Gerichtsurteil: Online-Nachrichten in Italien haben ein Ablaufdatum

Journalistische Artikel haben ein Ablaufdatum wie Milch oder Joghurt, erklärte das oberste italienische Gericht. Italienische Medien müssen nun um Artikel in ihren Online-Archiven fürchten, die älter als zwei Jahre alt sind – sowie um Presse- und Meinungsfreiheit.

Nicht nur Orangensaft hat ein Haltbarkeitsdatum, nun wohl auch journalistische Artikel.
Nicht nur Orangensaft hat ein Haltbarkeitsdatum, nun wohl auch journalistische Artikel. – CC BY 2.0 via flickr/ viZZZual.com
Nicht nur Orangensaft hat ein Haltbarkeitsdatum, nun wohl auch journalistische Artikel. (Symbolbild)
Nicht nur Orangensaft hat ein Haltbarkeitsdatum, nun wohl auch journalistische Artikel.
CC BY 2.0 via flickr/ viZZZual.com (Symbolbild)

Der oberste italienische Gerichtshof für Zivil- und Strafsachen hat mit einem Urteil die Presse- und Meinungsfreiheit in Italien eingeschränkt. Demnach können Medien dazu gezwungen werden, ältere Artikel aus ihren Online-Archiven zu löschen, um das Recht auf Privatsphäre zu schützen. Hintergrund war die Berichterstattung des Online-Mediums PrimaDaNoi über ein Gerichtsverfahren gegen einen Restaurantbesitzer. Da dem Betroffenen ein kritischer Artikel nicht genehm war, forderte er PrimaDaNoi auf, diesen zu entfernen.

Er hielt ihn nach über zwei Jahren für nicht mehr relevant und berief sich dabei unter anderem auf das „Recht auf Vergessenwerden“. Letzteres betraf bislang zumeist Suchmaschinen wie Google, die gegebenenfalls Links aus ihren Suchergebnissen löschen müssen; die Inhalte selbst blieben von dem aus dem Jahr 2014 stammenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) unberührt.

Zunächst folgte ein Oberlandesgericht der Argumentation des Klägers und übernahm die offenbar willkürlich gewählte Frist von zwei Jahren. PrimaDaNoi wollte das nicht hinnehmen und ging in die nächste Instanz. Der oberste Gerichtshof hat das Urteil nochmals für rechtskräftig erklärt und mit dem „Recht auf Vergessenwerden“ begründet. Damit besiegelte es ein Ablaufdatum für Online-Artikel, das es laut Urteilsbegründung auch bei Milch, Joghurt oder Eis gebe.

Zehn Jahre anhaltender Rechtsstreit

PrimaDaNoi veröffentlichte bereits 2006 den besagten Artikel. Der Besitzer des Restaurants war nicht erfreut, dass, wenn man den Namen seines Lokals googelte, der Artikel von PrimaDaNoi auftauchte. Erst bat er die Webseite, den Artikel zu löschen. Als sich diese weigerte, zog er vor Gericht. PrimaDaNoi gab noch vor Prozessende nach und entfernte den Beitrag sechs Monate nach dem ursprünglichen Löschantrag. Das dauerte dem Besitzer zu lange, er pochte auf Schadenersatz.

Das zuständige Gericht stellte sich auf die Seite des Restaurantbesitzers und beschlagnahmte sogar das Auto des PrimaDaNoi-Chefredakteurs als Absicherung. PrimaDaNoi ging in die nächste Instanz. Dort wurde geurteilt, dass das öffentliche Interesse an dem Inhalt des Artikels nach zwei Jahren nicht mehr Vorrang gegenüber dem Schutz der Privatsphäre von Privatpersonen genieße und die Webseite für die verspätete Löschung Strafe zahlen müsse.

Als PrimaDaNoi in die oberste Instanz ging, musste die Webseite erneut eine Niederlage hinnehmen. Das Brisante an dem Urteil ist, dass es teilweise mit dem „Recht auf Vergessenwerden“ begründet wurde. Bisher wurde es zumeist benutzt, um Suchergebnisse zu verstecken. Jetzt richtet es sich direkt gegen die Quelle. Die Webseite zeigt wohl auch deshalb Unverständnis gegenüber dem Urteil: „Das italienische Gesetz versteht weder die Technologie noch das Internet.“

Recht auf ein Ablaufdatum?

Nun können auch Verlage und Webseitenbetreiber in Italien dazu aufgefordert werden, Artikel mit Informationen von Privatpersonen zu löschen. PrimaDaNoi fordert daher, dass Medien von dem „Recht auf Vergessenwerden“ ausgenommen werden. Ansonsten stellt es einen Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit dar.

Gegenüber Golem.de sagte der Anwalt Niko Härting, dass auch Archive deutscher Medien davon bedroht sein könnten:

Das OLG Hamburg hat in einer Entscheidung, die die Onlineausgabe einer deutschen Zeitung betraf, bereits vor einem Jahr das Google-Spain-Urteil eins zu eins auf Pressearchive übertragen und ein „Ablaufdatum“ der Sache nach bejaht. Und auch der BGH hat bereits angedeutet, dass er seine Rechtsprechung zu Online-Archiven im Lichte von Google Spain noch einmal überdenken wird.

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10 Ergänzungen

  1. Mir scheint, als sei in der Sache mitnichten das letzte Wort gesprochen. Es mag das oberste italienische Gericht gewesen sein, welches das Urteil gesprochen hat. Aber PrimaDaNoi könnte doch immer noch vor den europäischen Gerichtshof ziehen. Letztlich ist doch die ganze juristische Begründung total abstrus und dürfte in Anbetracht von Presse- und Meinungsfreiheit eigentlich keinerlei Bestand haben (wie ja auch im Artikel gegen Ende angedeutet).

    1. Berlusconis Skandale sind nie passiert. Man kann das ganze italienischsprachige internet durchsuchen und wird nix finden.

  2. Da ein solches Vergessen der Vergangenheit, insbesondere für Politiker und andere Wirtschaftsbosse, von höchster Notwendigkeit ist um immer wieder unentdeckt die gleichen Maschen abzuziehen, stehen die Chancen schlecht für die Aufhebung eines solchen Urteils. Meiner Meinung nach!

  3. Oettingers Teesieb-Brille wurde auch aus den Archiven entfernt.

    Aber es soll ja Künstler geben, die so ein Kunstwerk restaurieren können.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.