Als das Bundesarchivgesetz 1988 in Kraft trat, waren die Voraussetzungen für die Verwaltung grundlegend anders als heute: An eine Aktenführung mithilfe von Computern war in Bundesbehörden nicht zu denken. Dementsprechend reformbedürftig ist inzwischen das Archivrecht des Bundes, das jetzt für den digitalen Wandel gestärkt werden soll. Nach einem Entwurf der Bundesregierung, der kürzlich den Bundesrat nahezu anstandslos passierte, wird erstmalig die Übernahme elektronischer Unterlagen aus Bundesbehörden ins Bundesarchiv geregelt.
Allerdings verschlechtert der Entwurf auch den Zugang zu Unterlagen: Das Gesetz regelt, dass amtliche Informationen im Bundesarchiv erst dann eingesehen werden können, wenn eine Schutzfrist von dreißig Jahren abgelaufen ist. Das galt jedoch bisher nicht für Unterlagen, die bereits nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) prinzipiell offenstanden.
Akten erst offen, dann dreißig Jahre geschlossen
Mit der neuen Regelung ändert sich dies. Danach sollen nämlich nur noch die Unterlagen nicht der Schutzfrist unterliegen, die tatsächlich auch per IFG angefragt wurden. Das bedeutet: Dokumente, die nach dem IFG frei zugänglich sind, könnten ins Archiv übergeben werden und danach paradoxerweise wieder geschlossen sein, bis die Schutzfrist von dreißig Jahren abgelaufen ist.
Wenn Akten nicht angefragt werden, bevor sie ans Archiv übergeben werden, müssten Bürger also Jahrzehnte darauf warten, die Inhalte einzusehen. Bundesbehörden sollen ihre Akten in der Regel dann dem Archiv anbieten, wenn sie zur „Aufgabenwahrnehmung“ nicht mehr benötigt werden.
Die Neuregelung ist nicht nur unsinnig. Es ist auch juristisch umstritten, ob es legal wäre, bereits dem Prinzip nach offene Akten wieder vom Informationszugang auszunehmen. Zu klären wäre, ob das Archivgesetz in diesem Bereich als Spezialgesetz das Informationsfreiheitsgesetz ausstechen könnte.
Geheimdienste müssen Akten nicht mehr ans Archiv geben
Aber auch im Bereich der Geheimdienste ist eine gravierende Einschränkung der Informationsfreiheit zu erwarten: Nach dem neuen Entwurf sollen Akten von Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Co. nur noch dann dem Archiv angeboten werden, wenn die Dienste selbst „überwiegende[n] Gründe des Nachrichtenzugangs“ sehen. Danach könnte etwa der BND selbst entscheiden, ob er eigene Dokumente auch nach Jahrzehnten noch schutzwürdig findet – eine Regelung, die er zur extensiven Geheimhaltung ausnutzen könnte.
Die Organisation „netzwerk recherche“ schreibt dazu in einer Stellungnahme an den Kulturausschuss des Bundestags:
Keine Anbietungspflicht [von Unterlagen ans Bundesarchiv] soll bereits bestehen, wenn die Unterlagen nicht der „Verfügungsberechtigung unterliegen“. Dies führt dazu, dass Unterlagen Dritter standardmäßig nicht herausgegeben werden müssen. Es ist noch nicht einmal festgelegt, dass sich die Geheimdienste um die Freigabe bei dem angeblich Verfügungsberechtigten bemühen. Angesichts der sehr restriktiven Ansicht von dritten Diensten oder bei nicht mehr existenten Diensten (MfS) wird einer Freigabe regelmäßig nicht erfolgen. Diese Unterlagen sind aber für das Verständnis der Akte unerlässlich, sowohl aus journalistischer wie historischer Sicht.
In den letzten Jahren musste der BND unter anderem Unterlagen zu Adolf Eichmann herausgeben, die zeigen, dass die Vorgängerorganisation des BND fünf Jahre vor dem Mossad bereits Kenntnis vom Aufenthaltsort von Adolf Eichmann hatte. Nach der Gesetzesnovelle könnten solche Akten weiter im Giftschrank lagern.
Akten werden privatisiert und gelöscht
In letzter Zeit musste das Bundesarchiv weitere Kritik einstecken: Die Journalistin Gaby Weber hat Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht, mit der sie das Archiv zwingen will, „privatisierte Akten“ aus den Archiven von Stiftungen wie der Helmut-Schmidt-Stiftung und der Konrad-Adenauer-Stiftung zu beschlagnahmen. Dort lagern, wie es in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten üblich ist, Akten unter anderem der Bundeskanzler, die diese nicht ordnungsgemäß ans Bundesarchiv übergeben, sondern mit nach Hause ins Privatarchiv genommen haben. In den fraglichen Akten, die Anlass für die Verfassungsbeschwerde sind, geht es unter anderem um Verhandlungen der jungen Bundesrepublik mit Israel mutmaßlich über Widergutmachungszahlungen und Hilfen im Rahmen des israelischen Atomprogramms. Die Neufassung des Archivgesetzes sieht zu diesem Problem keine Regelung vor.
