#277 On The RecordWas ist Internet Governance, Wolfgang Kleinwächter?

In Kyoto fand diese Woche das 18. Internet Governance Forum der Vereinten Nationen statt. Aber was ist „Internet Governance“ überhaupt und wo kommt das her? Für unseren Podcast Off/On haben wir darüber mit Wolfgang Kleinwächter gesprochen, der die Debatte seit 30 Jahren verfolgt und aktiv daran teilnimmt.

Wolfgang Kleinwächter bei einer Diskussion über Internet Governance auf dem World Economic Forum 2022
Wolfgang Kleinwächter bei einer Diskussion über Internet Governance auf dem World Economic Forum 2022 CC-BY-NC-SA 4.0 World Economic Forum/Sikarin Fon Thanachaiary


Wolfgang Kleinwächter war ab 1998 bis zu seiner Pensionierung vor wenigen Jahren Professor für internationale Kommunikationspolitik und Regulierung am Department for Media and Information Sciences an der Universität Aarhus. Bereits vor 30 Jahren kam er mit den Ursprüngen von Internet Governance in Berührung, als rund um ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) Fragestellungen der (Selbst-)Verwaltung von globalen Infrastrukturen diskutiert und dabei auch umgesetzt wurden.

ICANN verwaltet die Vergabe und Zuteilung von IP-Adressen im Netz und koordiniert gleichzeitig das Domain Name System, was wiederum als das „Adressbuch“ für Domains gilt, die im Hintergrund einer IP-Adresse zugeordnet sind. Bei der Governance-Gestaltung von ICANN spielten schon früh verschiedene Stakeholder-Gruppen eine Rolle, die dabei eingebunden wurden: Netzwerke wurden in der Regel von Unternehmen betrieben, die technische Community hatte die notwendige Expertise und war in Standardisierungsgremien aktiv, Regierungen haben schon immer überall mitsprechen wollen und die Zivilgesellschaft stand stellvertretend für all die Menschen, die das Netz nutzen.

Das führte zum Multistakeholder-Ansatz. Diesen verfolgten die Vereinten Nationen vor 20 Jahren, als zwischen 2002 und 2005 auf globaler Ebene diese Fragen und weitere Urdebatten der Netzpolitik im Rahmen des World Summit on the Information Society (WSIS) diskutiert wurden. Die Ursprünge von netzpolitik.org reichen zu dieser Zeit zurück. Eines der Topthemen im Rahmen des WSIS-Prozesses war die geopolitische Frage, inwiefern ICANN mit einem Sitz in Kalifornien bei der Verwaltung der zentralen Internetinfrastruktur unabhängig von der US-Regierung handeln kann. Eine Debatte, die bis heute anhält, wo Staaten das Netz fragmentieren und Kontroll- sowie Zensurinfrastrukturen aufbauen.

Als Nachfolge der WSIS-Gipfel führten die Vereinten Nationen das Internet Governance Forum ein, das seit 2006 einmal im Jahr auf globaler Ebene ein Forum für viele netzpolitische Debatten bildet. 2019 fand das Internet Governance Forum in Berlin statt. Für die kommenden Jahre sind Treffen in Saudi Arabien und Russland angekündigt. Hier gibt es große Kritik, ob die repressiven Staaten die richtigen Ausrichter für ein solches globales Forum sind. Denn in beiden Staaten werden Menschenrechte verletzt, es gibt praktisch keine freie Zivilgesellschaft und alle Anwesenden müssen davon ausgehen, dass sie vor Ort Ziel von Überwachungsmaßnahmen werden.

Ein aktuelles Thema auf globaler Ebene ist der sogenannte Global Digital Compact, der im kommenden Jahr von den Vereinten Nationen beschlossen werden soll. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben auch hier große Bedenken und kritisieren den Prozess, der zu einer Veränderung der Rahmenbedingungen für Internet Governance führen kann.

Auch in Deutschland gibt es mit dem kleinen Internet Governance Forum Deutschland einen Debattenort für Internet-Governance-Fragen. Die Bundesregierung interessierte sich leider lange nicht für Multistakeholder-Ansätze, alle bisherigen Digitalgipfel wurden vor allem mit Wirtschaftsverbänden koordiniert und durchgeführt. Das soll beim nächsten Digitalgipfel im November in Jena immerhin besser werden. Einen Beweis dafür muss die Bundesregierung aber noch abliefern.

Der On-the-Record-Podcast mit Wolfgang Kleinwächter beleuchtet viele Hintergründe und Eigenheiten dieser Internet-Governance-Debatten.

Das Thema wurde übrigens schon mal in einem Netzpolitik-Podcast behandelt. 2007 war in Folge 47 die Netzforscherin Jeanette Hofmann zu Gast. Der Podcast ist immer noch bei uns online.

In dieser Folge: Markus Beckedahl und Wolfgang Kleinwächter.
Produktion: Serafin Dinges.
Titelmusik: Trummerschlunk.

Hier ist die MP3 zum Download. Wie gewohnt gibt es den Podcast auch im offenen ogg-Format.

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