Avatar Autor:in

LinksklickDas neue Feigenblatt des Spielejournalismus

Ein Infokasten wird zum Schleichweg einer Branche: Statt Verantwortung zu übernehmen, drücken sich Redaktionen vor der Diskussion, wie moderner Journalismus aussehen muss.

Feigenblätter mit einer kleinen Feige
Infokästen als neue Feigenblätter? Feigenblätter: Sime Basioli, Bearbeitung: netzpolitik.org

Die gute Nachricht zuerst: Der Fachjournalismus hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ebenso weiterentwickelt wie die Spiele, über die er berichtet. Die schlechte Nachricht: Diese Entwicklung scheint nun an einer besonders sensiblen Stelle zu stagnieren. Ein moralisches Schlupfloch ist zur Stolperfalle für den modernen Spielejournalismus geworden – und ich hoffe, dass ich mich mit dieser Beobachtung täusche.

Auf den ersten Blick alles rosig

Wenn ich mich heute durch die wichtigsten Websites klicke oder die letzten verbliebenen Printmagazine aufschlage, kann ich mehr Reportagen, mehr Hintergrundberichte, mehr Experimentierfreude entdecken als jemals in den fast vierzig Jahren davor. Dabei wird längst immer weiter über die Grenzen der eigenen Branche geblickt: Wissenschaftler*innen, Lehrer*innen, Historiker*innen und viele weitere Expert*innen beantworten Fragen, ordnen ein, kommentieren und erläutern, was der Spielejournalismus selbst nicht weiß. Das Nachfragen bei Menschen, die sich auskennen, ist en vogue.

Aber nicht nur die Riege der Fachleute hat sich vergrößert, auch die Redaktionen selbst sehen heute anders aus: diverser, jünger, weiblicher. Eine überfällige Veränderung, die endlich die bunte Zielgruppe der eigenen Berichterstattung spiegelt. Reine Männertrupps gelten als überholt und altmodisch.

Auch an einer anderen Stelle hat sich der moralische Branchenkompass neu ausgerichtet: Fotostrecken von dickbrüstigen Spielfiguren (industrie-intern poetisch „Tittenklickstrecken“ getauft), Nacktpatch-Anleitungen und Best-ofs der heißesten Messebabes waren einst Eckpfeiler des Klickjournalismus. Sie sind heute fast ausnahmslos aus dem deutschen Spielejournalismus verschwunden. Nicht, weil sie sich nicht mehr lohnen würden, sondern weil sie unhaltbar aus der Zeit gefallen sind (oder saftige Abmahnungen nach sich gezogen haben).

All das sind Umwälzungen, die Kraft und Geld gekostet haben und Lob verdienen. Von dieser Modernisierung auf so vielen unterschiedlichen Ebenen profitieren Redaktionen, ihr Publikum und die Berichterstattung über das Medium selbst. Und doch scheint diese steigende Kurve der Weiterentwicklung nun ein Plateau erreicht zu haben – einen kritischen Punkt, der zu bequem, zu sicher erscheint, um ihn unter neuerlichem Aufwand von Kraft und Geld hinter sich zu lassen. Nach außen könnte es nicht harmloser erscheinen: Ich spreche von einem speziellen Infokasten, der in den vergangenen Wochen immer häufiger zwischen Schlagzeilen und Reportage-Absätzen auftauchte.

Das neue Feigenblatt des Spielejournalismus

Dieser Infokasten, der je nach Website auch als redaktioneller Einschub oder kurzer Absatz entdeckt werden kann, hängt mit einem Spiel zusammen, das noch in diesem Jahr erscheinen soll: Diablo 4, die Fortsetzung eines der bekanntesten und langlebigsten Franchises der Gamingwelt.

Die Vorfreude der Fans ist riesig, die Aufmerksamkeit der Presse für dieses Spiel dem Anschein nach uneingeschränkt. Überall buhlen derzeit News, Vorschauen und Kolumnen über diesen Titel um Klicks und Aufmerksamkeit. Und zwischen all der Vorfreude und Aufregung? Ein kleiner Vermerk, ein kurzer Einschub, der auf das hinweist, womit sich das Entwicklerteam von Diablo 4 in den letzten Monaten herumschlagen musste. Es geht um den Riesenkonzern Blizzard, Missbrauchsvorwürfe von ehemaligen Mitarbeiterinnen, Kündigungswellen und Klagen von Angestellten.

