Hallo,
als einer der letzten Plattformen hat sich jetzt auch Youtube entschlossen, härter gegen QAnon-Verschwörungsmythen auf der eigenen Plattform vorzugehen.
Zentraler Satz aus dem Youtube-Statement ist: „Heute unternehmen wir einen weiteren Schritt in unseren Bemühungen, Hass und Belästigung einzudämmen, indem wir mehr verschwörungstheoretische Inhalte entfernen, die zur Rechtfertigung von Gewalt in der realen Welt benutzt werden.“ Da fragt man sich natürlich: Warum erst jetzt und nicht bereits viel früher?
Der bisherige Fokus der öffentlichen Debatte lag vor allem immer auf Facebook, das selbstverständlich eine große Mitverantwortung trägt. Allerdings sollte man auch nicht übersehen, dass Youtube auch durch seine Mechanismen zum Weiterbildungsfernsehen Nummer 1 für alle Verschwörungsideolog:innen wurde und Verschwörungsgeschäftemacher:innen erfolgreich genutzt wird.
Die New York Times bietet für diese Thematik die sehr empfehlenswerte Podcast-Serie „Rabbit Hole – What is the internet doing to us?“ an, in der die Mechanismen von Youtube sowie die Strategien von Verschwörungsideolog:innen zum Bespielen der Mechanismen beschrieben werden.
Kevin Rose, der NYT-Journalist hinter dem Podcast, ordnet den neuesten Move von Youtube in einem Artikel ein: YouTube Cracks Down on QAnon Conspiracy Theory, Citing Offline Violence.
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Ein anderes Thema ist derzeit auch relevant: Die New York Post veröffentlichte eine mutmaßliche Enthüllungsstory über den Sohn von Joe Biden, der bereits seit geraumer Zeit das Lieblingsfeindbild der Trump-Administration ist und um den viele Verschwörungsmythen aufgebaut sind. Die angeblich geleakten Mails sollen aus einem Computer der Biden-Kampagne stammen, der zur Reparatur gegeben worden soll. Der Techniker soll die Inhalte dann an Rudy Giuliani weitergereicht haben. Soweit die Legende. Ob das wahr ist, ist mindestens unklar, weil der dubiose Trump-Anwalt Rudy Giuliani seine Finger mit im Spiel hat.
Auf jeden Fall ist dadurch eine Situation entstanden, die viele Medien und Plattformen in den vergangenen Jahren zum Thema Desinformationskampagnen und „Hack-and-Leak-Operationen“ im Vorfeld einer Wahl diskutiert und durchgespielt haben. Twitter sperrte den Link zum New York Post – Artikel und Facebook begrenzte die Reichweite durch seine algorithmischen Entscheidungssysteme. Dürfen die das? Und wenn ja, zu welchen Bedingungen und wer kontrolliert das eigentlich? Das ist umstritten. Twitter rudert mittlerweile zurück und will zukünftig statt auf eine Sperrung mehr auf Warnhinweise setzen. Vorausgegangen war eine Drohung der US-Regulierungsbehörde FCC, die die Haftungs-Regeln für Plattformen deswegen zu ändern. Dazu mehr bei Heise-Online: US-Behörde plant, Suchmaschinen und Soziale Netzwerke zu regulieren.
Patrick Beuth hat die Debatte gut auf Spiegel-Online zusammengefasst: Informationskrieg im US-Wahlkampf – Aufs Kreuz geleakt.
Mehr Meta-Berichterstattung bietet Ralf Heimann im immer lesenswerten Altpapier: Geleaktes Hack.
Die Tagesschau hat auch was: Twitter reagiert auf Kritik an Blockade.
Bei MotherJones gibt es auch eine gute Einordnung zu der Bewertung der Geschichte und ethischen Fragen des Journalismus: Giuliani and the New York Post Are Pushing Russian Disinformation. It’s a Big Test for the Media. „Diese Geschichte stellt eine Herausforderung für die amerikanischen Medien dar: Wie kann man über eine orchestrierte Kampagne zur Beeinflussung der Wahl berichten, die sich auf Desinformation, anzügliches und sensationelles Material und die Wiederbelebung von bereits entlarvten Anschuldigungen stützt?“
Wer jetzt denkt, dass das ganz weit weg ist: Das erinnert aber auch an die aktuelle Debatte um eine EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda, wo Plattformen innerhalb kürzester Zeit mit Uploadfiltern solche Artikel sperren können sollen, sofern Geheimdienste und Sicherheitsbehörden das veranlassen.
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Neues auf netzpolitik.org
Das Bundeskabinett hat am Mittwoch den Entwurf für ein neues Jugendschutzgesetz auf den Weg gebracht. Marie Bröckling fasst die Eckpunkte zusammen: Streaming-Dienste sollen kindgerechte Angebote schaffen.
