Die Idee der Kulturflatrate ist jetzt schon einige Jahre alt und taucht doch immer häufiger in der Diskussion auf. Dabei gibt es viele Vorurteile und gefestigte Meinungen dagegen – vor allem basierend auf diesen Vorurteilen. Der Franzose Philippe Aigrain beschäftigt sich seit einigen Jahren mit den Möglichkeiten der Kulturflatrate und hat ein Buch darüber geschrieben: Das heißt “Internet & Creation“ und ist bisher leider erst in französisch erschienen. Aber eine englischsprachige Übersetzung ist in Arbeit. Hier gibt es eine kurze Zusammenfassung auf englisch.
Ich hab mich mit Philippe Aigrain über das Thema Kulturflatrate unterhalten und er erklärt ausführlich in dem Interview, warum man über das Thema nachdenken sollte. Er stellt dabei heraus, dass man weniger über die Legalisierung von Downloads diskutieren sollte. Viel wichtiger für eine Gesellschaft sei doch der Akt des Teilens und der Verbreitung von Kultur. Also des „sharens“. Auch hebt er hervor, dass eine Kulturflatrate ein Sozialvertrag sei. Das wird bei vielen Argumenten gegen die Kulturflatrate gerne vergessen. Beliebt ist ja das Argument, dass Musiker (bzw. Kulturschaffende im Allgemeinen) sich einer kompletten Ökonomisierung unterwerfen sollen und der Markt schon alles richtet. Davon bin ich nicht unbedingt überzeugt. Auch ist die Kulturflatrate kein sozialistischer Ersatz für einen Markt, wie auch gerne behauptet wird. Sondern nur eine Grundbasis und Grundfinanzierung des Schaffens von Kultur, auf der man neue Geschäftsmodelle aufbauen kann.
Für etwas mehr Hintergrund zum Thema ist dieses Interview sehr gut geeignet. Leider hatten wir nur 25 Minuten Zeit, sonst hätte ich weitere Fragen gestellt, damit Philippe noch mehr Vorurteile widerlegen kann. Aber ich werde zu dem Thema nochmal ein ausführlicheres Interview machen.
Das Gespräch ist in englisch und liegt als MP3 und OGG auf dem Server.
Hallo!
Sehr interessantes Interview, das das Thema „Kulturflatrate“ endlich mal wieder inhaltlich spannend aufgreift. GEZ/GEMA kann im 21. Jahrhundert einfach genau so wenig die Antwort auf Kulturfinanzierung sein, wie das Morsegerät die Antwort auf Kommunikation ist. Ich freue mich auf einen spannenden Dialog, vor allem wenn das Buch von Aigrain einmal ins Deutsche übersetzt ist.
lg
Bastian
„komplette Ökonomisierung“. Hmm, was haben wir denn seit Bestehen der Plattenindustrie anderes gehabt? Das finde ich jetzt als Charakterisierung meiner Argumentation schon ganz schön reißerisch. :)
Ich habe den Podcast jetzt nur nebenbei gehört, deswegen habe ich das vielleicht überhört, aber:
-Geht der gute Herr irgendwo darauf ein, dass bei der Einführung einer Flatrate für den Musikbereich sofort (und zu Recht) alle anderen Contentindustrien anklopfen werden und ihre eigenen Flatrates einfordern werden?
-Wie genau erklärt er das Problem, dass durch den online stärker ausgeprägten Long Tail eine statistische Erhebung der Verteilung zur Ermittlung eines Verteilungsschlüssels, vorsichtig ausgedrückt, problematisch ist? Wenn nur, sagen wir beispielsweise, 30% der aktiven Musiker, deren Musik online getauscht wird, etwas vom Flatrate-Kuchen abbekommen, dürfte das nur wenige (30%?) wirklich glücklich machen. Just sayin‘.
Jeder, der glaubt, dass ein Bürokratiesystem „Kulturflatrate“ irgendetwas abseits der Einkünfte der Majors verbessert, sollte sich auch einmal näher mit Verwertungsgesellschaften wie der Gema beschäftigen. Wenn die, die ihre Einkünfte vom System bestreiten, die Rahmenbedingungen dieses Systems bestimmen, kommt nichts gutes dabei heraus.
Ich weiß nicht, wie es Dir geht, ich möchte jedenfalls nicht gezwungen sein, Backkatalog-Hamsterer zu finanzieren.
Ich glaube, dass Du ein paar Missverständnisse bei dem Thema hast. Die Kulturflatrate wird weder von den Majors voran getrieben, noch profitieren diese übermässig davon. Soweit ich das überblicken kann, ist eher das Gegenteild er Fall.
„Der gute Herr“ geht klar darauf ein, dass dies keine Lösung alleine für den Musikbereich ist, sondern möglichst alle Formen kulturellen Schaffens beinhalten soll.
Die Schlüsselverteilung ist einfacher als heute bei den Verwertungsgesellschaften. Denk an eine Mischung aus Last.fm, BigChampagne und zukünftig in den Playern eingebaute Übermittler (die selbstvertsändlich über anonyme Verbindungen auf Wunsch ähnlich einem Audioscrobbler Daten übermitteln können).
Nochmal: Vergiss die Majors.