Hier hat der Fachjournalismus im ersten Schritt gute Arbeit geleistet, seinen Job gemacht: Alle wichtigen Redaktionen haben diese Meldungen um Blizzard aufgegriffen, sie eingeordnet und teilweise sogar zum Anlass genommen, größere Reportagen über Sexismus in der Spielebranche und Arbeitsrechte von Angestellten zu veröffentlichen. Aber wie zuletzt bei Hogwarts: Legacy, das untrennbar mit Joanne K. Rowling und ihren transphoben Äußerungen zusammenhängt, stellt sich auch bei Diablo 4 die große Sinnfrage: Wie umgehen mit einem Spiel, das von einem Studio entwickelt wird, gegen das derart schwere Vorwürfe von sexueller Belästigungen und Diskriminierungen erhoben werden?

Es ist absehbar, dass sich diese Frage nach der Trennung von Urheber und Spiel in Zukunft leider immer wieder stellen wird. Eine Antwort, ein Verhaltensmuster für diese Fälle muss also her. Und die Antwort, die nun offenbar redaktionsübergreifend gefunden wurde, ist denkbar unelegant, ethisch fragwürdig – und hoffentlich nur eine vorübergehende Lösung.

Ein Infokasten als Antwort

Diese Antwort ist der Infokasten, ein aufklärender Einschub: Fast alle Berichte über Diablo 4 werden von einem kurzen Hinweis auf die vergangene Berichterstattung zu den Vorwürfen gegen Blizzard unterbrochen. Ein bis drei Zeilen, die mit Links auf bereits geschriebene Statements und Kolumnen verweisen. Danach? Weiter im Text, weiter mit der Vorfreude auf ein Riesenspiel, das getrennt von den Vorwürfen gegen das Entwicklerteam besprochen werden soll.

Dieser formalistische Clou wirkt leider wie ein fauler Spagat zwischen notgedrungen wahrgenommener Verantwortung vor dem Riesenthema „Sexismus“ und der SEO-Gier, einen so großen Titel nicht einfach ignorieren zu können. Der Infokasten mutiert zum Hinweis auf eine Fleißarbeit, die leidig getätigt wurde und nun als erledigt gilt.

Offizielle Begründungen wirken mitunter vorgeschoben und überschätzen den aktuellen Einfluss der Fachpresse, wie zum Beispiel jene des GameStar, wonach mit einem „Boykott“ des Spiels auch Entwickler*innen „bestraft“ würden, die nichts mit den Vorwürfen zu tun haben. Ein herbei gezerrtes Feigenblatt, das die eigene Blöße bedecken soll.

Dabei gäbe es Zwischentöne, die die Existenz des Spiels weder ignorieren noch jegliche Verantwortung auf einen Querverweis-Dreizeiler abschieben: Eine bewusst eingeschränkte Berichterstattung etwa, die nicht über zentrale Formate wie einen Test hinausgeht und die somit ein deutliches Zeichen setzen würde. Oder das Ende einer Trennung von „Spielbesprechung“ auf der einen Seite und Einordnungen von Vorwürfen gegen das Studio auf der anderen Seite, um so der Tatsache gerecht zu werden, dass Werk und Urheber miteinander verbunden sind. Und ich bin mir sicher: Es gibt noch klügere, noch bessere Antworten, die ein Redaktionsteam finden kann, das an anderen Stellen hochwertige Reportagen und Berichte auf den Weg bringt.

Presse, zeige Haltung!

Ohne Haltung ist Journalismus zahnlos. Und mit dem neuen Feigenblatt haben sich Redaktionen vorerst die Möglichkeit genommen, ernste Vorwürfe innerhalb der Industrie auch mit Konsequenzen in der Berichterstattung zu versehen. Stattdessen soll der Mittelweg die Google-Suchanfragen und den Druck zur Positionierung gleichermaßen befriedigen. Das Ergebnis?

Eine Lösung, die bequem erscheint, aber den Spielejournalismus um eine dringend notwendige Gelegenheit beraubt, Rückgrat zu zeigen. Wenn nicht in diesem Fall, wann dann?

Vielleicht tue ich mit diesem Urteil den Redaktionen Unrecht, die sich nicht bewusst sind, wie ihre Lösung für die obige Sinnfrage nach außen hin wirken kann. Denn leicht ist diese Diskussion und die Suche nach einem Umgang mit dem beschriebenen Dilemma in der Tat nicht. Und vielleicht gehöre ich nur zu der verschwindend kleinen Minderheit, die sich am beschriebenen Umgang mit der Causa Blizzard & Co. stört und mehr Konsequenz verlangt.

