Kindgerecht per KnopfdruckVerbände watschen Jugendschutz-Pläne der Länder ab

Erstmals sollen auch Anbieter von Betriebssystemen den Jugendschutz im Netz durchsetzen. Das planen die Länder im neuen Staatsvertrag für Jugendmedienschutz. Branchenverbände halten das für Unfug.

Eine Hand drückt einen Button mit der Aufschrift "on"
Warum lässt sich nicht alles per Knopfdruck lösen? (Symbolbild) – Hand: Pixabay; Button: Unsplash / Elnaz Asadi; Montage: netzpolitik.org

Was können Betriebssysteme wie Windows oder Android dafür, dass Kinder verstörende Videos im Netz finden? Aus Sicht der Bundesländer: viel. Die Länder wünschen sich eine Art Knopf, den Eltern einfach drücken können, um ein Gerät blitzschnell kindersicher zu machen. Und die Anbieter von Betriebssystemen sollen ihn bauen.

Das geht aus einem Entwurf zur Reform des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) hervor, den die Länder vorgelegt haben. Branchenverbände wie Bitkom, eco, FSM, Game und JusProg sehen darin wenig Gutes. Der Tenor ihrer Stellungnahmen: Jugendschutz ja, aber doch nicht auf Ebene der Betriebssysteme.

Für den IT-Branchenverband Bitkom etwa müsste Jugendmedienschutz technisch umsetzbar und rechtssicher sein und dürfe aktuelle Standards nicht senken. Doch genau daran gehe der Vorschlag der Länder „weitestgehend“ vorbei. Er reguliere „ausschließlich solche Bereiche, die bereits gut funktionierende Lösungen anbieten.“ Der Verband der Internetwirtschaft eco schreibt von „erheblichen Bedenken“. Der praktische Mehrwert der Reform sei begrenzt.

Betriebssysteme „am weitesten entfernt“

„Das System des technischen Jugendmedienschutzes würde insgesamt langsamer, unflexibler und intransparenter“, urteilt die FSM (Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter). Der Verband der deutschen Gamingbranche, game, hält den Ansatz für „überholt“. Um die angestrebten Ziele zu erreichen, sei der Vorschlag der Länder „aus inhaltlichen, technischen und rechtlichen Gründen“ nicht tauglich. Das Land Rheinland-Pfalz koordiniert die Reform des JMStV. Eine Sprecherin schreibt auf Anfrage von netzpolitik.org, es gebe „kritische Anmerkungen“ und „positives Feedback“.

Aktuell sind es vor allem die Anbieter von Inhalten, die den Jugendschutz umsetzen, etwa durch Altersfreigaben und Alterskontrollen. Auf YouTube sind manche Videos beispielsweise nur ab 18 verfügbar; Netflix bietet separate Profile für Kinder an; Apps in App Stores bekommen eine Alterskennzeichnung; Pornoseiten bekommen Ärger, wenn sie ihre Inhalte für Jugendliche anbieten.

Die Anbieter von Betriebssystemen sind „von den Inhalten am weitesten entfernt“, schreibt die FSM. Sie hätten an den Inhalten „weder ein eigenes Interesse“, noch könnten sie auf deren Anbieter inhaltlich Einfluss nehmen. „Es entstünde eine international nicht anschlussfähige deutsche Insellösung“.

Eine Art Kindermodus

Die Länder schreiben im Gesetzentwurf: „Betriebssysteme, die von Kindern und Jugendlichen üblicherweise genutzt werden, müssen über eine […] Jugendschutzvorrichtung verfügen“. In dieser Vorrichtung müsse sich eine Altersstufe einstellen lassen, heißt es weiter. Diese Vorrichtung versetzt ein Gerät in eine Art Kindermodus:

  • Auf dem Gerät gäbe es nur noch systemeigene Browser mit einer Suchfunktion, die nicht jugendfreie Inhalte aus den Ergebnissen filtert.
  • Apps könnten nur über eine systemeigene Plattform installiert werden – dort wären dann ausschließlich Apps verfügbar, die eine entsprechende Alterskennzeichnung vorweisen.
  • Bereits installierte Apps ohne Alterskennzeichnung wären gar nicht erst verfügbar.

Was zunächst nach praktischen Einstellungen für ein Kinderhandy klingt, wirft bei näherer Betrachtung jede Menge Fragen auf. Wer müsste da alles mitmachen? Die FSM befürchtet, diese Regulierung könnte etwa PCs, Handys, Tablets, Smart TVs, Spielekonsolen, Smartspeaker und Wearables treffen. Doch eine pauschale Lösung für alle, warnt die FSM, führe zu einer „Verschlechterung des Schutzniveaus“.

