Die Rigaer Straße in Berlin ist ein sogenanntes „Gefahrengebiet“, daher müssen Anwohner und Besucher Grundrechtseingriffe hinnehmen. Mit einer Informationsfreiheitsanfrage wurden einige Fakten erbeten, beispielsweise welcher Bereich genau „kriminalitätsbelastet“ ist. Dazu verweigerte die Berliner Polizei jedoch Auskünfte. Nachdem auch andere Fragen der Informationsfreiheitsanfrage teilweise ausweichende oder keine Antworten bekommen hatten, entschloss sich der Fragesteller zur Klage beim Verwaltungsgericht Berlin. Die Klage wurde im April verhandelt. Wir wollten vom Urheber der Informationsfreiheitsanfrage wissen, ob die Berliner Polizei die Informationen nun herausgegeben hat.
Wir haben in einem Interview mit Rainer Rehak gesprochen. Er ist Informatiker und Vorstandsmitglied des FIfF. Nach den Wahlen in Berlin musste der CDU-Innensenator Frank Henkel abtreten. Deswegen wollen wir auch wissen, wie die neue Regierungskoalition die Herausgabe von Informationen über „Gefahrengebiete“ handhabt und was das für die Klage bedeutet.
Erfolgreich Spenden für Klage gesammelt
netzpolitik.org: Die Rigaer Straße in Berlin ist ein sogenanntes Gefahrengebiet. Das bedeutet für Passanten und Anwohner, dass sie damit rechnen müssen, grundlos von der Polizei kontrolliert und durchsucht zu werden. Du hast auf dem Wege einer Informationsfreiheitsanfrage mehr über das Gefahrengebiet wissen wollen. Welche Informationen wolltest Du einsehen?
Rainer Rehak: Ursprünglich wollte ich eine ganze Reihe von Informationen bekommen, weil mir das Konzept von geheimgehaltenen Orten, an denen die Polizei Sonderbefugnisse ausübt, irgendwie unheimlich erschien. Also fragte ich erstmal nach einer offiziellen Bestätigung für die Einstufung des Gebietes als ein solcher „kriminalitätsbelasteter Ort“. Außerdem wollte ich die genaue geographische Ausdehnung und die Begründung für diese Einstufung wissen. Das sind die Kernfragen.
Dann erfragte ich noch ein paar Fakten aus Unterlagen, die teilweise direkt beantwortet werden konnten: Beispielsweise fragte ich zusätzlich nach dem Ziel der Maßnahme, nach der Beteiligung der Polizeien anderer Bundesländer oder Bezirke, nach dem geplanten Ende der Einstufung und nach der Abschätzung der Gesamtkosten der Maßnahme.
netzpolitik.org: Welche Antworten hast Du erhalten?
Rainer Rehak: Das Ziel der Maßnahme ist kurz gesagt die Befriedung des Gebiets. Bei der Beteiligung von Polizeien anderer Bundesländer oder Bezirke erhielt ich die Antwort, dass keine anderen Polizisten hinzugezogen worden sind. Nach dem geplanten Ende der Einstufung gefragt, war die Antwort: dann, wenn das Gebiet befriedet ist. Meine Frage nach der Abschätzung der Gesamtkosten der Maßnahme konnte nicht beantwortet werden, da noch keine Informationen vorhanden waren, denn das käme schließlich auf die Dauer der Maßnahme an.
netzpolitik.org: Du hast einen Spendenaufruf für die Finanzierung des Rechtsstreits losgetreten, um Dich gegen die Nicht-Beantwortung der anderen Fragen zu wehren. Wieviele Menschen haben sich beteiligt?
Rainer Rehak: Seit dem Start unseres Aufrufs gegen Ende des Jahres 2016 haben wir bislang über sechzig einzelne Spenden erhalten, wobei ich bei einigen Fällen auch weiß, dass es Gruppenspenden waren. Da haben sich also Menschen zusammengetan und sind ihrerseits für die Klage sammeln gegangen, was mich wirklich beeindruckt hat. Dadurch haben wir das Geld relativ schnell zusammenbekommen. Das lag möglicherweise auch daran, dass wir dazu einen schönen Erklärfilm gebastelt hatten, der das Thema ausführlich und verständlich ausgebreitet hat, so dass man auch wirklich verstehen konnte, wie die aktuelle Situation ist und was wir mit der Klage erstreiten wollen.
Klage wegen verweigerter Informationen
netzpolitik.org: Diese Klage nach dem Informationsfreiheitsgesetz ging nun in die erste Instanz. Wie haben die Berliner Behörden argumentiert?
