Thüringen: Koalitionsvertrag ist aus netzpolitischer Sicht gut geworden

pk_koalitionsvertragIn Thüringen haben DIE LINKE, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ihren KOalitionsvertrag für die 6. Wahlperiode des Thüringer Landtags mit dem Titel „Thüringen gemeinsam voranbringen – demokratisch, sozial, ökologisch“ vorgelegt. Aus netzpolitischer Sicht finden sich viele erfreuliche Dinge drin. Wir haben (wahrscheinlich) alle netzpolitisch-relevanten Kapitel hier mal zusammen gestellt. Auf den ersten Blick fiel uns nur auf, dass nichts zu Funkzellenabfrage und Offene Bildungsmaterialien (OER) zu finden ist. Sonst können wir das meiste unterschreiben. Gut gemacht.

Wirtschaft

Dabei bieten vor allem moderne Produktionsverfahren, intelligente Produktionssysteme und deren Verbindung mit der Kreativbranche einen „Thüringer Ansatz“ der Industrie 4.0. So stärkt die Kreativwirtschaft nicht nur die Thüringer Industrie, sondern soll gleichzeitig als Magnet für junge und talentierte Fachkräfte fungieren.

Bildung:

Wir wollen im Rahmen der haushälterischen Möglichkeiten, die Schulen mit modernen digitalen Geräten ausstatten.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Die Koalition wird sich dafür einsetzen, auf Bundes- und Europaebene Regelungen zur Netzneutralität zu diskutieren und zu schaffen.

Netzneutralität / Internet als Lebensraum

Der Zugang zu digitalen Netzen und deren Inhalten gehört zur Daseinsvorsorge. Er ist eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme demokratischer Rechte und gesellschaftlicher Teilhabe. Die drei Parteien sprechen sich gegen jegliche Zensurversuche im und Überwachung des Internets aus. Es gilt der Grundsatz „Löschen statt sperren“. Die Koalition ist sich in der Ablehnung von Eingriffen in die informationelle Selbstbestimmung (insbesondere Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchungen, Staatstrojaner, sowie deep-packet-inspection privater und öffentlicher Stellen) einig. Wir werden jegliche – auch rechtliche und gerichtliche – Möglichkeiten ausschöpfen, um die Einführung und / oder Nutzung der genannten Eingriffe in Thüringen zu verhindern. Wir setzen uns für verstärkte Medienbildung und Aufklärung insbesondere bezüglich Datenschutz, informationellem Selbstschutz und Selbstbestimmung und vor unkontrollierter Profilbildung durch Big-Data-Algorithmen ein.

Die Koalition sieht die Netzneutralität, d.h. die gleichwertige Übertragung von Daten ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Zieles, ihres Inhalts, verwendeter Anwendungen oder verwendeter Geräte als fundamentalen Bestandteil der freien Meinungsäußerung im Internet. Alle Bestrebungen, die Netzneutralität zu beschränken, werden abgelehnt. Für Verstöße gegen die Netzneutralität sollen in Abstimmung mit der Bundesebene angemessene und wirksame Sanktionsmöglichkeiten entwickelt werden. Eine gesetzliche Fixierung der Netzneutralität wird für nötig gehalten. Wir werden prüfen, ob im Rahmen des Breitbandausbaus die Vergabe von Fördermitteln an die Wahrung der Netzneutralität geknüpft werden kann.

Jugendmedienschutz

Die Koalition will den Jugendmedienschutz, insbesondere im Internet, stärken. Wir sind davon überzeugt, dass technische Restriktionen nicht die Medienkompetenz von Eltern, Kindern und Jugendlichen ersetzen können Wir wollen eine zeitgemäße Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages, welche den Leitsatz, dass Jugendmedienschutz nicht die freien Strukturen des Internets beeinträchtigen darf, berücksichtigt.

Wir werden die Medienkompetenz als Schlüsselqualifikation quer durch alle Altersgruppen fördern. Die Förderung der Medienkompetenz soll ihren Niederschlag auch in der schulischen Ausbildung finden. Entsprechende Ausbildungsmodule für Schülerinnen und Schüler, aber auch für Lehramtsanwärterinnen und -anwärter sowie Fortbildungsmodule für Lehrkräfte sollen ebenso implementiert werden wie zu erstellende Unterrichtsmaterialien für diese Bereiche. Der Thüringer Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ist in diese Prozesse einzubinden.