In den USA wurde die Idee von iirc Warner Music kürzlich angestossen. Dass die Majors noch nicht auf diesen Zug aufgesprungen sind, dürfte sich imho bald ändern.
Und wieso gerade sie nicht davon übermässig profitieren sollten, verstehe ich auch nicht.
Wie gesagt hatte ich den Podcast nur nebenbei gehört und Aigrain (jetzt habe ich extra den Namen herausgesucht.. ;)) war nicht immer so gut zu verstehen, deshalb hatte ich nachgefragt. Danke , dass Du das klar gestellt hast: „möglichst alle Formen kulturellen Schaffens“. Wie das dann alles gemessen wird und wer entscheidet was dann dazu gehört und was nicht: Die ganzen Probleme und Lösungsansätze dafür muss ich auch wieder überhört haben oder er ist darauf nicht eingegangen. Naja, egal, ich finde die Befürworter machen es sich schlicht zu einfach. Der Teufel liegt bei diesem Monstrum wirklich im Detail. :)
Was den Verteilungsschlüssel angeht: Also opt-in? Na, ich weiß nicht, wie das auf gesetzlicher Ebene funktionieren soll.
Nein, Warner Music hat diese Diskussion nicht kürzlich in den USA angestossen. Diese ist schon mehrere Jahre alt und wurde u.a. von der EFF und den Indie-Labels angestossen.
Auf gesetzlicher Ebene gibt es Lösungsansätze. Man muss es nur wollen.
Und ansonsten ist alles technisch lösbar, wenn man einen solchen Sozialvertrag haben will oder nicht. Man kann sich auch auf den Markt verlassen, dass da Kultur finanziert wird. Aber auf den Markt würde ich mich in diesen Fragen nicht nur im Moment nicht verlassen.
Heisst Kulturflatrate: Möglichst viel Musik runterladen am Stück für möglichst wenig Geld?
„Und ansonsten ist alles technisch lösbar“
Glaubst Du das wirklich?
„Auf gesetzlicher Ebene gibt es Lösungsansätze“
Wo denn? Auf „gesetzlicher Ebene“ hat die Medienindustrie in den letzten Jahrzehnten einen Erfolg nach dem anderen erreicht. Und dieser Trend geht nach wie vor ungebremst weiter (geplante Verlängerung der Schutzdauer für Tonaufnahmen in der EU).
Ist „Kultur“ nur das, was digital zerlegt und erfasst werden kann, oder soll die „Kulturflatrate“ auch Formen von Kultur finanzieren, die nicht über das Internet verbreitet werden können?
Außerdem sollte endlich das Gerede von der „Kulturflatrate“ beendet werden. Eine Flatrate ist ein kommerzielles Angebot, dass die Konsumenten nutzen (und bezahlen) können oder auch nicht.
Was die Befürworter einer „Kulturflatrate“ wollen, ist eine Steuer, die alle bezahlen sollen, unabhängig von der Nutzung. Wie Du richtig schreibst „ein neuer Sozialvertrag“.
Im Prinzip (vielleicht) eine gute Idee, aber die Umsetzung wurde sehr viel mehr als einige technische Maßnahmen erfordern – und Marcel hat völlig recht: die etablierten Rechteinhaber, Künstler, Institutionen, Vermittler, Kritiker usw. usf. würden sehr genau darauf achten, dass ihre Interessen dabei nicht zu kurz kommen.
Daraus ergibt sich, dass eine „Kulturflatrate“ (im utopischen Sinne der „freien“ Finanzierung von „Kultur“) erst NACH einer Beseitung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse eingeführt werden kann.
Was „Kulturförderung“ im Kapitalismus bedeutet, zeigt sich zum Beispiel in Deutschland im Filmbereich: Da ist der erwartete finanzielle Erfolg das wichtigste Kriterium bei der Vergabe von Mitteln.
Eine richtig gute Idee. Aber sie muß bald umgesetzt werden, sonst gilt im Internet: Nur
die großen Unternehmen setzen sich mit ihren
massentauglichen (teilweisen blöden) Formaten durch und die viel beschworene Vielfalt im Netz ist dann dahin.
Dieter, zur gesetzlichen Lage gibt es Gutachten, die zeigen, dass eine Kulturflatrate machbar ist und auch mit dem sog. 3-Stufen Test klappt. Was vom BMJ gerne verneint wird.
Und eine Kulturflatrate wäre auch keine Steuer, auch wenn das gerne so diskreditiert wird. Und bei der Kulturflatrate geht es darum, digitale Werke zu kompensieren.
Ich mach zum Thema demnächst nochmal einen Podcast und werde die ganzen Punkte mit reinnehmen und beantworten lassen.
das wort „kulturflatrate“ hat 4 silben. die abkürzung GEZ lässt sich mit 3 silben sprechen. ich versteh zwar den pol. sinn des neusprech „kulturflatrate“ aber es ist doppelplusungut, weil einfach zu lang.
Markus, bitte nimm dir doch für Podcasts auch etwas Zeit. Gleich bei zwei nacheineanderfolgenden Podcasts brichst du zum Schluss ab, weil du nicht mehr als eine halbe Stunde Zeit hattest. Ist doch nervig. Probiere doch mal, die 2 Stunden Zeit zu nehmen, eh du aufnimmst :)