Interview mit Max Mehl über die Vorteile von Freier Software und Tech-Konferenzen, die keine sind

Wir sprechen in einem Interview mit Max Mehl über die im September stattfindende Konferenz der Free Software Foundation Europe und deren Themen, aber auch über Aktivismus für Freie Software in Europa und in Entwicklungsländern.

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) setzt sich nicht nur für Freie Software im engeren Sinne ein, sondern versucht gesellschaftliche Entwicklungen zu unterstützen, die Menschen in die Lage versetzen, ihre alltäglich genutzten Computer besser kontrollieren zu können. Sie veranstaltet im September in Berlin die Konferenz FSFE Summit.

Themen der FSFE

netzpolitik.org: Du hast vor ein paar Jahren als Praktikant bei der FSFE begonnen und bist dabeigeblieben. Jetzt feiert die FSFE ihr fünfzehnjähriges Jubiläum und plant in Berlin eine große Konferenz: die FSFE Summit. Was sind aus Deiner Sicht die drängendsten Themen?

Max Mehl: Genau, 2013 hab ich sechs Monate als Praktikant für die FSFE gearbeitet, war aber schon davor als Freiwilliger aktiv. Es gibt so viele Felder, in denen wir die Ideale Freier Software einbringen müssen. Für mich am spannendsten sind die vielen kleinen Geräte, die im kommenden Internet-of-Things-Zeitalter in unseren Wohnungen Platz nehmen werden und die damit verbundene Frage, was unter deren Haube passiert und wie sie mit unseren Daten umgehen. Das ist wieder die Frage nach Kontrolle. Ein anderes wichtiges Thema sind „Clouds“, die keine ominösen Wolken sind, sondern echte Computer, die meist nicht uns gehören. Da müssen wir Lösungen finden, die Fortschritt nicht bremsen, aber unsere Freiheiten und Rechte nicht einschränken.

netzpolitik.org: Die FSFE hat explizit angesagt, es sei keine Tech-Konferenz? Warum?

Max Mehl: Es geht bei unserem Summit eher um die Gestaltung der Welt der Technik, nicht rein um Software an sich. Wir arbeiten seit fünfzehn Jahren daran, die Bedingungen für Freie Software zu verbessern und damit elementare Rechte für alle Menschen in Europa zu schützen. Das ist unsere Aufgabe. Dafür brauchen wir natürlich Tech-Experten, aber auch Ideen aus ganz anderen Bereichen.

netzpolitik.org: Ist denn da eine neue Entwicklung, die FSFE hat doch immer auch politisch gearbeitet und gesellschaftliche Themen angesprochen?

Max Mehl: Für die FSFE ist das natürlich seit jeher die Kernaufgabe, und daran hat sich auch nicht viel geändert. Aber die Wahrnehmung von Freier Software hat sich geändert und zwar stark zum Positiven, was sicher auch ein Erfolg der FSFE ist. Vor fünfzehn Jahren wusste kaum ein Politiker, Unternehmer oder Journalist, was Freie Software ist, heute ist das ein ganz normales Thema auf der Agenda. Und eben weil die Frage der Kontrolle von Technik immer brennender wird und das auch von immer mehr Menschen verstanden wird, glauben wir auch, dass eine nicht rein technische Konferenz dringend angebracht ist.

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FSFE Summit vom 2. bis 4. September in Berlin.

netzpolitik.org: Wie weit verbreitet ist das Wissen um Freie Software und die Philosophie dahinter? Es kennen vielleicht viele noch Linux, aber gimp, git oder LibreOffice?

Max Mehl: Natürlich haben wir noch viel Arbeit vor uns, aber es geht stark voran. Es gibt Freie Software wie Firefox, Thunderbird oder LibreOffice, die sehr verbreitet und technisch nicht-freier Software oft überlegen ist. Und allein, dass sich Medien für Freie Software mehr interessieren, zeigt doch, dass das Thema immer mehr in das Zentrum unserer Gesellschaft rückt. Nichtsdestotrotz müssen wir beispielsweise noch daran arbeiten, dass Menschen überhaupt wissen, welche Freie Software sie schon nutzen und warum das so wichtig und gut ist. Dafür veranstalten wir etwa jedes Jahr den „I love Free Software“-Tag, der in den letzten Jahren immer viel positives Echo von uns eigentlich bisher fernen Communities gebracht hat.

Aktiv für etwas, das ich für wichtig und richtig erachte

netzpolitik.org: Würdest Du Dich eigentlich als Aktivist bezeichnen?

Max Mehl: Darüber hab ich noch nie so nachgedacht, aber ich denke schon. Ich bin aktiv für etwas, das ich für wichtig und richtig erachte.

netzpolitik.org: Warum steckst Du Deine Zeit in Freie Software?

Max Mehl: Ich habe gemerkt, dass Software ein elementarer Bestandteil unseres heutigen Lebens ist. Sie steckt in unseren Computern, Mobilgeräten, Autos, Fernbedienungen, Druckern, in Bankautomaten und Flugzeugen. Dabei stellt sich mir die Frage, ob wir zulassen möchten, dass Software uns kontrolliert und nicht andersrum. Ich glaube, und die FSFE auch, dass Menschen in der Lage sein müssen, ihre Technik kontrollieren zu können, und das geht nur mit Freier Software. Die gibt jedem Menschen das Recht, sie frei zu verwenden, verstehen, verbreiten und verbessern zu können. Und das möchte ich unterstützen.

netzpolitik.org: Du warst mehrere Monate in Tansania, was hast Du mitgenommen für Deinen Aktivismus hier? War Freie Software dort ein Begriff?