Vielleicht aber auch nicht. Und dieser Gedanke sollte zum Anstoß genommen werden, schleunigst wieder das Plateau zu verlassen, auf dem es sich zu viele Redaktionen gerade erst gemütlich gemacht haben.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

36 Ergänzungen

  1. Tja, will man Fachpresse oder Moralpostille sein?

    Die Zielgruppe für letzteres ist halt begrenzt. Würde ich auch kein Geld für ausgeben.

    1. Die Produktionsbedingungen eines Produkts sind ein Qualitätsmerkmal und sollten somit selbstverständlich auch in entsprechenden Produktbewertungen thematisiert werden. Insbesondere, wenn sie besonders positiv oder eben auch negativ wie im Fall von Blizzard ausfallen.

      Dass die reine Information darüber schon zur hart für so manches G4merz-Seelchen ist, ist ja nichts Neues. Es ist ja auch wirklich schwer zu ertragen, wenn mal nicht infantil vergossene Tränchen über die unerträgliche Zensur von „Vagina Bones“ thematisiert werden, sondern statt dessen ganz reale Probleme auf den Tisch kommen, näch?

      1. „Die Produktionsbedingungen eines Produkts sind ein Qualitätsmerkmal“

        Nein, sind sie überhaupt nicht.

        Sie sind ein Merkmal des Produktes, und man kann sie aus vielen Gründen als sehr wichtiges Merkmal sehen. Aber das hat nichts mit Produktqualität zu tun.

        Produktqualität ist eine inhärente Produkteigenschaft.

        1. Mit genau dieser Argumentation ist es wunderbar leicht erträglich, zum Beispiel die billigen Klamotten von Primark und Co. zu kaufen.

          Nein, selbst wenn die T-Shirts gut verarbeitet sind, sind sie keine qualitativ guten Produkte, wenn dafür Frauen und Mädchen in Bangladesh unter menschenrechtswidrigen Bedingungen ausgebeutet werden.

          1. Wer das nötig hat, hat entwicklungsseitig Aufholbedarf.

            Entweder die Produktionsbedingungen sind mir wichtig, dann sind sie neben der Produktqualität ein wesentlicher Auswahlfaktor. Aber die besten Produktionsbedingungen können mangelnde Qualität nicht ausgleichen.

            Oder die Produktionsbedingungen sind mir egal, dann sehe ich sie ohnehin nicht als relevante Eigenschaft, egal ob als Teil der Qualität oder nicht.

            Ansonsten ist es mir völlig freigestellt, für welche Qualität ich mein Geld ausgeben will. Der Anspruch an menschenwürdige Produktionsbedingungen sollte weniger willkürlich sein.

          2. Du solltest Dich mal mit Einkäufern im traditionellen oder gerne auch fair trade orientierten Handel unterhalten, die sehen das anders.

            Das schlecht genähte T-Shirt aus nicht formstabilen Stoff ist low quality, egal wie fair die Näher bezahlt werden oder was für ein Logo drauf ist. Wer sich das leisten kann, kauft einmal eins, wirft es zeitnah weg, und bucht „fair“ danach unter „gut gemeint aber nicht gut gemacht“.

            Wenn die Qualität stimmt, ist fair trade ein zusätzliches gutes Argument, vielleicht sogar für einen höheren VK.

            Die Lernkurve gab’s schon vor 30 Jahren mit der ersten Generation fairem Kaffee aus Nicaragua. Sandino Dröhnung war voll korrekt und ungenießbar, hat den Umsatz auf Jahre gebremst.

          3. Wo ist dieser Strang den hin?

            Produkteigenschaft ist völlig logisch, allerdings beinhaltet das keinerlei Wertung bzgl. der Relevanz für den Kunden, namentlich Kaufgrund. Will sagen, Kunden entscheiden, ob die Eigenschaften des Produktes und dessen Entstehung für sie relevant sind. Die vordergründige Qualität ist demgemäß unabhängig begutachtbar.

            Stimmt natürlich auch nicht 100%, allerdings muss man differenzieren, ob es hier z.B. um Gewährleistung oder Produkthaftung gemäß Gesetz geht, oder um Gewährleistung eines lebbaren Planeten auch für Menschen. Das ist einfach der Unterschied. Man könnte auch argumentieren, dass zur Qualität eines Produktes eben auch die Lieferkettensache zählt, auch weil Unternehmen nicht immer die gleiche Lieferkette für alles haben (…). Dann fängt das Produkt eben an zu stinken, sogar noch bevor es bestellt wurde. Das ist eben eine Sache des Blickwinkels auf „die Sache“.