Das Verhältnis zwischen Transparenzbefürwortern und Bundesarchiv ist ohnehin angespannt. Manche Archivare machen die Einführung des Informationsfreiheitsgesetzes dafür verantwortlich, dass die Aktenführung von Behörden sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hat.
Um die Herausgabe von sensiblen Informationen zu umgehen, greift tatsächlich mancher Minister darauf zurück, Notizen in Akten ausschließlich per Post-It zu vermerken. Die können bei einem Antrag auf Informationszugang schnell entfernt werden. Die Gesetzesnovelle greift auch dieses Problem nicht auf. Dabei sollte eine ordnungsgemäße Aktenführung mit einer bußgeldbewährte Pflicht zur Paginierung von Akten, Vollständigkeit von Aktenbeständen und Protokollierung von Treffen gerade in Deutschland zum Standard der Verwaltung gehören.
Die Anhörung zum Gesetzentwurf findet am 19. Oktober im Kulturausschuss des Bundestags statt.
[Update, 11. Oktober:] Die deutsche Gesellschaft für Informationsfreiheit hat sich ebenfalls gegen die geplante Novelle gewandt: „Kanzleramt will Informationsfreiheit aushöhlen“
[Update, 18. Oktober:] Die Bundesbeauftragte für Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, spricht sich ebenfalls gegen Teile der Novelle aus:
Die geplante Änderung zu § 6 des Bundesarchivgesetzes ist kritisch zu bewerten. Bereits heute kann das Bundesarchiv den Zugang zu Informationen beschränken, die der Geheimhaltung unterliegen. Betroffene können solche ablehnenden Entscheidungen vor Gericht überprüfen lassen. Nach der geplanten Änderung könnten die Nachrichtendienste selbst entscheiden, ob und welche Unterlagen an das Bundesarchiv übergeben werden. Anders als beim Bundesarchiv wäre die Entscheidung der Nachrichtendienste aber nicht gerichtlich nachprüfbar. Ein Anspruch auf Informationszugang nach dem IFG besteht gegenüber den Nachrichtendiensten nicht. Historisch bedeutsame Unterlagen würden gegebenenfalls nicht archiviert und könnten somit auch für Forscher und Wissenschaftler verloren gehen.
Nur mal so am Rande: es gibt auch die Möglichkeit der Schutzfristverkürzung (natürlich auf Antrag).
Es war ja schließlich noch nie so, dass man einfach ins Archivmagazin laufen konnte und sich umsehen konnte. Die Schutzfrist auf Akten, die nach IFG „öffentlich“ waren, ist zwar paradox, aber auch nicht so dramatisch, wie hier vielleicht gedacht.
Und mal ehrlich: Bußgelder bei schlechter Aktenführung? Ernsthaft? Wer denkt sich denn solche realitätsfernen Ideen aus??? Nicht, dass sich Archive nicht darüber freuen würden…..
Wie ist das mit den Schutzfristen geregelt?
Habe schon 60 Jahre gelesen.
Hängt davon ab, ob Sachakte, personenbezogene Akte oder „besonders schutzwürdige Inhalte“.
In Niedersachsen (andere JAhreszahlen, im Grunde aber das selbe System) sind es bspw. 30 für Sachakten, für besonders schutzwürdige (schwammig) 50, personenbezogene 100 Jahre ab Geburt oder 10 ab Tod, je nachdem, was bekannt ist.
Die 60 Jahre beziehen sich auf besondere Inhalte, nämlich Akten nach § 30 Abgabenordnung, § 35 SGB 1, § 32 Gesetz über die Deutsche Bundesbank oder § 9 Gesetze über das Kreditwesen oder „anderen“ Rechtsvorschriften über Geheimhaltung.
Besonders witzig „Bußgeldbewerte Paginierung“ – in welcher analogen Welt lebt eigentlich Netzpolitik? Ich stelle mir gerade die Paginierung der E-Akte vor – was im DMS nun völlig sinnfrei ist. Da redet der Blinde vom Sehen!
Die E-Akte ist noch immer nicht verpflichtend für Behörden und wird dementsprechend auch nicht unbedingt verwendet.
