Ein Blick über den Tellerrand hat bekanntlich noch nie geschadet. Die Auslandskorrespondenten des Afrika-Ressorts von netzpolitik.org haben sich in Südafrika umgesehen, die dortigen netzpolitischen Diskussionen verfolgt, etwas von der Netzkultur aufgesaugt und einen Blick auf einige aktuelle Gesetzesvorhaben geworfen.
Südafrika zählt zu den sogenannten BRICS-Staaten, also den wirtschaftlichen Mittelmächten, zusammen mit Brasilien, Russland, Indien und China. Das Land ist seit mehreren Jahrzehnten der mit Abstand reichste Staat Afrikas. Telekommunikationsinfrastruktur konzentriert sich in urbanen Gebieten, ihre Nutzung ist stark einkommensabhängig. Der Schlüssel zum Internet ist oft das Smartphone, das sich jedoch längst nicht jeder leisten kann. In den Städten ist ein Großteil der Bevölkerung online und über Social-Media-Plattformen vernetzt, doch viele Menschen haben gar keinen Zugang zum breitbandigen Internet, besitzen keine Hardware oder sind Analphabeten.
Nach Ende der Apartheid gab sich das Land zwar eine moderne, sehr liberale Verfassung. Es herrscht aber weiterhin ein großes Bildungsgefälle und eine Ungleichheit der Chancen. Von mehr als einer Million Kindern, die vor zwölf Jahren in Südafrika eingeschult wurden, erreichte nicht einmal die Hälfte einen Abschluss der Sekundarschule. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist zudem unterbeschäftigt oder arbeitslos.
Trotzdem ist es eines der afrikanischen Länder, in die vergleichsweise hohe ausländische Investitionen in Wirtschaftsbereiche fließen, die mit Netz und Infrastruktur sowie mit technischer Ausbildung zu tun haben. Ein Beispiel dafür ist die „African Skills Initiative“ des US-Konzerns IBM, der soeben auch das erste Cloud-Data-Center in Südafrika eröffnete.
Internet-Zensur
Es wird bereits seit Monaten darüber gestritten, wie eine Regulierung privater kommerzieller Plattformen gestaltet werden soll. Dabei ist man mit den politischen Vorschlägen nicht zimperlich: In Südafrika droht ein Internet-Zensur-Gesetz, das auf dem afrikanischen Kontinent seinesgleichen sucht.
Jeder Film, jedes Spiel, jede Veröffentlichung auf Social-Media-Plattformen soll vorab klassifiziert werden. Gleichzeitig sollen die Nutzer angehalten werden, sich als Inhalteanbieter zu registrieren. Das betrifft Blogger oder Social-Media-Nutzer, die Inhalte hochladen, unabhängig davon, ob es große wirtschaftliche Unternehmen oder Tagebuch-Schreiber mit Katzenfotos sind.
Zusätzlich soll ein Ausschuss („Film and Publication Board“, FPB) gebildet werden, der sich hochgeladenen Inhalten von nicht registrierten Personen widmet und deren Videos oder Audio-Dateien bewertet und einordnet:
Upon classification, the Board shall dispatch a copy of the classification decision and an invoice payable by the online distributor within 30 days […] In this case, an «online distributor» might be a South African ISP, despite the fact that they might have no connection with any «global digital media platform» who might be hosting the content. And no provision seems to be made for content uploaded via non-local services. In either case, the draft presumes that ISPs have both the capacity and the will to take down the original video, and to upload a new, classified, version containing the FPB’s logo.
Ein südafrikanischer Internet Service Provider (ISP) stünde damit vor der Notwendigkeit, eine Zensur-Infrastruktur einzurichten und darüber Inhalte durch klassifizierte Versionen zu ersetzen. Generell wird der Entwurf aber für die eklatanten Eingriffe in das Recht auf unzensierte freie Rede kritisiert.