Browser sind keine Suchmaschinen

Es habe sich laut FSM branchenweit durchgesetzt, dass Eltern für verschiedene Familienmitglieder individuelle Profile anlegen. Die FSM nennt an dieser Stelle zwar kein konkretes Beispiel, denkbar wären aber Profile bei Streaming-Anbietern. So haben Familien etwa auf ihrem Smart-TV ein Profil ohne Beschränkungen für die Eltern; ein Profil ab 12 Jahren für das ältere Kind, und ein Profil ab 6 Jahren für das jüngere. „Diese Art der Konfiguration durch die Eltern würde durch die Jugendschutzvorrichtung in dem Fall pauschal überschrieben“, warnt die FSM.

Kritik gibt es außerdem an der von den Ländern geplanten „gesicherten Suchfunktion“ für Browser. Nicht etwa Browser haben eine eigene Safe-Search-Funktion, sondern Suchmaschinen, die sich mit Browsern ansteuern lassen. Und diese Safe-Search-Funktion kann zwar die Suchergebnisse beeinflussen, nicht aber verhindern, dass Kinder im Browser beliebige Websites direkt ansteuern. Ein Schutz vor verstörenden Inhalten ist das daher nicht.

Das könne die Erwartung von Eltern enttäuschen, kritisiert etwa der Verein JusProg, der Brancheninteressen für Kinder- und Jugendschutz im Netz vertritt. Damit Eltern ihre Kinder vor entsprechenden Websites abschirmen können, bietet der Verein längst ein Jugendschutzprogramm an. Eltern können es auf den Geräten ihrer Schützlinge installieren. Es funktioniert wie ein lokaler Filter und verhindert den Aufruf der Seiten.

Blinder Fleck: Linux

Ein weiterer blinder Fleck des Vorhabens der Länder sind quelloffene Betriebssysteme und alternative App-Stores. Zum Beispiel sind Linux-Distributionen eine freie Alternative zu kommerziellen Betriebssystemen wie Windows und MacOS. Aber weder gibt es das eine Linux noch den einen Linux-App-Store. JusProg warnt: Dem neuen JMStV zufolge „könnten Minderjährige bei diesen Systemen keine Apps und Software mehr installieren und wären insofern von der digitalen Welt weitgehend abgeschnitten“.

Der aktuelle Entwurf der Länder ist nicht der erste. Bereits vor etwa einem Jahr haben die Länder einen Vorschlag zur Reform des JMStV vorgelegt. Auch dagegen hatten die Verbände heftig protestiert. Damals wollten die Länder, dass sich Nutzer:innen gegenüber ihrem Gerät erst einmal als volljährig ausweisen, wie Heise Online berichtete. Ansonsten hätten sie über ihr Gerät nur jugendfreie Websites ansteuern können – genauer gesagt Websites, die sich für den deutschen Markt als jugendfrei kennzeichnen. In einem gemeinsamen Brief warnten die Branchenverbände vor „faktischen Sperren weiter Teile des Internets“.

Bund und Länder ringen um Jugendschutz

Zumindest diese Probleme lassen sich im neuen Entwurf der Länder nicht mehr finden. Nun wertet die für das Gesetzesvorhaben zuständige Rundfunkkommission der Länder die neuen Stellungnahmen aus. „Voraussichtlich im Herbst werden auf dieser Grundlage weitere Schritte beraten werden“, schreibt eine Sprecherin.

Grundsätzlich arbeiten sowohl die Länder als auch der Bund mit je eigenen Gesetzen am Jugendmedienschutz. Dahinter steckt auch ein Ringen um die Frage, wer bei dem Thema das Sagen hat. Der Bund stellt dem JMStV der Länder sein eigenes Jugendschutzgesetz (JuSchG) zur Seite. Beide Gesetze regulieren inzwischen sogenannte Telemedien, also Inhalte im Netz. Der Bundesrat kritisiert das als „sachwidrige Doppelregulierung“ und „zersplitterte Aufsicht“.

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7 Ergänzungen

  1. Alles ineffektiv:
    Laptop in EU-Ausland gekauft -> keine vorinstallierten Betriebssystemfilter und Alterskontrollen!
    Linux installiert -> keine Abhängigkeit und Zwang von/durch amerikanische Digitalkonzerne!

    Da könnteman doch gleich alle Handys und Computer nur noch von einer offiziellen staatlichen Stelle mieten lassen, wie zu Omas Zeiten mit dem Post-Telefon. Privatbesitz wird verboten. Totaler Irrsinn!