  2. Journalismus braucht Haltung, aber Haltung macht noch keinen Journalismus.

    Die „Progressiven“ haben sich mit den zumindest sehr laut sichtbaren und zT gelebten Forderungen nach „unbedingter Solidarität“, Beweislastumkehr und konsequenter Sanktion ohne Verfahren keinen Gefallen bezüglich Glaubwürdigkeit getan. Ging ein paar Mal spektakulär schief, ansonsten idR außergerichtliche Vergleiche samt Verschwiegenheitsvereinbarung, bei denen gerade in den USA nie klar ist, ob als Schuldeingeständnis, damage control oder geglückte Erpressung zu deuten.

    Der Kreuzzug gegen alle und jeden, welche JKR nicht mindestens als das Böse unter der Sonne verdammen, macht es nicht besser.

    Zuviel Haltung ohne Substanz erzeugt Artikel, die Leser vertreiben. Und die Position des gatekeepers mit Diskurshoheit ist in Zeiten des Internets, zum Glück, Geschichte.

    Mal ganz davon abgesehen, dass viel „Spielejournalismus“ analog „Motorjournalismus“ oder „Sportjournalismus“ lediglich Teil des kommerziellen eco systems ist.

  3. Früher galt einmal: Nur ohne Haltung ist Journalismus echter Journalismus. Berichte über das, was ist und überlasse das Urteil dem Leser. In diesem Sinne ist ein Infokasten mit Hinweisen auf außerspielische Aspekte die richtige Herangehensweise.

    Videogames sind für die meisten Menschen ein Zufluchtsort, ein Eskapismus von den Problemen und Sorgen der realen Welt. Einfach mal abschalten und Spaß haben. Wenn die Spielepresse anfängt, jeden Bericht über Games moralisch aufzuladen und jedes Echtweltproblem bis in die letzte Pixelgrafik hineinzutragen, dann werden die Gamer dies quittieren. Im Wortsinne.

    1. Äh, nein, Journalismus ohne Haltung ist einer Gesellschaft nicht dienlich. Einer völlig „neutrale“ Berichterstattung von Tatsachen ohne Einordnung ist so kontraproduktiv wie illusionär. Haltung muss erkennbar, transparent und einzuordnen sein. Haltung bestimmt auch, was wie berichtet wird.

      Der ÖR zB hat einen klaren Verfassungsauftrag und daraus folgende Haltung zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat.

      1. Bei Print-Magazin ist das tatsächlich ein Problem. Bei Webseiten finde ich solche Links zu lose mit dem Spiel zusammenhängende Information hingegen den mit Abstand besten Weg. Wer Interesse hat, kann mit einem Klick alles dazu lesen. Wer nicht, wird kaum im Lesefluss gestört.
        Letztere müssen übrigends keineswegs ignorant sein. Es können auch genausogut Leute sein, die bereits informiert sind, und die Informationen nicht bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit nochmal wiedergekäut haben wollen.

      2. „Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat“
        Und das hat alles nichts mit beispielsweise hübschen Frauen, die für Spiele posieren oder
        eben „Tittenklickserien“, wie im Artikel erwähnt, zu tun. Schon gar nicht damit, dass mit der
        Berichterstattung über einem Spiel zwingend in gleicher Länge über Mißstände in dem Entwicklerstudio berichtet werden müsste.

        1. Eine Menge Medienerzeugnisse und Artikel sind kein Journalismus sondern Teil des kommerziellen Ökosystems der Branche. Das ist ein durchaus valides Angebot an die Konsumenten, gibt es schon ewig zB im Bereich „Auto“, „Sport“, „Reisen“ oder „Wohnen“. Autoren schreiben Texte als positives Werbeumfeld, zur positiven Branchendarstellung und letztlich Umsatzförderung. Corporate Media, die Drehtür zu PR ist weit offen.

          Das ist kein Journalismus, und eine Menge Medien beschädigen sich durch Selbstbetrug. Wer zB mal einen Blick in die „Autos sind sooo geil“ Seiten der SZ wirft, kann die Redaktion nie wieder zu Verkehrsthemen ernst nehmen, ausser als Gegner alles vernünftigen.