Max Mehl: Mitgenommen habe ich sicherlich, dass ich Aktivismus nicht immer nur aus meiner mitteleuropäischen Situation betrachten sollte. Seitdem sehe ich viel mehr Vorteile von Freier Software, etwa auch für Entwicklungsländer und die Menschen, die darin leben. An der Schule, an der ich dort fünf Monate gearbeitet habe, war Freie Software leider nicht bekannt, nur den Begriff „Open Source“, was ja ein Synonym ist, haben zumindest einige Lehrer schon mal gehört. Als ich allerdings davon erzählt habe, hatte ich schnell ein ganzes Klassenzimmer überzeugt.

Viele Lizenzkosten sind gerade für Bildungseinrichtungen in Entwicklungsländern exorbitant teuer. Der Vendor-Lock-in, also dass man quasi vom Hersteller gezwungen wird, eine neue Version zu kaufen, versetzt Schulen gerne mal den finanziellen Todesstoß. Gleichzeitig ermöglicht Freie Software, dass etwa lokale Anbieter für ein Unternehmen oder eine Uni Anpassungen an der Software vornehmen können, und zwar in einem Finanzrahmen, der den dortigen Verhältnissen entspricht. Das fördert eine Art der Innovation und einen Wirtschaftskreislauf, der ganz viele Vorteile für solche Gesellschaften hat.

Über die europäischen Grenzen hinaus

netzpolitik.org: Siehst Du den Aktivismus der FSFE seither anders, die FSFE ist ja eigentlich dem Namen nach Europa-fixiert? Bringt es anderen Ländern was, wenn wir hier in Europa Erfolge in Sachen Freie Software feiern?

Max Mehl: Eigentlich sehe ich es seitdem noch positiver, dass sich die FSFE für ganz Europa einsetzt, also auch für wirtschaftlich schlechter gestellte Länder als Deutschland oder Frankreich. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass es eine Freie-Software-Organisation für die ganze Welt geben kann, dafür haben unterschiedliche Regionen einfach zu unterschiedliche Begebenheiten und Kulturen, auch auf politischer Ebene. Da ist unser Modell, finde ich, die beste Lösung, mit Schwesterorganisationen in den USA, Lateinamerika und Indien. Erfolge strahlen aber weit über diese Grenzen hinaus.

netzpolitik.org: Wieviele Leute sind derzeit bei der FSFE, und welches sind die Länder, die auf der Aktivismus-Skala weit oben sind, also wo bringen sich besonders viele ein?

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Max Mehl.

Max Mehl: Wir haben zehn Mitarbeiter, aber tausende Freiwillige auf verschiedenen Ebenen, also in lokalen Gruppen oder Länderteams, aber auch in thematischen Teams wie etwa für unsere Webseiten und Übersetzungen. Von den lokalen Gruppen sind am meisten in den deutschsprachigen Ländern, den Niederlanden, Italien und Frankreich aktiv, aber wenn ich sehe, dass unsere monatlichen Newsletter in durchschnittlich sieben Sprachen übersetzt werden, darunter etwa auch oft ins Albanische, sind wir wirklich sehr breit europäisch aufgestellt. Es ist aber eines unserer großen Anliegen, auch vermehrt den Aufbau von regionalen Teams in Ländern außerhalb unserer Hotspots zu fördern.

netzpolitik.org: Und wieviele Leute werden zur Summit erwartet?

Max Mehl: Da hab ich noch keine Zahlen parat. Ich bin mir aber sicher, dass es mindestens eine mittlere dreistellige Zahl werden wird, auch angesichts der vielen hochklassigen Vorträge, der zentralen Lage in Europa und der Verbindung mit anderen Communities.

netzpolitik.org: Wird Richard Stallman kommen?

Max Mehl: Nicht, dass ich wüsste. Aber vielleicht erstattet er uns ja einen Überraschungsbesuch, wer weiß? :)

netzpolitik.org: Zuletzt: Es geht das Gerücht, dass „Max Mehl“ ein Pseudonym ist. Willst Du das bestätigen oder lieber schweigen?

Max Mehl: …

netzpolitik.org: Vielen Dank, dass Du uns für dieses Gespräch zur Verfügung gestanden hast.

Max Mehl ist Deutschland-Koordinator der FSFE. Er setzt sich für Nutzerrechte und Sicherheit ein und beschäftigt sich bei der FSFE mit Themen wie dem Routerzwang, der Funkrichtlinie oder DRM (Digitale „Rechteminderung“). Manchmal schreibt er auch Gastbeiträge bei uns oder bei heise.

Alle Informationen zur Summit sind hier zu finden: https://www.fsfe.org/summit16. Die FSFE bittet um eine Spende, auch wegen der Verpflegung, die inklusive ist. Empfehlung: 50 Euro, um die Verpflegung zu decken, 100 Euro, um die Kosten teilweise zu decken, 150 Euro FTW!

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Eine Ergänzung

  1. Zitat:
    „netzpolitik.org: Würdest Du Dich eigentlich als Aktivist bezeichnen?

    Max Mehl: Darüber hab ich noch nie so nachgedacht, aber ich denke schon. Ich bin aktiv für etwas, das ich für wichtig und richtig erachte.“

    … für unsere aktuellen Meinungs-/Volksvertreter, die wir ja alle durch unseren Freien Willen gewählt haben … bedeutet „Aktivist“ zu sein, das diese Menschen für spezifische Dinge engagieren, die evtl. politisch nicht gewollt sind, also dem politischen Interesse entgegenwirken, sind Gefährder bzw. Terroristen, da diese „Aktivisten die Durchsetzung der aktuellen Politik gefährden und die Volksvertreter mit der Meinung des Wahlvolkes, aktiv terrorisieren!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.