Am Montag Abend wurde auf Youtube ein Video veröffentlicht, das Aufzeichnungen von fünf Telefonaten des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan mit seinem Sohn Bilal enthalten soll. Thema: Erdogan wolle Geld vor der Staatsanwaltschaft verstecken, es handele sich um mehrere Millionen Euro. Die Datierung der Gespräche auf den 17. und 18. Dezember passen mit dem Ausbruch der Korruptionsaffäre in Zusammenhang mit Ölgeschäften im Iran zusammen. Im Rahmen dieses Skandals traten türkische Minister zurück, Erdogan tauschte Teile seines Kabinetts aus, entließ Polizeichefs und stieß Mitglieder aus der Regierungspartei aus.
Er bestritt beständig, selbst in die Angelegenheiten verwickelt zu sein, auch wenn es wiederholt Vorwürfe gegen ihn gab. Die jetzt veröffentlichten Telefonate könnten daher seiner Glaubwürdigkeit und Machtposition den entscheidenden Schlag versetzen. Aber Erdogan behauptet, die Aufnahmen seien eine Montage und verweigert den von der Opposition geforderten Rücktritt.
Die Aufnahmen zeigen jedoch eines: Die Regierung der Türkei wird abgehört. Und zwar eigenen Aussagen zufolge von der türkischen Polizei. Das berichtete die regierungsnahe Hürriyet Daily News. Bereits seit 2011 habe es Überwachungs-Anordnungen gegeben, die der Regierung nicht bekannt gewesen seien. Laut Vize-Premierminister Bülent Arınç waren davon insgesamt mindestens 2280 Personen betroffen, deren Telefonnummern man in den Dokumenten der Staatsanwaltschaften gefunden habe. Die Zahlen werden in Regierungskreisen jedoch auf bis zu 7000 geschätzt. Das wird wiederum vom früheren Staatsanwalt Adnan Çimen dementiert, der darauf verweist, man habe gar nicht die Kapazitäten, um so viele Personen zu überwachen. Außerdem befände sich keiner der von der Regierung angeblich ermittelten Namen betroffener Regierungsmitglieder, Firmenchefs und anderer öffentlicher Personen auf der Abhörliste.
Die jetzigen Vorfälle fallen in eine Zeit, in der im Land erst kürzlich weitreichende Netzsperren beschlossen wurden, verbunden mit einer massiven Kompetenzerweiterung der türkischen Geheimdienste und hohen Haftstrafen für Journalisten, die Geheimdienstinformationen veröffentlichen. Nun droht man selbst daran zu scheitern, dass ein anderer Teil dieser Überwachungs-Maschinerie seine Kompetenzen ausufernd genutzt zu haben scheint und wirft ihm das vor. Obwohl die Abhörmaßnahmen – wie so gerne vorgebracht – rechtmäßig waren, aenn es handelte sich offiziell um Ermittlungen gegen Mitglieder der als terroristisch eingestuften Vereinigung „Selam“.
Ein anderer Aspekt, der gut mit der heute erschienen GCHQ-Enthüllung zusammenpasst, ist die Frage um die Echtheit der Telefonquellen. Am Morgen wurde bekannt, dass der britische Geheimdienst GCHQ Quellen fälscht, um Zielpersonen zu diskreditieren. Dass dies keine britische Exklusiv-Taktik ist, steht nicht ernsthaft in Frage.
Hier kommt immer mehr die Absurdität einer Welt zum Vorschein, in der jeder jeden bespitzelt und in der man die Integrität von Quellen langsam überhaupt nicht mehr nachvollziehen kann. Am Ende bleibt keiner unbeschadet. Und keiner kann glaubhaft behaupten, er gehöre noch zu „den Guten“. Das Muster der Überwachung wiederholt sich auf allen Ebenen und jeder empört sich, dass der jeweils andere seine technischen Möglichkeiten und Kapazitäten nutzt – egal auf welcher Seite er steht.
Das Statement von Yalcin Akdogan, einem Berater von Erdogan, könnte man in viele Debatten der letzten Zeit einfügen, ohne dass der Bezugskontext auffiele:
Vollkommen imaginäre Straftaten werden konstruiert, ein Szenario das auf Telefonüberwachung basiert … Wenn man jemanden fünf Jahre lang abhört, kann man daraus ein Verbrechen mit beliebigen Szenarien konstruieren. […] Wir sind mit einer Struktur konfrontiert, die jedermann illegal abhört, jedem Bereich des privaten Lebens nachgeht und das benutzt, um Menschen anzuschwärzen und ihnen Straftaten anzuhängen.
Zersetzung, ein beliebtes Mittel für alle moralisch Degenerierten.
Erst kürzlich fiel eine US-Offizielle mit ihrem „Fuck the EU“ auf.
http://www.theguardian.com/world/video/2014/feb/07/eu-us-diplomat-victoria-nuland-phonecall-leaked-video
Interessant ist auch, wer jeweils mit welchen Interessen und Motiven wen diskreditieren will.
Wollte Russland im „Fuck the EU“-Fall die USA brüskieren?
Wollen die USA und Israel Erdogan diskreditieren ?
Perfektes Argument gegen die Vorratsdatenspeicherung, denn in vielen Fällen reicht es aus einige Wochen abzuhören, um Montagen zu konstruieren.