Überraschung: Das digitale Urheberrecht steht am Abgrund

Die BrandEins hat ein längeres und lesenswertes Interview mit dem Rechtswissenschaftler und Richter Karl-Nikolaus Peifer über die Überforderung des Urheberrechts, das Unwesen von Abmahnungen und neue Finanzierungsmöglichkeiten: Das digitale Urheberrecht steht am Abgrund.

Juristisch gesehen haben die Rechteinhaber, insbesondere die industriellen Vermittler der urheberrechtlich geschützten Werke, sehr viele Rechte, und die Nutzer haben sehr wenige. Die Nutzer haben jedoch faktisch alle Möglichkeiten, sich die Inhalte zu beschaffen. Das führt naturgemäß zu einem Konflikt, den das Recht lösen muss und immer weniger wirklich lösen kann. Denn wir geraten immer stärker in eine Situation, in der die Menschen es zunehmend nicht mehr als gerecht empfinden können, dass das, was das Recht entscheidet, auch richtig ist. Denken Sie an die Abmahnungen der Musikindustrie, verbunden mit Gebühren von oft rund 1000 Euro für den einmaligen Download von Dateien. Das können wir als Juristen nicht mehr vermitteln. Und das Recht selbst verliert hierbei Stück für Stück seine Legitimation. Ein Recht, das sich von dem Bewusstsein der Menschen löst, bekommt größte Probleme. Das Recht ist für die Menschen da und nicht die Menschen für das Recht. Das mag naiv klingen, aber es hat eine sehr grundlegende Bedeutung für das, was man Rechtsempfinden nennt, auf dessen Grundlage unsere Rechtsordnung basiert, auf die wir als Rechtswissenschaftler achten müssen.

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11 Ergänzungen

  1. Ja, mittlerweile kann man BrandEins und die FAS locker anderen Publikationen vorziehen, was irgendwie auch schon wieder traurig ist. BrandEins hatte aber in letzter Zeit einige gute Interviews — DIE ZEIT hatte dies definitiv nicht …

    Ich empfehle noch einmal in dieses Gespräch hier herein zuhören, es ist ziemlich verstörend, zeigt aber gut die aktuelle Denkweise in einigen Kreisen.

    http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/12/30/dlf_20111230_1916_2c190967.mp3

  2. @Markus: Heute Nacht gibt es im DLF bei Fazit noch ein Interview mit Olaf Zimmermann (Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates) zum Thema. Vielleicht gibt es später ja noch einen Link.

    http://www.kulturrat.de/detail.php?detail=173&rubrik=7

    Er wirkt sympathisch und offen, schießt aber auch gut gegen den fast gescheiterten Versuch der Grünen vom letzten Jahr.

    Bin mal gespannt was der dritter Korb so bieten wird, falls er überhaupt noch kommt. Letztendlich klingt das, was man momentan alles so hört nach lächerlichem Lobbyunsinn, der weder den Urhebern noch den Rezipienten nutzen wird …

  3. Vergesst doch die ganze nationale Debatte und kümmert Euch nur um Europa, wenn was national geplant wird, dann wird der Ball eh über Brüssel gespielt.

    Diese ganzen Diskussionen sind ja schön und gut, aber am Ende gibt es die Bestimmung im Gesetz weil Du einen Änderungsantrag hast im Ausschuss einbringen lassen, nicht weil irgendwelche Juristen was debattiert haben in ihrer Liebe zum positiven Recht.

    Die Musik- und Filmindustrie ist gerade mal 100 Jahre alt. Wer weiss, was da noch kommt. Den Tonfilm und die Videokassette haben wir ja auch überlebt.

  4. Nur schade, dass Rechtswissenschaftler die Politiker nicht wie die Contentmafia mit informellen Geschäftsessen und beruflichen Perspektiven nach der Politzeit locken können.


  5. Letztlich liefe das auf ein System hinaus, das nicht neu ist und seit Jahrzehnten gut funktioniert, dasjenige der Verwertungsgesellschaften wie etwa der Gema oder der VG Wort.

    Komischerweise kenne ich sowohl Musiker als auch Komponisten als auch Veranstalter als auch Zuhörer, die das System von Verwertungsgesellschaften wie der Gema für grundsätzlich überarbeitungswert halten.

  6. Was ich mich bei der ganzen Debatte frage, ist: Was sagen eigentlich die Künstler (Schriftsteller und andere) dazu? Offensichtlich sind es nämlich nicht nur die Verlage und sonstige Rechteinhaber und -verwerter, die noch immer im analogen Zeitalter leben, sondern auch die absolute Mehrzahl der Künstler selbst. Da sitzt man in seinen alles digitale Rauschen absorbierenden Ohrensesseln und pflegt einen Künstler– und Werkbegriff, der aus dem 19. Jahrhundert stammt. Warum versuchen die Autoren nicht, ihre Position offensiv(er) zu verteidigen? Warum arbeiten so wenige Schriftsteller und Dichter mit offenen Lizenzen, z.B. Creative Commons? Leute wie Cory Doctorow (siehe etwa http://craphound.com/littlebrother/about/#freedownload) oder — in Deutschland — die Quandary Novelists (http://www.the-quandary-novelists.com/copyleft) haben doch vorgemacht, dass sich neue und anspruchsvolle Literatur und ein modernes Urheberrecht sehr wohl miteinander vertragen. Und in der Musikszene sind freie Downloads, offene Werke und — damit verbunden — Remixes schon lange gang und gäbe. Es hat, so glaube ich, der Musik, sicher aber dem Live-Spielen eine neue Dimension und Qualität verschafft. Kurzum: über das digitale Urheberrecht sollten nicht oder zumindest nicht nur Juristen und Politiker bestimmen, sondern auch und gerade die Künstler selbst — am besten dadurch, dass sie neue Wege ausprobieren.

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