          Also die gestellte Frage: wie damit umgehen, wie schreiben? Moralinsaure Traktate liest niemand, und Journalismus soll durchaus auch dem Leser Spass machen und für Themen begeistern. Also auch einordnen, Hintergründe, Kontext. Wie schon jemand erwähnte ist online dazu bestens geeignet…

        1. Nach der Sichtweise kann niemand nicht Aktivist sein.

          Denn entweder ist er für eine Thematisierung oder dagegen. Und wer Probleme nicht thematisiert ist Aktivist für die Beibehaltung des Status Quos inklusive der Probleme.

          Sieht man perfekt bei der Klimakrise: die Journalisten, die Kontexte und Perspektiven beibringen, werden als „grüne“ Aktivisten bezeichnet. Dabei sind die Journalisten, die das nicht tun, als Aktivisten des „weiter so“ aktiv, was selbst laut BVerfG der Gesellschaft nicht zuträglich ist.

          In der realen dynamischen Welt kann man nicht „keine Haltung“ haben und „neutral“ wirken.

    2. Ja, das jeder Veränderung abholde Bürgertum liebt HaJo Friedrichs Satz „Einen guten Journalisten erkennt man daran, […] dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“. Denn scheinbar erlaubt der ja das tatenlos an der Seite stehen, scheinbar fordert es false balance. Und man ist so daran interessiert, jede unbequeme Haltung als „Aktivismus“ zu diskreditieren.

      Nur geht es da um einzelne Ziele, nicht um Haltung. Als ÖR-Journalist hatte er explizit den Auftrag, sich mit „guten Sachen“ wie FDGO oder Wahrung der Menschenwürde gemein zu machen, und ist dem auch nachgekommen. Dazu gehört übrigens auch Erhalt der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen.

      Dass der ÖR diesem Auftrag zT nicht nachkommt, wie bei Pandemie und Klimakrise zu sehen, ist ein Problem. Und es wird dem ÖR das Genick brechen, wenn dabei bleibt. Das wäre natürlich im Interesse von Wirtschaft und Großteil der Politik, und die exorbitanten Ruhegehälter der Intendanten sind sicher, aber fatal für uns als Gesellschaft. Jedenfalls alle nicht hochprivilegierten Bürger.

      In wieweit man Berichterstattung als Teil des kommerziellen Ökosystems einer Branche als Journalismus bezeichnen kann, hängt gerade stark von Themen und Haltung ab.

  4. Auch dieser Artikel bietet wieder keine Alternative. Worüber soll man diskutieren, wenn jemand irgendwas verlangt aus irgendwelchen Gründen, aber gar nicht sagt, was eigentlich anders gemacht werden soll.

    Also, Dom. Zeige mal die Haltung, welche du einforderst.
    Wie soll die Presse damit umgehen?

  5. Der Riesenkozern heißt nicht Blizzard sondern Activision Blizzard. Activision-Blizzard ist auch kein Studio, sondern ein großer Publisher mit mehreren Firmen. Selbst im Link geht es um Activision Blizzard.
    Nach kurzer Suche bin ich auf diesen Artikel von 2021 gestoßen. https://www.bbc.com/news/technology-58187612 u.a. mit den Diablo 4 Director. Aus dem Artikel geht aber nicht hervor, warum sie das Unternehmen verlassen haben.

  6. Die Journalistin E.J. Rosetta etwa wurde beauftragt, eine Story über die 20 schlimmsten transphoben Aussagen Rowlings zu schreiben und „konnte nach drei Monaten der Recherche nur ihre leeren Hände vorweisen – da war nichts.

    Vielleicht sollte man auch dies endlich mal zur Kenntnis nehmen auch wenn aus der immer gleichen Ecke diese Vorwürfe permanent wiederholt werden. Dadurch werden die nicht richtiger

  7. Es bleibt ja auch nicht bei Blizzard. Der Sexismus-Skandal aus 2021 betraf ja sogar ganz Activision Blizzard. Wenn man hier zum Bericht-Boykott aufruft, darf man aber auch nicht die vergleichbaren Skandale bei Ubisoft, Riot Games und anderen Unternehmen aus den letzten Jahren unter den Tisch kehren. Dazu die regelmäßigen Crunch-Phasen der Großen wie Rockstar Games, an denen nachweislich Leute kaputt gegangen sind. Obendrauf kommen dann besondere Verknüpfungen wie bei Rowling und Hogwarts Legacy. Eine „Redaktion mit Rückgrat“ navigiert sich so schnell in eine Position, in der sie die halbe Industrie auf die schwarze Liste setzen muss.