Überwachung
Eine ansteigende Zahl von Überwachungsmaßnahmen gegen Journalisten, politische Aktivisten und Menschenrechtler verzeichnet ein im letzten Jahr veröffentlichter Bericht: Big Brother Exposed (auch als pdf). Insbesondere den diversen südafrikanischen Geheimdiensten wird darin vorgeworfen, gegen NGOs und Aktivisten gezielt vorzugehen.
Zudem ist die wichtige Position des „Inspector General of Intelligence“ seit vielen Monaten unbesetzt und damit die Kontrolle der Geheimdienste nicht mehr gewährleistet. Jüngst wurde aber immerhin angekündigt, dass die lange verzögerte Wahl des Geheimdienstkontrolleurs nun endlich stattfinden soll. Allerdings wird der derzeit vorgeschlagene Kandidat, Cecil Burgess, als nicht unabhängig und geheimdienstnah kritisiert. Südafrikanische Behörden nutzen außerdem IMSI-Catcher, die „Grabber“ genannt werden. Ob und in welchem Maße der Einsatz rechtmäßig ist, gilt als ungeklärt.
Gegen NGOs, die Machenschaften der Geheimdienste kritisieren, geht man mit harten Bandagen vor. Man fühlt sich an Meldungen im Zusammenhang mit Russland erinnert, wenn über eine zivilgesellschaftliche Initiative wie Right2Know gar im südafrikanischen Parlament behauptet wird…
…certain NGOs, specifically Right2Know, were known to be agents working for foreign governments.
Kritiker als von ausländischen Mächten gesteuerte Sockenpuppen zu diffamieren, beantwortet allerdings noch nicht die Fragen, die sich nach der Rechtmäßigkeit von gezielten Überwachungsmaßnahmen stellen.
Aber auch jenseits gezielter Überwachung sind die südafrikanischen Pläne zur Vorratsdatenspeicherung drastisch: Der Entwurf des Communication-Related Information Act (RICA) würde Telekommunikationsunternehmen verpflichten, in Zukunft alle Metadaten der Nutzer für bis zu fünf Jahre zu speichern.
Nachdem im Jahr 2008 das sogenannte „National Communications Centre“ von einer Expertenkommission („Matthews Commission“) untersucht worden war und die von dort technisch administrierte Überwachung für ungesetzlich und nicht der Verfassung entsprechend erklärt wurde, blieb die Institution allerdings bestehen. Auch in RICA findet sich keine Regulierung des Überwachungszentrums. Zudem wird noch immer das Inkrafttreten des ersten südafrikanischen Datenschutzgesetzes („Protection of Personal Information Act“) hinausgezögert.
Netzpolitik in der Nische
Es gibt einige Parallelen in der politischen Geschichte von Südafrika und Deutschland, das viele Jahre eine unrühmliche Rolle als Unterstützer des Apartheid-Regimes einnahm. Doch das Ende der Apartheid und der Fall der Mauer liegen zeitlich nah beieinander und waren einschneidende Veränderungen der jeweiligen Gesellschaften, die nun mehr als fünfundzwanzig Jahre zurückliegen.
Das Wahlvolk ist hier wie dort mit den politischen Entwicklungen seitdem nicht durchgehend zufrieden – und drückt das über Social-Media-Kanäle auch ungeschminkt aus. Aufgrund der Tatsache, dass (im Vergleich zu Deutschland) vor allem Twitter von deutlich mehr Politikern, Journalisten und Aktivisten genutzt wird, sind die politischen Diskussionen schnell, weitgreifend und ziemlich heftig – und dann oft landesweite Nachrichten.
Eine nationale Kontroverse um Intoleranz, Rassismus, Xenophobie und Hass entzündete sich im Januar an dem Beispiel eines rassistischen Facebook-Posts von Penny Sparrow, einer Immobilienmaklerin. Ihr Post, in dem sie Schwarze mit Affen verglich, wurde schnell viral und trendete tagelang. Die Debattenkultur, die sich danach entfaltete, ist in ihrer Vehemenz kaum vergleichbar mit deutschen Usancen im Netz.