Trotzdem ist die Idee unrealistisch. Sinnvoller wäre hier die Einflussnahme der Archive auf die Schriftgutverwaltung/Records Management, also die Aktenführung. Dieser Einfluss ist zumindest in NRW im Archivgesetz festgeschrieben (das ist allerdings nicht strafbewehrt) und kommt bei der Einführung von DMS und EAkte wieder zum tragen. Beim BND ist das aber vermutlich sowieso egal, der macht ohne vernünftige parlamentarische Kontrolle eh, was er will….und das ist wirklich ein Problem.
Schwachsinn: Seit dem eGovG Bund 2013 und dem eJusticeG 2014 ist sie es und die Länder ziehen sukzessive nach! Netzpolitik als Geschichtsblog???
Hallo Tom, lass uns doch freundlich miteinander sein. § 6 EGovG tritt erst 2020 in Kraft und ist auch nur eine Soll-Vorschrift.
Nö, § 6 ist seit 31.08.2013 in Kraft! Er muss nur bis 2020 umgesetzt sein! Wer lesen kann…! Raten Sie mal, warum der Bund gerade einen Basisdienst E-Akte aufbaut? Richti, um den Rollout bis 2020 sicherzustellen! Es wäre schön, wenn Netzpolitik hier up to date wäre – ansonsten hilft (nicht nur das Bundesarchiv) sicher gern bei der Weiterbildung. Abgesehen davon haben kaum noch Bundesbehörden Papierakten womit die Paginierung nun vollkommen anachronistisch ist. Insofern bitte erst Fakten prüfen und dann polemische Artikel schreiben mit Forderungen, die seit > 15 Jahren überholt sind…
PS: und das SOLL kann nur umgangen werden, wenn die Einführung wirtschaftlich nicht tragfähig ist, was angesichts der seit Jahren währenden Forderungen des BRH nach E-Akten sowie den einschlägigen Entwicklungen auf EU-Ebene (z.B. eIDAS) nur bei wenigen, sehr kleinen Behörde realistisch machbar ist, zumal auf Landesebene vielfach keine Ausnahmen bestehen und ein hoher Anteil der Kommunikation nun einmal Bund-Land umfasst… Insofern wäre es gut, wenn Sie sich mit den Fakten zum E-Government-Gesetz befassen, anstatt Forderungen aus den 1980„ ern aufzumachen – ernst nehmen kann man Netzpolitik damit nun wirklich nicht!
Mir ging es um die Bußgeldbewehrung der schlechten Aktenführung die ich für unrealistisch halte (Wer soll das anhand welcher Kriterien entscheiden? Und wer wird bestraft? Der Sachbearbeiter? Der Vorgesetzte? Das Ministerium, das irgendeine Verwaltungsvorschrift ausgibt?), nicht um die EAkte.
Ja, die EAkte wird kommen, da führt qua Gesetz (theoretisch) kein Weg dran vorbei. Allerdings muss auch die EAkte gut durchdacht werden, damit sie eine Verbesserung bringt.
Wie es Thorsten Dirks, CEO der Telefonicá Deutschland GmbH so schön gesagt hat: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess“. Wenn die Aktenführung vorher schon nicht funktioniert hat, wird sie durch Überstülpen einer EAkte nicht besser.
Richtig, nur genau das spricht Netzpolitik nicht an…
Eher schlechter, wie die Erfahrung aus’m Archiv zeigt. Mehr Akten als je zuvor, dafür weniger Seiten je Akte. Außerdem dürfte das Anlegen von Kopien seit Beginn der Digitalisierung auch eher nicht weniger geworden sein. Jeder, der eine Mail in cc bekommt, müsste sie _eigentlich_ zur Akte geben…
Irgendwie nachvollziehbar das der BND bitte sehr NICHT die Befugnis erhalten sollte. Und schon gar nicht solange ich solche Dinge lese wie: das der BND nicht zuverlässig nach In- und Ausland filtern kann und somit gegen Gesetze verstößt oder ich solche Dinge wie:
Live-Blog aus dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss: „Dienstaufsichtskontrolle in dem Sinne war nicht etabliert… lesen muss. Und dann der gut funktionierende Schredder im NSU Fall… Das ganze erweckt bei mir den Eindruck als wolle man mit allen Mitteln künftig verhindern Auskünfte geben zu müssen und nicht einfach nur mit: ich hab keine Ahnung weil das nicht mein Ressort war. oder: sorry aber das ist geheim. oder: ach nööö.. heute mag ich nix sagen weil ich Migräne/die Regel hab abbügeln können. Anderer seits denke ich: Naja unsere Angela meinte es gäbe keine Anspruch auf Demokratie. Heißt eigentlich nichts anderes als das jeden Tag aufs neue Demokratie verteidigt werden muß und man sich nicht darauf ausruhen darf das es ein Grundgesetz gibt. Das Gesicht von Angela möchte ich sehen wenn das Hacken und fröhliche leaken verschärft ins Visier genommen wird um Ihrem Ausspruch gerecht zu werden. :D
Fefe nennt den peinlichen Versuch der Gesetzänderung zu Recht „Lex Gaby Weber“.