    Und wie lange hält man den Boykott dann aufrecht? Wie lange soll man diese Vorwürfe wertend mit in Tests und Co. einfließen lassen? Nach dem Sexismus-Skandal bei Activision Blizzard mussten ja bereits zahllose Blizzard-Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Zudem wurden durch die neue Führung nachweislich mehrere Maßnahmen durchgeführt, um die Situation zu verbessern (auch wenn weiterhin nicht alles optimal bei Blizzard läuft). Und nach außen hin zeigen sich die Teams von WoW, Hearthstone, Diablo und Co. mittlerweile deutlich diverser als es noch vor dem Skandal der Fall war. Wie lange will man diese neu aufgebauten Teams also für all die schlimmen Dinge bestrafen, die von Blizzard-Mitarbeitern getan wurden, die nicht mehr im Unternehmen arbeiten?

  8. Also ab einer gewissen Konzern/Unternehmensgröße werden doch mit Sicherheit – rein statistisch – auch unerkannt unangenehme Mitmenschen eingestellt werden. Und die werden dann irgendwann sichtbar, manchmal durch öffentliche Fehltritte, manchmal nur intern. Stellt sich die Frage, ob journalistisch gesehen nur die Art und Weise des Umgangs mit solchem Personal zu betrachten wäre? Wäre fair.
    Im Moment herrscht aber ja die ganz große Eskalation für Clickbait vor, bei dem das gleich zur Unternehmenskultur hochgejazzt wird. Die noch verbliebene Rest-Glaubwürdigkeit der Medien wird da wohl weiter leiden.

    Zum aktuellen Hogwarts-Spiel hat die Mainstream-Presse (Spiegel etc) ausschliesslich sexistische, Trans- und sonstige Fokus-Artikel rausgehauen und kaum was zum Spiel gesagt, das darf sich das geneigte Publikum dann bei YT/Twitch Streamern angucken. Thema verfehlt.

    Neu ist das nicht: früher gab es Statements, Unternehmen (wie zB Douglas und Thalia) würden von „Scientology“ geleitet, weil angeblich einer von 40.000 Mitarbeiter bei denen eingetreten war. Ist natürlich Unsinn, ist letzlich eine Rufschädigung, lässt sich aber immer noch sofort im Internet finden, beginnend ab 2007!

    Also ein Kasten ist da genau richtig, solange das nicht per gerichtsfest geklärt ist.

  9. Warum wird von Journalismus immer wieder verlangt, ausserhalb seines Kernbereichs wertend oder erklärend zu sein.
    Man verlangt das nicht von einem Arzt, nicht von einem Anwalt aber von einem Spielemagazin erwartet man eine moralische Bewertung eines hochkomplexen (und übrigens noch lange nicht abgeschlossenen) Vorfalls?
    Verlangt man von einem Handyverkäufer, dass er einen über die sozioökonomischen, ethischen und weltwirtschaftlichen Konsequenzen einer Lithium Ionen Batterie aufklärt… weil, die ist ja in dem Handy.
    Die Aufklärung, Einordnung und Bewertung ist Sache der entsprechenden Fachleute, ob Juristen, Psychologen oder aber Journalisten, die tief in der Materie drin sind. Die ich aber nie fragen würde, wie sie ihren Ethernet Thruput optimieren würde…..

  10. Sehr geehrte Damen und Herren,

    in seinem Text „Das neue Feigenblatt des Spielejournalismus“ erwähnt der Autor Dom Schott, dass J.K. Rowling „transphobe“ Aussagen getätigt hat, ohne diese Aussage zu beweisen! Könnte da eine klare Quelle angeben werden, die ohne missgünstige Auslegung von Wortmeldungen auskommt? Da ich bei eigener Recherche bis jetzt nur kritische Beiträge zur SelfID gefunden habe, und Kritik sollte ein Gesetz und erst Recht eine Demokratie aushalte, jedoch keine Aussage die man als Transfeindlich oder Transphob bezeichnen könnte.