Argumentativ ähnelte der Streit den Diskussionen über hate speech in anderen Ländern. Er drehte sich auch um rechtliche Fragen der Strafbarkeit von rassistischer, sexistischer oder homophober Sprache und darum, ob nicht die Gefahr bestünde, dass bei einem Verbot auch Wortmeldungen umfasst werden, die etwa Rassismus kritisieren oder exponieren sollen. Wie ein „rechtswidriger Inhalt“, der entfernt werden soll, definiert ist, muss natürlich im Einzelfall betrachtet werden. Aber wo genau die Grenze zur Rechtswidrigkeit überschritten wird, bleibt eine der Kernfragen.
Netzpolitische Themen stehen allerdings inhaltlich nur selten im Fokus nationaler Diskussionen. Grund dafür könnte vor allem die nach dem Aufstieg von Jacob Zuma 2009 nun wieder instabiler werdende politische Lage in Südafrika sein. Derzeit scheinen sich die studentischen Proteste gegen Studiengebühren zu Unruhen auszuweiten.
Viele netzpolitische Fragestellungen, die in anderen Ländern seit Jahren kontrovers diskutiert werden, finden in einer breiteren Öffentlichkeit allerdings bisher kaum Beachtung, etwa die Fragen der Netzneutralität, aber auch die massenhafte Auswertung und Ökonomisierung menschlicher Alltagskommunikation. Eine Ausnahme bilden nur einige Aspekte des verstärkten Sicherheitsstrebens („securitisation“) im Bereich von Polizei und Geheimdiensten, das in vielen Ländern zu beobachten und auch in Südafrika ein Streitthema ist.
Das Fehlen von öffentlichen netzpolitischen Diskursen muss zumindest für einige Bereiche von Technologiepolitik nicht unbedingt ein Nachteil sein. William Bird, Geschäftsführer von Media Monitoring Africa (MMA), drückt das so aus:
Trailer) aus dem Jahr 2005 empfohlen. Es ist einer der erfolgreichsten südafrikanischen Filme, der 2005 den Academy Award als bester fremdsprachiger Film bekam. „Tsotsi“ bedeutet übersetzt soviel wie Rowdy oder Gangster und spielt in einem Township von Johannesburg.
Das könnte auch auch von unseren 3Ms stammen: de Maiziere, Maas, Maaßen.
Die 3 sind grade dabei, neuer Lieblingspartner von D: Türkei. Zensur, Journalisten und NGOs als Terroristen, Präsident zeigt jeden wegen Präsidentenbeleidigung an, Verfassungsgericht … ein Träumchen für die 3, aber auch andere freuen sich schon nen Ast.
Danke für den „Blick über den Tellerrand“ von den „Auslandskorrespondenten des Afrika-Ressorts von netzpolitik.org“!
Bei allen Fakten die hier zusammengetragen werden würde mich aber doch mal interessieren wie oft und wann zuletzt die Autorin dieser Zeilen in Südafrika war.
Da wäre nämlich so einiges zu ergänzen um das Ganze in einen vernünftigen kontext zu setzen
agreed…sehe hier, mit kleinen landesspezifischen unterschieden, aber eher ein weltweites phenomenon.
Ich war vor drei Wochen in Südafrika. An dem Bericht haben mehrere Personen mitgewirkt, In- und Ausländer. Er hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das wäre auch kaum möglich bei der Länge des Beitrags. Es sind aber weitere Berichte geplant.
Wenn Sie etwas ergänzen möchten, können Sie das gern in den Kommentaren tun. Sicher sind Sie der Meinung, einen „vernünftigen Kontext“ herstellen zu können.
Hm, so ein genereller Intelligenzinspektor wäre in Deutschland auch nicht schlecht, oder?
Ich denke da an Themen wie Bildung und Computaausbildung von Grundschülern.
Aktuell hilft die Lehrerin so, dass sie die Suchmaschine „Frag mal den kleinen Finn “ in Baden-Württemberg zeigt und dann noch die „Blinde Kuh“ – oder anders herum …
Lieben Gruß SUSI
Hm, wenn PENNY noch anfängt PUTZI in Südafrika zu lesen, dann wird es interessant.
Kinds regards to South Africa from SUSI and STROLCHI
:-)