  2. Von der Jugendproblematik mal abgesehen: damit würde man Microsoft, Apple und Google Argumentationshilfen in die Hand geben, auf ihrem Betriebssystem nur noch „geprüfte/signierte“ Software zur Installation zuzulassen – aus Sicherheitsgründen natürlich. Die Politik würde geschlossene Sytseme (noch mehr) fördern.

    1. Ja, da decken sich zwei Ziele und machen die Umsetzung wahrscheinlicher.

      Fuer die aktuelle Politik ist sowas nie ein bug sondern immer ein feature.

  3. Was für eine Perversion!

    Damit wir das Volk noch mehr malochen lassen können und es nicht so auffällt, dass sich Eltern schon heute nur noch einen Scheiß dafür interessieren (können):
    – a) was die Kinder mit ihren vernetzten Computern anstellen,
    – b) warum die Kinder überhaupt schon vernetzte Computer benutzen dürfen,
    – c) warum Firmen mit ihren Kindern Geld verdienen dürfen,
    – d) warum es auch alle anderen Erwachsenen okay finden, dass unreife Kinder die mit Abstand wirkmächtigste Maschine, die je erfunden wurde, einfach unbeaufsichtigt und ständig benutzen dürfen und sie (die Eltern) mit den Folgeproblemen praktisch alleingelassen werden.

    Wir schlafen nun in dem Bett, dass wir uns selbst gemacht haben. Es ist nunmal nicht okay, dass ein Konzern festlegen darf, was ich mit meinem vernetzen Computer tun oder lassen darf. Dann kann ich:

    1.) keine Verantwortung lernen und sehe nicht, wie gefährlich (weil mächtig) vernetzte Computer sind. Die Eltern und Politiker von heute sind doch, ob ihrer eigenen Inkompetenz, vollkommen hilflos gegenüber ihren eigenen Computern. Getrieben von ihren Social media und Chat accounts anstatt Kontrolle auszuüben und Verantwortung für die eigene emotionale Gesundheit zu übernehmen. Ja, gänzlich unwissend, dass ein Erwachsener diese Verantwortung für sich überhaupt hat (und stattdessen lieber andere für seinen emotionalen Zustand verantwortlich macht).

    2.) auch keine Anwendungen abschalten (das geht noch prinzipiell, wissen aber nur die Leser von netzpolitik.org), wenn ich das tun will; oder zeitliche Einschränkungen vornehmen. Dass es diese Kontroll-Anwendungen für Smartphones nicht auf breiter Front gibt, liegt doch nicht an mangelndem Interesse, sondern schlicht daran, dass Konzerne verhindern wollen, dass man abschalten kann. Das ist ein klares Dark pattern um psychische Abhängigkeit zu erzeugen.

    Dass neben dem Smartphone quasi alles andere im Browser passiert, macht es nicht besser. 80% der Nutzer benutzen genau einen Browser der von einem Konzern hergestellt wird mit genau keinem Interesse daran, dass Nutzer die Kontrolle über ihre angezeigten Inhalte bekommen. Ein Hersteller, der schon gezeigt hat, dass er bereit ist, vorhandene Kontrollmöglichkeiten durch Änderungen der Implementation des Browsers weniger brauchbar zu machen.

    Was vorallem absolut gar nicht okay ist, und was auch der Kern des Problems ist, ist, dass man Daten handeln darf und dass es das Urheberrecht gibt (welches Daten überhaupt erst zu einem Handelsgut macht, indem es durch Verbotsrechte eine künstliche Verknappung erzeugt). Diese ganze Misere entsteht (im Zusammenhang mit vernetzten Computern) überhaupt erst dadurch, dass es ein Geschäftsmodell für das Handeln mit Daten gibt, obwohl Daten (quasi) zum Nullkostenpreis duplizierbar sind. Darum hat jeder „Marktteilnehmer“ ein ureigenes Interesse daran Datenspender abzusaugen (hier: social media Beiträge und andere Konsum von Kindern) und zu noch größeren Datenspenden zu manipulieren (Aggravating patterns (aka. empörungsgetriebene Auswahl an präsentierten Inhalten), Mobbing, ständige Nonsens-Kommunikation, ständiges Signalling „neuer“ Nachrichten).

    Vernetzte Computer sind die komplexeste Erfindung der Menschheit. So zu tun als wären das Jedermans-Geräte ist unfair und unverantwortlich. Jedenfalls, wenn man der breiten Masse die notwendige Bildung vorenthält damit verantwortungsbewusst umzugehen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.