    Mit freundlichen Grüßen

    Christian Nollau

    1. is englisch, ich übersetz das jetzt nicht alles
      https://katymontgomerie.medium.com/why-what-jk-rowling-said-is-transphobic-42081477afa1
      https://medium.com/bouncin-and-behavin-blogs/is-j-k-rowling-transphobic-4d4639ea8398
      https://katymontgomerie.medium.com/addressing-the-claims-in-jk-rowlings-justification-for-transphobia-7b6f761e8f8f
      rowling löschte ihren support tweet für steven king, weil der -nicht an sie gerichtet, tweeted dass trans frauen frauen seien, zeigt deutlich jks hasskape für die trans community.
      https://eu.usatoday.com/story/entertainment/celebrities/2020/06/30/jk-rowling-deletes-stephen-king-tweet-support-transgender-women/3283982001/
      Ihr kungeln mit selbsternanntem christlich-nationalisten matt walsh der alle queeren leute groomer schimpft, aber dafür argumentiert, dass 16 jährige schwängern voll cool sei zeigt ihr „für frauen zu sprechen“ nix als lüge is, sonst würde sie nicht nen typen unterstützen der abtreibung verbieten würde & ganz heiß wird beim gedanken an nen christlichen gotteststaat.
      https://www.advocate.com/news/2022/7/11/jk-rowling-and-matt-walsh-blasted-online-over-shared-transphobia
      jk, hetero frau erklärt der queeren community wie wir unsere flagge designen sollen
      https://www.queerty.com/jk-rowling-shares-criticism-of-black-brown-and-trans-stripes-on-adapted-pride-flag-20230327
      Oh und das Frauenhaus, dass Rowling unterstützt keine trans frauen reinlässt,
      https://www.advocate.com/transgender/2022/12/14/jk-rowling-funds-sex-abuse-crisis-center-excludes-trans-women
      obwohl diese statistisch gesehen genauso häufig(per capita, nicht absolut)an gewalt leiden zeigt genau, dass jk`s freundliche bigotterie nur leute täuscht, die nettigkeit und höflichkeit mit tatsächlicher güte verwechseln.
      genug um uns zu glauben, dass sie transphob is? ihre lügen dienten als argument, notwendige internationale standard therapie zu verbieten
      genug?

  11. Natürlich sind Videospiele, wie einige User hier anmerken, für viele Leute Eskapismus, und wenn der eigene Alltag von miesen Arbeitsbedingungen, ebenso inkompetenten wie unfairen oder gar übergriffigen Vorgesetzten und schlechter Bezahlung geprägt ist, will man einfach nicht hören, dass die Videospielwurst aus demselben Horror gemacht ist, dem man damit ja gerade zu entfliehen versucht – es könnte einem schließlich den Appetit verderben. Ist halt menschlich. Das macht es nicht besser.

    Das Problem mit dem Spiele„journalismus“ ist nicht, dass er über die Missstände in der Industrie nicht genug berichte – das Problem ist, dass er über sie oft gar nicht berichtet. Was im Spiele„journalismus“ publiziert wird, ist größtenteils nichts anderes als Corporate Media. Die Unabhängigkeit von der Industrie besteht nur auf dem Papier, nicht aber in der Realität der Aufmerksamkeitsökonomie, wo Zugänge zu exklusiven Presseevents und anderen Privilegien, die die Publisher der Fachpresse einräumen, essentiell sind (wer zuerst berichtet, bekommt die meisten Klicks), und man nicht die Hand beißt, die einen mit Material füttert. Das erklärt, warum DRM gar nicht und unlautere Geschäftspraktiken (illegales Glücksspiel, wie nun in Österreich gerichtlich festgestellt) nur stimmungsabhängig kritisiert werden, und warum z. B. auf YouTube nur jene Content Creators, die sich komplett unabhängig über Crowdfunding finanzieren, nach wie über die Missbrauchsskandale bei Activision Blizzard, Ubisoft & Co. berichten sowie für sich und ihren Content Konsequenzen daraus gezogen haben.

    Dass die Presse jetzt mit Infoboxen um die Ecke kommt, deute ich als widerwillige Einsicht, seinem journalistischen Auftrag doch irgendwie so halbwegs nachkommen zu müssen. Integrität sieht anders aus.

  12. Die Sache mit Blizzard ist wirklich problematisch. Dumm nur, dass hier schon wieder Harry Potter mit auf diesselbe Stufe gestellt wird. Aussagen von J.K Rowling kritisch zu sehen, finde ich vollkommen in Ordnung. Ich sehe sie selbst kritisch. Der Versuch, ihr als „Strafe“ aber eine Plattform zu entziehen, gegen ihr Werk vorzugehen oder sie und ihr Werk wegzucanclen oder sogar ein Werk Dritter, das von ihrem Werk inspiriert wurde ebenfalls wegzucanceln. Ist der falsche Weg. Der Zweck heiligt die Mittel nicht. Ich habe mich mein ganzes Leben lang für die Rechte von Minderheiten eingesetzt und Herzblut in die Sache gestetckt. Doch diese Exzesse der Cancel-Culture mache ich nicht mehr mit. Vor allem nicht mit dieser: Wenn du nicht bereit bist bis zum äußersten zu beweisen, dass du ad hominem mitgehst, bist du gleich eine der Gegenseite. Sorry. Ohne mich. Ich halte es da eher mit Voltair….