Rainer Rehak: Es gab im April eine erste nicht-öffentliche Anhörung, wobei die Polizei sogar drei Leute schickte: Die eine Person war für den Fall verantwortlich, die nächste kam vom Stab des Polizeipräsidenten und die letzte sogar vom Senat für Inneres.
netzpolitik.org: Wie haben sie sich inhaltlich eingelassen?
Rainer Rehak: Zunächst haben sie eine Bestätigung abgegeben, dass die Rigaer Straße tatsächlich zum Zeitpunkt meiner IFG-Anfrage ein „kriminalitätsbelasteter Ort“ war. Dieser Fakt war zuvor nicht eindeutig klar und Gegenstand der Klage. Das hätte die Berliner Polizei auch ohne Gerichtsverfahren zugeben können. Wenn man also ein wenig Druck ausübt, kommen plötzlich die Antworten.
Zudem wurde die Herleitung der Ortseinschätzung beschrieben, also warum eine Kriminalitätsbelastung bestehen soll. Dazu wurden beispielsweise Fallzahlen genannt. Es entspann sich noch eine Diskussion um die geographische Ortsbegrenzung, die weiterhin geheim ist. Die Argumentation der Polizei beruhte ernsthaft darauf, dass bei der Öffentlichkeit genau bekannten Grenzen dieser „kriminalitätsbelasteten Orte“ die vermuteten Straftäter einfach zehn Zentimeter weitergehen und dort – knapp außerhalb der Gefahrenzone – ihre Straftaten unbehelligt verüben würden: Als könnte die Polizei nur bis zum Rand des Gefahrengebietes blicken.
netzpolitik.org: Wie entsteht denn aber nun die Zuschreibung, was ein „kriminalitätsbelasteter Ort“ ist?
Rainer Rehak: Dazu muss ein Antrag der jeweiligen Polizeidirektion durch den Stab des Polizeipräsidenten angenommen werden. Voraussetzung dafür, dass es ein „kriminalitätsbelasteter Ort“ sein kann, ist eine erhebliche Zahl von schwerwiegenden Straftaten, die dort vorgekommen sind. Zur Bewertung wird auch noch das Landeskriminalamt hinzugezogen. Dabei werden die geographischen Parameter festgelegt.
Bei dem Gerichtstermin wurde betont, dass man von der Möglichkeit, „kriminalitätsbelastete Orte“ festzulegen, aber nur sehr restriktiv Gebrauch mache. Außerdem wird ein Evaluationsbericht an den Polizeipräsidenten erstellt, der auswertet, ob die Voraussetzungen weiterhin vorliegen.
netzpolitik.org: Warum ist Dir eigentlich die Rigaer Straße so wichtig, dass Du die verweigerten Informationen per Klage erlangen willst?
Rainer Rehak: Ich arbeite in der Nähe der Straße, bin also selbst betroffen. Aber das war nur der Anlass, mich für die größeren Frage zu interessieren: Was darf die Polizei im Geheimen tun, welche Informationen muss sie herausgeben? Insbesondere gilt das dann, wenn die Polizei sich selbst dabei weitgehende Sonderbefugnisse wie anlasslose Durchsuchungen von Personen und Sachen sowie Datenabgleiche erteilt. Mir geht es insgesamt um die Nachvollziehbarkeit und Rechenschaftspflicht der Exekutive. Eine weitere Motivation war es, dass diese Fragen überhaupt gestellt und in der Folge Abwägungen dieser Art in der Polizei sensibler gehandhabt werden. Auch in der Polizei muss klar sein, dass Entscheidungen über Gefahrengebiete nicht unbeobachtet bleiben.
Was ändern die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus?
netzpolitik.org: Zwischenzeitlich gab es in Berlin Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Die Regierung hat gewechselt. Hat sich dadurch etwas im Sinne der Klage geändert?
Rainer Rehak: In der Tat fährt die neue Regierung eine ganz andere Linie als der ehemalige konservative Innensenator Frank Henkel: Die bisher geheimgehaltene Liste der kriminalitätsbelasteten Orte wird nun von der Berliner Polizei öffentlich gemacht. Tatsächlich gab es also einen politischen Richtungswechsel. Daran war unsere Klage sicherlich nicht unbeteiligt. Darum bedanken wir uns bei allen, die uns tatkräftig und finanziell unterstützt haben!
netzpolitik.org: Was sind Deine nächsten Schritte?
Rainer Rehak: Leider kennt man nach wie vor nicht die Ausdehnungen dieser Orte. Doch gerade im Fall der Rigaer Straße ist die Kriminalität ja nicht beweglich, also ist die Begründung, dass es hier eine Verlagerung geben könnte, meiner Ansicht nach überhaupt nicht anwendbar und damit unsinnig. Wir werden daher weiterhin klagen.
netzpolitik.org: Vielen Dank für das Interview!
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