und den Bürger:innen die Kontrolle über ihre Daten geben möchte, scheint hier ein wichtiges Gegengewicht. Doch es bleibt abzuwarten, wie dies im weiteren Verlauf diskutiert wird und welche Form des digitalen Staates am Ende des Prozesses steht. Denn viele der Gesetze zu einer digitalen Verwaltung sind bereits gemacht – nur an ihrer Umsetzung fehlt es noch. Der Handlungsspielraum für eine transparente digitale Verwaltung bleibt damit klein.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. –> Zitat: „Paryceks Vortrag klingt grundsätzlich so, als könnten Digitalisierung, Verwaltung und demokratische Legitimation ganz einfach miteinander vereint werden. “

    Deutschland hat ein Grundgesetz beschlossen, was den Förderalismus als eines von mehreren Standbeinen unserer Demokratie vorgesehen hat.
    Genau deshalb finde ich die immer wiederkehrende Diskussion nicht zielführend, den Zentralismus einzuführen als alleinseligmachende Strategie, höchstmögliche Effizienz zu erzielen.
    –> Zitat: „Die Kontrollmechanismen, die nur ein Föderalismus gewährleistet, könnten dabei übersehen werden“

    Die Software hat sich der Demokratie anzupassen und nicht umgekehrt.

    Zitat: „Besonders im digitalen Zeitalter sei es schwer, Abläufe und Services zu digitalisieren, wenn Daten und Akten dezentral in den Ämtern der gesamten Bundesrepublik verteilt sind“

    Das ist nicht überzeugend, sondern für mich nur ein weiters Argument, den Zentralismus einzuführen (siehe oben).
    Zum Beispiel ist es überflüssig, zentrale Polizeiregister neu zu erfinden.
    Mit einfachen „Bordmitteln“ der Datenbansprache bzw. Datenkonvertern wäre es möglich, alle behördlich vorliegenden Datenbanken zentral abzufragen.
    Vielleicht darf ich auch an Onlinebuchungen von Fluggesellschaften oder Banken erinnern.
    Es gibt keine zentrale Datenbank aller Banken oder aller Fluggesellschaften.

    Richtig, dass persönliche Daten den Bürgen gehören und nicht dem Staat. Ein weiters Argument für die Dezentralisierung.
    –> Zitat: „Für die Kommunikation zwischen Bürger:innen, Verwaltung und Unternehmen müssten die Daten vielmehr bei der Bürgerin selbst gespeichert sein.“

    Was mir in diesem Vortrag fehlt sind jedoch wesentliche, für den Bürger existenziell vorzusehende digitale Grundrechte:
    Datenschutz und Datensicherheit.

    Gerade das bewegt uns Bürger und wir wollen darauf eine Antwort.
    Deshalb ist es wichtig, Datenschutz und Datensicherheit sowie Anonymisierung bereits jetzt festzulegen.

    Für die Anonymisierung muss klar geregelt sein, dass es KEINE Rückschlüsse auf Personen oder Personengruppen und deren (bzw. bestimmten) Eigenschaften geben darf, auch nicht bei einer Zusammenführung mit anderen Daten.

    Gerade der Datenschutz bedarf der Transparenz, um Misstrauen der Bürger abzubauen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.