Die deutschen Regelungen zum Jugendschutz sind grob veraltet und entsprechen nicht mehr der heutigen Realität. Die Bundesregierung macht nun einen Vorschlag, wie Netflix, Steam & Co ihre Angebote nach Altersstufen kennzeichnen sollen. Gangsta-Rap soll unter pädagogischer Aufsicht erlaubt werden.
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Der Goldene Aluhut für absurde Verschwörungsmythen wird einmal im Jahr verliehen. Die Initiative Querdenken wurde jetzt von der Abstimmung ausgeschlossen, der Gründer geht jetzt mit einem Anwalt dagegen vor, wie Daniel Laufer zusammenfasst: Querdenken kämpft mit Anwalt um den goldenen Aluhut. Absurder wird es heute nicht mehr.
Der „Goldene Aluhut“ hat „Querdenken“ wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten von der Abstimmung ausgeschlossen. Der Gründer der Initiative fordert einen Sieg jetzt per Anwalt ein. Dabei müsste er vor einem Gerichtsverfahren wohl zunächst wesentliche Fragen zu seiner Organisation beantworten – auch zu deren Finanzen.
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Kilien Vieth von der Stiftung Neue Verantwortung macht in einem Gastbeitrag „Sechs Vorschläge für eine bessere Geheimdienstkontrolle“.
Die Überwachungskontrolle müsste mit einem neuen BND-Gesetz umfassend reformiert werden. Doch im aktuellen Entwurf des Kanzleramts sieht es noch nicht nach dem großen Wurf aus. Unser Autor macht sechs Vorschläge, wie es besser laufen kann.
Kurze Pausenmusik:
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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Alexander Fanta unterstützt.
Was sonst noch passierte:
The International Center for Journalists (ICFJ) und das Tow Center for Digital Journalism at Columbia University haben die gemeinsame Studie „New Global Survey Raises Red Flags for Journalism in the COVID-19 Era“ (PDF) veröffentlicht. Steffen Grimberg fasst die Studie in der Taz zusammen: Facebook ist Superspreader.
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Der Securityplaner ist eine schöne englischsprachige Plattform zur Sensibilisierung über IT-Sicherheitsthemen. Das Projekt vom Citizen Lab wird jetzt in Kooperation mit der Organisation Consumer Reports weitergeführt und ausgebaut.
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Eine Studie bei Nature weist daraufhin, dass besonders von der Corona-Pandemie betroffene Staaten eine hohe Übersterblichkeit aufweisen würden: Magnitude, demographics and dynamics of the effect of the first wave of the COVID-19 pandemic on all-cause mortality in 21 industrialized countries.
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Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, beschreibt in der Zeit das System Fox News, das seit 25 Jahren mit seiner Berichterstattung die US-Gesellschaft spaltet: Wut schlägt Wahrheit.
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Ich nutze seit 20 Jahren OpenOffice, bzw. LibreOffice. Es gab mal eine Abspaltung der Projekte, als Oracle SUN samt OpenOffice übernahm und sich die freie Entwickler:innen-Community mehrheitlich dem Fork LibreOffice anschloss. Allerdings ist OpenOffice immer noch die stärkere Marke und nicht allen Nutzenden ist bewusst, dass LibreOffice das bessere Paket ist. Über den Streit und die Entstehungsgeschichte berichtet Heise-Online: OpenOffice feiert Geburtstag, LibreOffice meint: Juchhei, wir wollen euren Namen.
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Die Familie Haeusler befindet sich in der Corona-Quarantäne, weil ein Sohn positiv getestet wurde. Über viele Fragen und das unangenehme Gefühl, dass sich das zuständige Gesundheitsamt seit einer Woche nicht meldet, schreibt Johnny Haeusler bei Spreeblick: Corona in the house – Quarantäne mit der Familie.
Audio des Tages: Privat war gestern – Wem gehören unsere Daten?
Der HR2-Podcast „Der Tag“ berichtete dieser Tage über „Privat war gestern – Wem gehören unsere Daten?“ und dabei unter anderem über das neu erschienene Buch „Machtmaschinen“ von Thomas Ramge und Viktor Meyer-Schönberger.
Video des Tages: Chilly Gonzales und die Meinungsfreiheit
Die Arte-Dokumentation „Shut Up and Play the Piano“ porträtiert den Musiker Chilly Gonzales, der zwischen Kammerkonzert, Rap und elektornischer Musik viele Genres sprengt und tolle Musik macht.
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Mai Thi Nguyen-Kim erklärt im Mailab „Meinungsfreiheit am Beispiel Wendler“. Muss man leider immer wieder erklären, wenn manche Verirrte der Meinung sind, dass man ja überhaupt nichts mehr sagen dürfe (was aber irgendwie trotzdem immer klappt, sonst würde man davon ja nichts mitbekommen).
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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl
Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.
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