Hier werden gerade in der weiteren Befassung mit dieser Thematik die Herausbildung dieser Querschnitts- und Schlüsselqualifikation bei allen Mediennutzern sowie das Verständnis für den Umgang mit den Medien weiterhin zu fördern sein. Dies schließt den Umgang mit freier Software ausdrücklich mit ein. Netzwerkpartner sind die Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) und das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) in Kooperation mit dem Bildungs- und Wissenschaftsressort.

Breitbandausbau / Kommunales WLAN

Die „Breitbandstrategie Thüringen 2020“ wird – in engerer Zusammenarbeit mit den Kommunen – fortgeführt. Hierzu werden Mittel aus den Europäischen Fonds verstärkt eingesetzt. Es werden Vereinbarungen mit dem Bund gesucht, um dessen Ziele in Bezug auf einen forcierten Breitbandausbau auch in Thüringen zeitnah zu realisieren und so die Ausbaugeschwindigkeit zu erhöhen. Besondere Anstrengungen werden wir dabei auf den Ausbau im ländlichen Raum richten. Für den schnellstmöglichen Glasfaserausbau (FttH) ist eine Förderung wichtig. Wir verstehen den Zugang zu schnellem Internet als Teil der Daseinsvorsorge und wollen flächendeckend einen gleichwertigen Netzzugang in engem Austausch mit den Kommunen mit unterschiedlichsten Maßnahmen (wie bspw. Verlegung von Leerrohren bei Bauvorhaben) fördern.

Die Koalition unterstützt bürgerschaftliches Engagement im Bereich des Netzzugangs. Freifunkinitiativen in Thüringen sollen stärker gefördert und beraten werden. Ebenso werden die Kommunen bei Einrichtung öffentlicher WLAN-Netze unterstützt. Zur Herstellung von Rechtssicherheit setzt sich die Koalition auf Bundesebene für die Abschaffung der Störerhaftung für die privaten und kommunalen Anbieter freier Netzzugänge ein, wobei das Auferlegen von Datensammlungspflichten vermieden werden muss. Die Koalition wird ein Modellprojekt zum „Kommunalen WLAN“ und „WLAN im ÖPNV“ einrichten.

E-Government

Die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation sollen seitens der Thüringer Behörden besser genutzt werden. Dazu sind die Onlineportale auszubauen, Dokumente und Webangebote sollen möglichst durchgängig barrierefrei, nur in technisch begründeten Ausnahmen barrierearm gestaltet sein. Die zukünftige Regierung arbeitet darauf hin, dass alle Behördenangelegenheiten in Zukunft auch online erledigt werden können, soweit dies gesetzlich möglich und der Schutz persönlicher Daten gewährleistet ist. Dazu sollen die Kommunen bei der Umstellung auf elektronische Verfahren unterstützt werden. Die Koalition setzt den Landtagsbeschluss „End-to-End-verschlüsselte-Kommunikation“ in allen Landesbehörden umgehend um.

Die Koalition wirkt darauf hin und unterstützt die Kommunen dabei, Angebote für die gesicherte (End-to-end-verschlüsselte und signierte) Bürger-Behörden-Kommunikation vorzuhalten. Thüringen wird sich umfangreich an der bundesweiten Datenplattform „GovData“ beteiligen und die dort eingespeisten Daten mit offener Lizenz zur Verfügung stellen, sodass den Bürgerinnen und Bürgern ein zentrales Informationsregister zur Verfügung gestellt wird, das den Open-Data-Prinzipien völlig entspricht.

Open Source / Open Access

Die Koalition unterstützt und fördert den Ausbau freier Software. Die Thüringer Hochschulen bieten hier umfangreiche Potenziale, die durch gezielte Forschungsförderung – insbesondere auch Techniken zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung – weiter gestärkt werden sollen. Darüber hinaus soll eine Aufnahme von FLOSS-Kriterien in die Vergabebestimmungen geprüft werden. Die Koalition unterstützt und fördert das Verfügbarmachen frei zugänglicher digitaler Inhalte. Gemäß dem OpenAccess-Ansatz sollen zukünftig insbesondere wissenschaftliche Informationen und wissenschaftlich erhobene Daten, die mit öffentlichen Geldern durch staatliche Stellen, Forschungseinrichtungen oder private Unternehmen gewonnen werden, der Allgemeinheit frei zur Verfügung gestellt werden, wenn nicht rechtliche Gründe dagegen sprechen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass Autorinnen und Autoren nicht schlechter gestellt werden.

