Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig über Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.
In den knapp zwei Jahren meiner bisherigen Fernsehratszeit gab es trotz mehrerer Landtags- und der Bundestagswahl nur wenige politisch motivierte Umbesetzungen auf der „Staatsbank“, also dem Drittel aktiver Politiker im Fernsehrat. Auch ein Wechsel von der großen Koalition zu Jamaika hätte sich kaum in der Zusammensetzung des Fernsehrats niedergeschlagen. Ganz anders ist im Vergleich dazu die Situation im Stiftungsrat der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ORF in Österreich. Wie der Fernsehrat wählt der Stiftungsrat u. a. den ORF-Generaldirektor – entspricht dem Intendanten im ZDF – und verfügt darüber hinaus noch über weitreichendere Kompetenzen bei Personal- und Budgetfragen.
Obwohl im Stiftungsrat formal überhaupt keine Parteipolitiker sitzen, hatte der Regierungswechsel in Österreich eine unmittelbare Umkehrung der Mehrheitsverhältnisse zur Folge: Mit 23 von 35 Stiftungsräten verfügen die auch im Stiftungsrat üblichen „Freundeskreise“ der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ seither fast über eine Zwei-Drittel-Mehrheit. (Noch vor der Parlamentswahl im Herbst 2017 gab es eine knappe Mehrheit der rot-grünen Freundeskreise.) Bezeichnenderweise wurde nach dem Machtwechsel der ehemalige FPÖ-Vizekanzler Norbert Steger zum neuen Vorsitzenden des ORF-Stiftungsrats gewählt. Im Vorfeld seiner Wahl hatte Steger unter anderem damit für Aufsehen gesorgt, dass er eine Orbán-freundlichere Berichterstattung des ORF gefordert und radikale Kürzung von Korrespondentenstellen in den Raum gestellt hatte. Eine Einschüchterungstaktik ganz im Stil anderer FPÖ-Regierungsmitglieder.
Medienenquete ohne Zivilgesellschaft
Vor diesem Hintergrund und angesichts weitreichender politischer Durchgriffsrechte ist es nicht verwunderlich, dass der vom österreichischen Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) für 7. und 8. Juni anberaumten „Medienenquete“ zivilgesellschaftliche Skepsis entgegenschlägt. Denn auch dort dominieren Wettbewerber und Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks das Programm (PDF), zivilgesellschaftliche Vertreter fehlen auf den meisten Panels. Am gestrigen Vorabend lud deshalb das Bündnis „Wir für den ORF“ zu einer „besseren, öffentlichen Medienenquete“, bei der ich auch ein kurzes Statement entlang der „Zehn Thesen zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien“ beisteuern durfte.
Während diese Gegen-Enquete vor allem die parteipolitische Unabhängigkeit sowie die Existenz des ORF zu sichern versuchte, widmeten sich die von freien Medienverbänden organisierte Mediana-Konferenz Ende Mai sowie ein Sammelband der ORF-Public-Value-Abteilung dem Thema „Public Open Spaces“. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Frage, wie in digitalen Plattformkontexten demokratische Öffentlichkeiten jenseits von Verwertungslogiken hergestellt werden können (siehe oben auch das Video meines Mediana-Eröffnungsvortrags zum Thema). Detail am Rande: Während sämtliche Videos und Audioaufnahmen der von der freien Medienszene organisierten Mediana-Tagung offen im Netz verfügbar sind, gibt es das ORF-Buch mit demselben Titel bislang online überhaupt nicht, sondern nur auf Papier gedruckt. (Meinen Beitrag zu „Demokratisch-medialen Öffentlichkeiten im Zeitalter digitaler Plattformen“ habe ich deshalb heute ebenfalls hier bei netzpolitik.org zweitveröffentlicht.) Von Seiten der Mediana-Organisatoren wiederum gibt es außerdem eine Stellungnahme zur Medienenquete, die wesentliche Ergebnisse der Tagung zusammenfasst.
Was macht einen Algorithmus öffentlich-rechtlich?
Das Programm der Medienenquete genauso wie die Beiträge zu „Public Open Spaces“ in Österreich sind dabei auch für die deutsche Debatte zur Neuordnung des öffentlich-rechtlichen Angebots im Internet interessant. Ähnlich wie die Forderung des ARD-Intendanten Ulrich Wilhelm nach einer gemeinsamen „Supermediathek“ für Inhalte privater und öffentlich-rechtlicher Anbieter, fordert der österreichische Medienminister Blümel eine stärkere Kooperation zwischen privaten Medien und ORF. Letzterer solle „ein Schuhlöffel für Private sein“ und dementsprechend stark sind die privaten Medien auch bei der Enquete vertreten. Wie die unterschiedlichen Logiken – profitgetriebene Klickmaximierung versus öffentlich-rechtlicher Auftrag – auf ein und derselben Online-Plattform abgebildet werden könnten, ist eine zentrale, aber bislang noch ungeklärte Frage.
Dabei sind auch ohne derartig fundamentale Interessenskonflikte die Herausforderungen für die Gestaltung öffentlich-rechtlicher Plattformen enorm. Das machte das sehenswerte Mediana-Panel zu „Algorithmische Prozesse und politische Meinungsbildung“ deutlich. Mustafa Isik, Leiter der Software-Entwicklung beim Bayerischen Rundfunk, Techniksoziologie Jan-Hendrik Passoth (TU München) und Futurezone-Journalistin Barbara Wimmer diskutierten dort unter anderem, was öffentlich-rechtliche Empfehlungsalgorithmen von jenen auf Facebook und YouTube unterscheiden könnte und sollte. Dabei machten sie deutlich, dass es dafür eine völlig neue Klassifizierung von Inhalten braucht, um jenseits von Klickhäufigkeit und Sehdauer Empfehlungsalgorithmen zu bauen.
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