EU-Projekt will anonyme Telefonie anhand von Stimmproben abgehörter Gespräche ausleuchten

Pläne für den neuen "Global Complex for Innovation" von Interpol in Singapur. Wird hier das weltweite Hauptquartier für die digitale Sprachspionage angesiedelt?
Pläne für den neuen „Global Complex for Innovation“ von Interpol in Singapur. Wird hier das weltweite Hauptquartier für die digitale Sprachspionage angesiedelt?

Die internationale Polizeiorganisation Interpol ist an der Entwicklung eines neuen Systems der Sprachbiometrie („voice biometrics“) beteiligt, das gegen „alle Formen transnationaler Kriminalität“ eingesetzt werden kann. Dies verlautbarte das Generalsekretariat der Organisation am Freitag in einer Pressemitteilung. Interpol hat demnach in Lyon die Konferenz eines entsprechenden EU-Forschungsprojekt ausgerichtet. Dieses „Speaker Identification Integrated Project“ (SIIP) wird von der EU-Kommission finanziert und soll „Kriminelle und Terroristen“ anhand ihrer Stimme identifizieren.

Als Problem gilt dabei, dass vielfach Mobiltelefone oder Internettelefonie genutzt werden, die keinen Personen zugeordnet werden können: Entweder weil derartige Identifikationen bei Vertragsabschluss gar nicht erhoben werden, oder die InhaberInnen hierzu falsche Angaben machen. Mit dem neuen Programm sollen in abgehörten Gesprächen Stimmen analysiert und zugeordnet werden, auch um diese letztlich vor Gericht verwenden zu können. Es handelt sich dabei um eine Form von Data Mining, das auf der sogenannten „Open Source Intelligence“ (OSINT) basiert.

Verdächtige könnten auch aufgespürt oder verfolgt werden

Die maschinelle Sprachverarbeitung kommt bei Polizeien und Geheimdiensten in verschiedenen Bereichen zum Einsatz. Hierzu gehören das Erkennen roher Inhalte, die automatische Sprachenerkennung bzw. die Vorselektion nach Sprachen, die Fähigkeit zur Verarbeitung (kontinuierlich) gesprochener Sprache sowie die Umwandlung gesprochener in geschriebene Sprache. Derart können die Sprachdaten weiter durch Verfahren zu Texterkennung, Textfilterung, Textmining oder der maschinellen Übersetzung verarbeitet werden.

An SIIP nehmen insgesamt 17 Polizeibehörden, Firmen und Institute teil, das Projekt wird koordiniert von Verint Systems Ltd. Zu den weiteren Beteiligten gehört der Rüstungskonzern Airbus Space & Defence, die britische International Biometric Group und die Polizei Nordirlands, die bereits in dem ähnlichen EU-Projekt INDECT als federführende Endnutzerin registriert ist. Die besagte Konferenz wurde nach Angaben von Interpol von „40 Experten aus 19 Ländern“ besucht. Besprochen wurden „Nutzeranforderungen“ und technische Möglichkeiten. Laut einem Direktor des Projektführers Verin Systems sei SIIP insbesondere dann von Nutzen, wenn „Kriminelle“ falsche identitäten benutzen würden, um dadurch Abhörmöglichkeiten zu umgehen.

Aus der Projektbeschreibung eines anderen Partners ergeben sich weitere Details zu dem Projekt SIIP. Demnach soll die Software auch Angaben zum Geschlecht, dem Alter oder dem Akzent liefern können. Metadaten würden auch aus Sozialen Medien gesammelt. Verdächtige könnten auch aufgespürt oder verfolgt werden („mapping/ tracing the suspect“), wenn diese Soziale Netzwerke oder VoIP-Dienste nutzen würden. In einem bei Interpol angesiedelten „SIIP Info Sharing Center“ könnten alle beteiligten Behörden auf die erhobenen Daten zugreifen. Dort soll demnach eine riesige Datenbank mit Stimmproben eingerichtet werden, auf die alle 190 Mitglieder der Polizeiorganisation zugreifen dürfen.

Es ist unklar, wo genau die Datenbank und die zugehörigen Analyseeinrichtungen angesiedelt werden sollen. Interpol will dieses Jahr in Singapur den „Global Complex for Innovation“ in Betrieb nehmen, der sich der Verfolgung digitaler Kriminalität verschreibt. Mit dem neuen Zentrum will Polizei mit „Kriminellen” Schritt halten, die sich neuer Technologien bedienen.

Anwendungen und weitere Forschungen auch beim BKA

Auch deutsche Behörden nutzen entsprechende Anwendungen oder forschen in diese Richtung. Laut der Antwort auf eine Kleine Anfrage nutzt etwa das Bundeskriminalamt (BKA) zur Autorenerkennung „Kriminaltechnisches Informationssystem“ (KISTE), das allerdings lediglich auf Texte angewendet werden kann. Diese werden auf linguistische Merkmale überprüft, darunter Orthographie, Grammatik oder auch der Schreibstil. Damit will das BKA einen „Urheberschaftsvergleich“ ermöglichen. KISTE wird demnach ausschließlich bei Ermittlungsverfahren genutzt, um „Tatzusammenhänge“ zu erkennen. „Im Wesentlichen“ käme KISTE bei „Droh- und Erpressungsschreiben sowie Tatbekennungen“ zum Einsatz. Sprachen werden von KISTE nicht erkannt, hierzu verfüge das BKA aber mittlerweile über „eigens dafür entwickelte Software“.