Verbraucherschutz und Verbraucherzentrale

Fachspezifische Institutionen und Portale der Verbraucheraufklärung, wie z.B. Patienteninformationssysteme, Pflegestützpunkte oder zur Gewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, will das Land in geeigneter Form unterstützen.

Transparenz und Informationsfreiheit sichern

Der freie Zugang zu Informationen ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Einwohner mitentscheiden und Gesellschaft mitentwickeln können. Wir werden das Informationsfreiheitsgesetz zu einem echten Transparenzgesetz nach dem Vorbild Hamburgs unter Einbeziehung der Erfahrungen auch anderer Bundesländer fortentwickeln, die proaktive Veröffentlichung von Informationen durch die staatliche Verwaltung ausbauen, die Bereichsausnahmen sowie die Versagensgründe auf das verfassungsrechtlich zwingend gebotene Maß reduzieren und OpenData-Prinzipien in vollem Umfang berücksichtigen. Die Kontrollrechte des Informationsfreiheitsbeauftragten werden wir erweitern.

Datenschutz zukunftsfähig ausbauen

Die Koalition setzt sich auf allen gesetzlichen Gestaltungsebenen für ein Datenschutzrecht ein, das dem Einzelnen die vollständige informationelle Selbstbestimmung und die alleinige Verfügung über seine Daten garantiert, der Maxime „Datenschutz-per-Default (Datenschutz als Grundeinstellung) folgt und vor unkontrollierter Profilbildung schützt. Ein besonderes datenschutzrechtliches Augenmerk muss dabei auf die Nutzung von Big-Data-Algorithmen, sogenannte „Smart-Meter“ und Anwendungen aus dem Bereich des „Internets der Dinge“ (Verknüpfung physischer Objekte mit einer virtuellen Repräsentation in einer Internet-ähnlichen Struktur) gelegt werden.

Nur explizit freigegebene Daten dürfen gespeichert und verwendet werden. Die Kompetenzen des Datenschutzbeauftragten sollen erweitert, seine Unabhängigkeit gestärkt und die Sanktionsmöglichkeiten ausgedehnt werden. Die personelle und sachliche Ausstattung ist dem erweiterten Aufgabenbereich und gestiegenen sachlichen und rechtlichen Anforderungen angemessen anzupassen.

Reform des Landesamtes für Verfassungsschutz

Die parlamentarische und damit öffentliche Kontrolle der Tätigkeit des TLfV wird weiter ausgebaut, […]
eine künftige Landesregierung wird im Laufe der Legislaturperiode eine Expertenkommission berufen, die sich mit der Notwendigkeit und dem in einem demokratischen Verfassungsstaat möglichen Befugnissen einen nach innen gerichteten Geheimdienstes beschäftigen wird und dem Thüringer Landtag einen entsprechenden Vorschlag zur grundlegenden Neuausrichtung der Aufgaben des Schutzes der in der Verfassung garantierten Grundrechte erarbeiten wird.

Verstärkte Bekämpfung von Wirtschafts-, Umwelt- und Internetkriminalität

Die Parteien werden zur besseren Bekämpfung der Wirtschafts- und Internetkriminalität die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Mühlhausen weiter personell und technisch unterstützen. Zur effektiveren Bekämpfung der organisierten Kriminalität wird die Staatsanwaltschaft Gera weiter gestärkt. Gleichzeitig ist auf polizeilicher Ebene (LKA) durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass eine zeitnahe Auswertung von Datenträgern gewährleistet ist. Die dauerhafte Auslagerung von Auswertungsaufgaben an private Dienste (sogenanntes Outsourcing) sehen die Koalitionsparteien kritisch.
Die Einführung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität wird geprüft. Den Herausforderungen der Wirtschafts-, Umwelt und Internetkriminalität werden wir durch ein entsprechendes Fortbildungsangebot für Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte begegnen.

