Netzwerk Recherche zum #Landesverrat: Warum andere Journalisten netzpolitik.org nachahmen sollten

Die Landesverrats-Affäre führt zu einer spannenden Debatte, wie investigative Journalisten ihren Job verstehen. Die Veröffentlichung von Geheimpapieren in Gänze macht journalistische Arbeit transparenter und hilft, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Andere Medien sollten diese Vorgehensweise ebenfalls nachahmen.

Dieser Gastbeitrag von Markus Grill und Albrecht Ude erschien zunächst als Editorial des aktuellen Newsletters von Netzwerk Recherche. Veröffentlichung hier mit freundlicher Genehmigung.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

viele von uns haben 1962 noch nicht gelebt, und manche noch nicht mal 1982. So lange schon sind die letzten Fälle her, dass gegen Journalisten in Deutschland wegen Landesverrats ermittelt wurde. Jetzt, Ende Juli 2015, war es wieder so weit: Der Generalbundesanwalt informierte die Kollegen von netzpolitik.org darüber, dass er wegen Landesverrats gegen sie ermittelt. Eine Straftat, die mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wird. Er warf ihnen vor, Informationen über den Haushaltsplan des Verfassungsschutzes veröffentlicht zu haben, angeblich ein Staatsgeheimnis. Das gespenstische Verfahren wegen Landesverrats ist mittlerweile eingestellt, die Affäre hat den Generalbundesanwalt den Job gekostet.

War das alles nur ein Sommertheater? Zunächst einmal war es beeindruckend, wie groß die Solidarität in unserer Branche war mit den Kollegen von netzpolitik.org, auch wenn ein Blatt wie die FAZ infrage stellte, ob solche Blogger überhaupt den Ehrentitel „Journalist“ führen dürfen.

Einerseits wirkt diese Frage wie aus der Zeit gefallen (was, mit Verlaub, sollen sie denn sonst sein?).

Andererseits führt diese Frage auch direkt zu einer spannenden Debatte, die uns alle angeht, nämlich wie investigative Journalisten ihren Job verstehen. Ich meine dabei jetzt nicht die eher akademische Haarspalterei, ob es sich bei den beiden Bloggern um Aktivisten handelt – im Gegensatz zu den Helden der Objektivität bei der FAZ.

Nein, was netzpolitik.org vor allem von klassischen investigativen Journalisten und Medien unterscheidet, ist, dass sie nicht mit ihrem Hintern auf den Dokumenten sitzen und nur wohldosiert mal dies, mal jenes Zitat rauslassen. Netzpolitik.org veröffentlicht regelmäßig Geheimpapiere in Gänze. Das Neuartige dabei ist, dass sie damit auch bewusst die Deutungshoheit aus der Hand geben. Jeder von uns kann die Unterlagen anschließend selbst studieren und überlegen, ob die Schlüsse, die die Journalisten aus den Quellen ziehen, wirklich einleuchten, ob sie plausibel sind – oder ob man auch zu einer ganz anderen Bewertung des enthüllten Sachverhalts kommen kann.

Ich halte das für vorbildlich: Es macht unsere Arbeit transparenter und hilft auch, verlorenes Vertrauen von Lesern und Zuschauern zurückzugewinnen. Für die andere Seite, über die wir berichten, ist so ein Vorgehen viel gefährlicher. Hätte netzpolitik.org die Dokumente nicht veröffentlicht, hätte der Verfassungsschutz viel leichter seine Büchsenspanner losschicken, die Geschichte diskreditieren oder ihr einen anderen Spin geben können. Womöglich liegt also genau darin der Grund für das unverhältnismäßig harte Vorgehen gegen Markus Beckedahl und Andre Meister von netzpolitik.org: Nachdem die Dokumente auf dem Tisch lagen, konnte der Verfassungsschutz die Geschichte nicht mehr dementieren oder anders hinbiegen.

Wenn diese Debatte dazu führt, dass viele netzpolitik.org nachahmen, hätte Verfassungsschutzpräsident Maaßen am Ende sogar noch Format gewonnen, als „ein Teil von jeder Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“.

Es grüßen

Markus Grill
und
Albrecht Ude

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3 Ergänzungen

  1. Diese Erwartung dürfte wohl Wunschdenken bleiben. Unser krankes Politsystem hat sich in Jahrzehnten manifestiert und der angepasste Journalismus mit ihm. Das ist politisch so gewollt, damit wird die Bevölkerung dumm gehalten. Wenn nun alle Medien versuchen, Netzpolitk.org nach zu eifern, nehmen Geheimniskrämerei und Abschottung noch mehr zu. Die Verfolgung von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsbrüchen dürfte obendrein eine deutliche Intensivierung erfahren.

    Einziges wirksames Mittel wäre die konsequente Abwahl sämtlicher Blockparteien auf einen Schlag. Das würde vorübergehend zur Notstandsregierung führen. Nur so bestünde eine reale Chance auf nachfolgend Besseres. In Italien wurde damals die gesamte Regierung Andreotti abgewählt und alle Politiker wanderten in den Knast. Leider hat die Mafia den mutigen Staatsanwalt für dieses Manöver kurze Zeit später eliminiert. Ja und dann kam Berlusconi und mit ihm wieder das alte „bewährte“ System. Sonst hätte es funktionieren können.

    Hier bei uns kann die Politik darauf bauen, dass die breite Masse das alles gar nicht interessiert, siehe Wählerschwund.
    Selbst wenn nur noch zehn Prozent wählen gehen, ändert das am System absolut nichts.

    mfg R.K.

  2. „Hier bei uns kann die Politik darauf bauen, dass die breite Masse das alles gar nicht interessiert, siehe Wählerschwund.
    Selbst wenn nur noch zehn Prozent wählen gehen, ändert das am System absolut nichts.“

    Zwei Sätze die leider so wahr sind, dass ich direkt wieder kotzen könnte!
    Alle von Mutti in den politischen Tiefschlaf gerautet, den Rest erledigen die BLÖD-Zeitung und das Staatsfernsehen.
    Mir geht das Messer in der Tasche los wenn ich sehe was ich z.B. auf Tagesschau.de NICHT erfahre! Da wird so einiges bewusst verschwiegen was der Bürger besser wissen sollte, und wenn man dann einen Kommentar schreibt, darin kritisch nachfragt und die entsprechenden Beiträge hierher verlinkt wird man stumpf wegzensiert. Verdammtes Staatsfernsehen!
    Von daher bin ich extrem froh dass es netzpolitik.org gibt, und man hier all die dreckigen kleinen Schweinereien erfährt die unsere korrupte Regierung uns lieber verschwiegen hätte.

    @netzpolitik
    Ihr seid grossartig, macht weiter so und lasst euch nicht an die Karre pinkeln!

  3. Warum sollten andere Journalisten dies tun ? Wessen Brot ich fress ,dessen Lied ich sing ! Wie viel unabhängige Medien (von Parteien,Kirchen,u.a. Sponsoren) gibt es denn in Deutschland noch ? Der Staat
    besteht aus den 3 in Klammern genannten Gruppen.Diese haben die gesetzgebende und gesetzlich
    vertretende juristische Macht.Und genau wer gegen diese Macht ,wenn sie mißbraucht wird,sich öffentlich frei äußert und berichtet,gegen den oder die wird der ganze Machtmißbrauch angewendet,zum
    Machterhalt,nicht zum Wohle von Volk und Land.Hofschranzen und Speichellecker sind bekannt,die in der
    Vergangenheit ruiniert haben,dieses Land. Z. B. durch Gleichschaltung der Medien.

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