Für den automatischen, forensischen Stimmenvergleich nutzt das BKA ein „Sprechererkennungssystem“ (SPES), das in Kooperation zwischen mit einer nicht benannten Fachhochschule entwickelt worden sei. Damit werden Sprachproben auf ihre „akustische Ähnlichkeit“ überprüft. Wie das EU-Projekt SIIP greift das deutsche SPES auf „akustische Sprachproben“ zurück. Diese seien aber anonym. SPES kommt nach Angaben des Bundesinnenministeriums ebenfalls nur in Ermittlungs- und Strafverfahren zum Einsatz. Es gibt jedoch keine Angaben darüber, ob hierzu auch die Echtzeitfilterung abgehörter Gespräche gehört. Für SPES seien dem BKA „Entwicklungskosten von ca. 310.000 Euro“ entstanden, der Quellcode sei wie bei KISTE bekannt.

Überdies forsche das BKA laut der Antwort zu „sämtlichen Bereichen der forensischen Phonetik“. Entsprechende Anstrengungen würden in der Regel mit jenen Hochschulen oder Firmen betrieben, „die in dem spezifischen Forschungsbereich besonderes Know-how haben“. Projektschwerpunkte seien dabei die Aufbereitung akustisch gestörter Sprachsignale oder die Verbesserung der computergestützten Sprechererkennung. Bis 2010 hatte das BKA hierzu das EU-Projekt „Correlation between phonetic-acousticauditory and automatic approaches in forensic speaker identification“ geleitet.

Angaben zum BND bleiben unter Verschluß

Mittlerweile werden Spracherkennungssysteme auch in polizeiliche und geheimdienstliche Analysesoftware integriert. Die Firma rola Security Solutions aus Oberhausen bewirbt ihr System „INT-CENT“ damit, dass als Addon auch die Spracherkennung hinzugekauft werden könne. Laut Eigenwerbung bringt die Anwendung als Feature die „Automatische Übersetzung“ mit. Zu den Kunden gehören neben Behörden des Bundesinnen auch das Bundeskanzleramt, dem die Auslandsspionage untersteht.

Die Kleine Anfrage hatte deshalb auch nach entsprechenden Anwendungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) gefragt. Dies auch unter dem Aspekt, dass der BND die internetbasierte Kommunikation in Echtzeit filtert und hierfür Glasfaserkabel anzapft. Nach Medienberichten ist der Auslandsgeheimdienst seit den 90er Jahren damit befasst gewesen, eine Vormachtstellung im Bereich forensischer Phonetik und entsprechenden Abhör- und Analysemöglichkeiten einzunehmen – und hat demnach Tarnfirmen aufgebaut und andere Unternehmen in den Ruin geschickt.

Ob der BND Spracherkennung an den abgehörten Internetknoten einsetzt, soll aber geheim bleiben. Kryptisch heißt es dazu in der Antwort lediglich:

Der BND nutzt marktgängige Produkte und integriert diese in eigene Prozesse.

6 Ergänzungen

  1. Gemeinsames EU-Projekt? Dazu müssten die Nationalstaaten erst einmal aufhören, sich gegenseitig zu misstrauen und sich selbst zu wichtig zu nehmen. Wir brauchen eine EU ohne Grenzen und ohne gegenseitige Überwachung. Das Land Bayern überwacht ja auch nicht das Land Berlin. Oder doch?

    „Spionage in Griechenland? Athen verlangt Aufklärung über BND-Aktivitäten
    Griechenland verlangt Aufklärung von Deutschland über mögliche Spähaktivitäten des Bundesnachrichtendienstes. Der BND soll zur Terrorabwehr auch griechische E-Mails und Telefonate ausgespäht haben.“
    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/spionage-in-griechenland-athen-verlangt-aufklaerung-ueber-bnd-aktivitaeten-12992852.html

      1. Es geht hier um polizeiliche Maßnahmen, die angeblich vorwiegend in bestimmten Ermittlungen genutzt werden: Wenn also vorhandenes Material ausgewertet wird. Dabei wird auf Datenbanken und Expertise von Interpol zurückgegriffen, diese könnten vielleicht in Singapur angesiedelt werden. Ob mit der Technologie auch Voice-Datenströme in Echtzeit ausgewertet werden, ist unklar, aber durchaus möglich. Und dass Geheimdienste derartige Technologien ebenfalls nutzen, ist bekannt. Meist ist es ja so, dass neue technische Möglichkeiten erst nach einigen Jahren im Polizeibereich Einzug halten, während sie von den Diensten bereits weiterentwickelt werden.

  2. „EU-Kommission finanziert und soll “Kriminelle und Terroristen” anhand ihrer Stimme identifizieren.“

    genau. und zitronenfalter falten zitronen. für wie verblödet halten uns diese politnarren eigentlich?

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