  13. Schade. vieles in dem Artikel ist richtig und wichtig. Doch dann kam das zu Rowling…Ich bin mir zwar sicher, dass es die meisten Menschen nur gut meinen und Brandnauern gegen Transphobie errichten wollen, aber das macht es nicht weniger schlimm. Das „Gute“ kann auf diese Art nicht gewinnen. Boykott ist das Mittel der Bösen.

    1. Boykott als individuelle Entscheidung im Rahmen einer individuellen Entscheidungsfreiheit ist absolut legitim. My money, my choice.

      Das hat ja nichts damit zu tun, ob ich alle Andersdenkenden als das Böse unter der Sonne tituliere oder nicht.

    2. Vermutlich kleine aber sehr sichtbare Teile der „Trans-Aktivisten“ haben ihr Thema leider zur diskursiven Giftpille gemacht: wer nicht absolut unmissverständlich allem zustimmt, ist ein auf allen Ebenen als Feind der Menschenrechte persönlich zu konfrontierendes Individuum.

      Das führt dann leider zu echter Diskriminierung und Tabuisierung, denn wer wollte sich oder sein Projekt einer solchem Gefahr unnötig aussetzen? Wie jeder Anwalt als erstes sagt: als Verdächtiger nie mit der Polizei reden.

      1. Das hat die Ölindustrie auch schon gemacht, Waffenindustrie, Militär, Politik, eigentlich alle. Die katholische Kirche vermutlich auch, irgendwann mal.

        Einziger Punkt dabei ist allerdings schon, was wir von (lanjährigen) Regierungsparteien kennen, die Kritik z.B. einfach abbügeln, und immer darauf verweisen, man sei doch immer gewählt und daher gestützt, man sei erfolgreich, und die eigenen Konzepte damit gewünscht. Demgegenüber ist die Taktik, sich Invarianten und Symmetrien zu suchen, bei denen man nicht ablehnen kann, durchaus nachvollziehbar – ob das dann korrekt gelingt oder verfängt, und nicht nur noch rhethorische Hülsen ohne fundierten Inhalt bleiben, ist dann wiederum eine andere Frage.

  14. Also wir sehen schon die ganzen GPT-Verschnitte verschiedener Lager. Um es einzuordnen: selbstverständlich habe ich den Artikel nicht gelesen, aber ich denke, das Thema als LGPT+-Fake abzutun wird letztlich auch diesem Post überhaupt nicht gerecht.

  15. Danke für die Gedankenstubser, Dom.

    Ich meine in vielen Ergänzungen eine gewisse Verteidigungshaltung zu spüren.

    Letzten Endes geht es bei diesen Auseinandersetzungen nicht darum jemandem etwas wegzunehmen. Es geht darum unser aller Zusammemleben und unseren Umgang miteinander zu verbessern. Zum Wohle aller. Es geht darum uns für die Sorgen und Nöte anderer Menschen zu sensibilisieren. Es geht darum aufzuzeigen, dass viele Taten im Leben politisch sind. (Das muss man nicht mögen, ändert jedoch nichts an der Tatsache)

    Das macht die Welt leider komplexer und das eigene Handeln oft mehr ambigus als einem lieb ist. Doch daran ist nicht der überbringer der Nachricht schuld. Don’t kill the messenger..

    Ich vermute, dass viele Redaktionen sehr mit sich hadern, in Bezug auf ihren Umgang mit solchen Themen. Denn nur zu oft bringt das Aufzeigen von Konsequenzen auf Handlungen die Menschen dazu aus einer Verteidigungshaltung in den Angriff über zu gehen. Dabei wird dann das eigentliche Thema hinweggespült und übrig bleibt ein großer Scherbenhaufen. Und leider wird wohl darauf hin oft „der sichere Weg“ gewählt.

    Aber jeder muss ja für sich entscheiden, ob er auf der Stelle setehen bleiben will oder nicht. Denn wer nicht mit der Zeit geht muss mit der Zeit gehen.

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.