IT-Strategie

Die Landesregierung will in Abstimmung mit den Kommunen und unter Einbeziehung des Landesdatenschutzbeauftragten die IT-Modernisierung in der öffentlichen Verwaltung voranbringen und eine bürgerfreundliche E-Governmentstruktur in Thüringen entwickeln. Dazu wird eine Rahmenvereinbarung mit den kommunalen Spitzenverbänden erarbeitet. Die IT-Beschaffung soll vereinheitlicht, eine zentrale IT-Beschaffungsstelle eingerichtet und das Thüringer Landesrechenzentrum (TLRZ) sowohl personell als auch durch die Überführung weiterer bestehender Serverstationen und Rechenzentren in den Verantwortungsbereich des Zentrums gestärkt werden.
Um dem IT-Fachkräftebedarf in der öffentlichen Verwaltung Rechnung zu tragen, wird gemeinsam mit den Kommunen ein Konzept zur Personalentwicklung, Weiterbildung und Fachkräftegewinnung erarbeitet. Thüringer Behörden, vorrangig diejenigen, die personenbezogene Daten verarbeiten und übermitteln, sollen modernste Verschlüsselungstechniken verwenden.

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4 Ergänzungen

  1. Vielen Dank für das Lob.

    Im Bereich „bürgerfreundliche Polizei“ findet sich, prinzipiell, die Funkzellenabfrage, der Staatstrojaner etc. sehr wohl wieder, die aber nicht explizit genannt werden. Viel mehr sind sie als besondere Mittel der Datenerhebung zu prüfen und zu überarbeiten, wie auf S. 93 zu lesen ist:
    „die besonderen Mittel der Datenerhebung überarbeitet und alle Maßnahmen der heimlichen
    Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems
    überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ausgeschlossen werden.“

    Warum die OER fehlen entzieht sich leider meiner Kenntnis. Allerdings haben alle drei Parteien der Koalition in ihren Wahlprogrammen entsprechende Ansätze drin, so dass ich versichere, dass das auch nicht völlig auf der Strecke bleibt.

  2. Der Sprecher des Städte- und Gemeindebundes ist enttäuscht von dem Koalitionsvertrag. Ich kann das nicht nachvollziehen, sondern sehe ihn eher als mutigen Schritt nach vorn. Der Sprecher des StGB hat das hier kommentiert:
    http://www.egovernment-computing.de/projekte/articles/467682/index2.html
    Ich habe das da auch länglich kommentiert, nachdem ich das auf Facebook kommentiert hatte und man mich gebeten hatte, das auch in der Zeitung online zu kommentieren (also anders als bei den Zensoren von SZ, Tagesschau und anderswo :-)

    Ein süßes Detail noch, dass Markus angedeutet hat: “ Die Koalition setzt den Landtagsbeschluss „End-to-End-verschlüsselte-Kommunikation“ in allen Landesbehörden umgehend um.“ Das ist mit De-Mail alleine nicht zumachen. Da besteht der Staat darauf, dass er die Nachrichten unverschlüsselt auf den Server lesen kann. Ist billiger für die NSA. Hat wohl Steinmeier durchgedrückt :-)

    Da kann man der Crew um Ramelow nur hoffen, dass sie das jetzt alles umsetzen können. Was auch Hoffnung gibt ist, dass Thüringen mit den Linken das zweite Bundesland nach Baden-Württemberg mit den Grünen ist, wo die die Zukunft behindernden Konservativen (CDU und SPD) nicht mehr vorne stehen dürfen. Wie tödlich für die Zukunft eines Landes eine GroKo ist, sehen wir mit Merkel, Steinmeier, Gabriel: immer mehr Kriegseinsätze mit Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, 300 Mio € aus deutschen Steuergeldern Zuschuss, damit israelische Kriegsverbrecher mit deutschen Schiffen spielende Kinder am Strand von Gaza töten, straflose Spionage für fremde Mächte durch Steinmeier (DE-CIX) inklusive rechtswidrige Unterdückung der gesetzlich vorgeschriebenen Spionageabwerh (bfV), Milliardenvernichtung durch de Maiziere und von der Leyen durch obskure Dorhnenprojekte udn andere militärische Cashburner, nicht finanzierbare Rente mit 63, um Rentnerstimmen zu kaufen, als wäre sie korrupt wie Politiker, Beendung der Energiewende, Hinwendung zur Braunkohle, Einführung des Fracking oberhalb von -3000 m, eine Digitale Agenda, die den Namen nicht wert ist, ein #btaDA ohne Federführung für irgendwas (also belangloser Kindergarten, zynisch von den Rechten eingerichtet: Geht Spielen Kinder!“) usw. Da wird es Zeit, dass aus den Ländern frischer Wind aufkommt.

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