Übrigens Gaby Weber ist eine erstklassige Journalisten und hat schon viele sehr brisante Dokus im Fernsehen und Radio gebracht. Leider scheint sie beim öffentlich-rechtlichen TV jetzt unerwünscht zu sein. Sie muss oder kann jetzt nur noch via Youtube ihre Dokumentationen veröffentlichen! Sie ist auf Spenden angewiesen!
Zum Glück hat sie auch eine eigene Webseite:
https://www.gabyweber.com
Dort kann man mehr über sie und ihren Arbeiten erfahren, inklusive Links zu ihren spannenden Dokumentationen zu brisanten Themen!
@Herbert Nechlin
Wenn jemand dicke Bretter bohren kann,dann Gaby Weber.
Meine Hochachung vor dieser Dame.
„Herbert Nechlin 9. Okt 2016 @ 11:00
Leider scheint sie beim öffentlich-rechtlichen TV jetzt unerwünscht zu sein.“
Frau Weber ist eben sehr hatnäckig, greift Themen auf und verarbeitet diese zu Dokumentationen, die den ÖR zu kantig und zu wenig weichgespült verstrahlt sind.
Es muss alles so bleiben wie es, möglichst keine Änderung, die die Zuschauer erschrecken könnte, Sind momentan eh viele sehr aufgeregt, woanders gibt es Krieg und Zerstörung, dessen Folgen auch hier aufschlagen -viel zu viel Aufregung also.
Wenn man jetzt mit der selben medialen Intensität -wie mit der sogennanten „Flüchtlingskrise“ und „Terrorgegefahr“- den Bürgern vermitteln würde, was WIRKLICH! gefährlich und existensbedrohend ist, das wäre dann doch zu
informativ und aufregend.
Die absehbare totale Zerstörung des Regenwaldes? Fortschreitender Schwund fruchtbaren Ackerlandes?Maßlose Ausbeutung aller Ressourcen?
Das Meer als Müllkippe? Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn kümmerts.
Menschen sind ersetzbar, die wachsen mehr oder weniger von alleine nach, auch nach irgendwelchen dümmlichen Kriegen -ausser man kommt auf die gefährlich bescheuerte Nacktaffenidee, Kernwaffen zu benutzen.
Sind die natürlichen Lebensgrundlagen verbraucht und zerstört, spielt alles, mit dem wir uns medial beschäftigen / beschäftigt werden, absolut keine Rolle mehr.
„Herbert Nechlin 9. Okt 2016 @ 11:00
Leider scheint sie beim öffentlich-rechtlichen TV jetzt unerwünscht zu sein.“
Frau Weber ist eben sehr hartnäckig, greift schwierige Themen auf und verarbeitet diese zu Dokumentationen, die den ÖR zu kantig und zu wenig weichgespült verstrahlt und zeitgeistig sind.
Es muss alles so bleiben wie es, möglichst keine Änderung, die die Zuschauer erschrecken könnte, Sind momentan eh viele sehr aufgeregt, woanders gibt es Krieg und Zerstörung, dessen Folgen auch hier aufschlagen -viel zu viel Aufregung also.
Wenn man jetzt mit der selben medialen Intensität -wie mit der sogennanten „Flüchtlingskrise“ und „Terrorgegefahr“- den Bürgern vermitteln würde, was WIRKLICH! gefährlich und existensbedrohend ist, das wäre dann doch zu
informativ und aufregend.
Die absehbare totale Zerstörung des Regenwaldes? Fortschreitender Schwund fruchtbaren Ackerlandes?Maßlose Ausbeutung aller Ressourcen?
Das Meer als Müllkippe? Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wenn kümmerts.
Menschen sind ersetzbar, die wachsen mehr oder weniger von alleine nach, auch nach irgendwelchen dümmlichen Kriegen -ausser man kommt auf die gefährlich bescheuerte Nacktaffenidee, Kernwaffen zu benutzen.
Sind die natürlichen Lebensgrundlagen verbraucht und zerstört, spielt alles, mit dem wir uns medial beschäftigen / beschäftigt werden, absolut keine Rolle mehr.