Verpasste Open Data-Chance: Deutsche Bahn schenkt einzig Google seine Fahrplandaten

Die Deutsche Bahn und Google feierten sich heute im Berliner Hauptbahnhof. Anlass: Der Service Google Transit bietet nun auch in Deutschland die Möglichkeit an, sich auf einer Karte Nah- und Fernverbindung auf der Schiene anzeigen zu lassen.

Obwohl der Service bereits seit heute morgen lief (Markus machte am Vormittag darauf aufmerksam), wurde am frühen Nachmittag für die Presse das obligatorische rote Knöpfchen gedrückt.

Dass die Google Karten jetzt nur Fernzüge der DB und S-Bahn Verbindungen zeigen, ist wohl dem Dschungel des ÖPNV-Wesens in Deutschland geschuldet. Allerdings ist der neue Dienst so nur eingeschränkt nützlich. Abgesehen davon, dass es sich offenbar nicht um Echtzeitdaten handelt und Verspätungen nicht gezeigt werden, fehlen Privatbahnen wie Metronom, ODEG, Interconnex etc. genauso wie Straßenbahnen, U-Bahnen und Busse. Das mag sich mit der Zeit ändern.

Es ist allerdings skandalös, dass die Bahn es offenbar ablehnt, die Fahrplandaten allen zur Verfügung zu stellen. Das hundertprozentige Staatsunternehmen schenkt exklusiv einem privatwirtschaftlichen Konzern seine wertvollen Daten. Was nur dann ok wäre, würden die Daten zeitgleich allen zur Verfügung gestellt. Immerhin wird das einstmal von Google etablierte Format GTFS (General Transit Feed Specification) verwendet. Und es ist weltweit durchaus üblich, dass diese Daten von den Verkehrsunternehmen dann für alle zugänglich hochgeladen werden, etwa auf der Website gtfs-data-exchange.

Doch das Stichwort Open Data, das selbst in den Chefetagen der Deutschen Bahn schon einmal geraunt worden sein dürfte, scheint das Unternehmen nicht als Chance zu begreifen. Vielmehr sah man sich neulich nach Presseberichten bemüßigt, zu dem Projekt OpenPlanB von Open Data-Aktivisten, das die Fahrplandaten der Bahn entschlüsselt hat, Stellung zu nehmen.

Wo denn bei offenen Fahrplandaten der Mehrwert läge, fragte man. Und könnte die Antwort erhalten haben, wenn es denn eine Kommentarfunktion gäbe, dass man sich doch beispielsweise diverse Fahrplan-Apps anschauen könnte, die nicht aus dem Hause bahn.de stammen. Gebracht wurde seitens der Bahn auch das in solchen Zusammenhang immer wieder zu hörende Argument: „Reine Rohdaten (Open Data) helfen eigentlich nicht wirklich weiter, da ja ohne den entsprechenden Algorithmus damit wenig angefangen werden kann.“ Dass so eine Behauptung wenig Grundlage hat, zeigen diverse OpenSource-Projekte, deren Entwickler-Community sich durchaus in der Lage zeigen, eigenständig und fundiert Algorithmen zu programmieren.

In den Presseunterlagen zur Veranstaltung (PDF, 5MB) heißt es, dass rund 15 Mitarbeiter beider Unternehmen „umfassend beschäftigt“ waren, um die Daten aufzubereiten. Zwei Jahre habe das gedauert, hieß es auf der Pressekonferenz. Ich wage die Behauptung, dass ein Ansatz mit offenen Schnittstellen in kurzer Zeit eine große Entwicklergemeinde von Freiwilligen angezogen hätte und wesentlich fruchtbarer gewesen wäre.

Wie dem auch sei. Es ist spätestens jetzt an der Zeit, dass die Deutsche Bahn es in Sachen Open Data beispielsweise ihren französischen Kollegen von der SNCF nachmacht. Und ihre Daten Entwicklern und allen anderen zur Verfügungen stellt.

Als öffentliches Unternehmen sollte die Bahn ihren Besitzern, den Bürgern, sofort die Daten, auf die jetzt einzig Google Zugriff hat, im GTFS-Format zugänglich machen. Das muss und sollte doch eigentlich selbstverständlich sein.

Wer etwas von der Methode Petition hält, kann hier eine solche diesbezüglich zeichnen.

UPDATE 19.09.2012: Lesenwert ist zu dem Thema auch dieser Kommentar von „bigbug21“ hier unter dem Text.

Fotoquelle: Google/Jens Jeske

26 Ergänzungen

  1. Wer sich die Funktion bei Google Maps mal angeschaut und bekannte Relationen ausgetestet hat wird sehen, dass scheinbar die Bahn-Mitarbeiter selbst mit den Algorithmen überfordert sind.

    Die angezeigten Verbindungen führen häufig über sinnlose Umwege. Die Funktion ist daher in der Regel unbrauchbar und das Gegenteil für Werbung für die ehem. Bundesbahn.

  2. Bahn halt.

    Mal sehen wie clever es die Busunternehmen anstellen, die ja so langsam – zumindest für meine Strecke … die Bahn ersetzen.

  3. Die Briten sind da auch schon weiter. Die Vereinigung der britische Passagierbahnen ATOC hat seit letztem Dezember die Kursbuchdaten in elektronischer Form bereitgestellt, und seit diesem Sommer bietet auch der Infrastrukturbetreiber Network Rail einiges an, so z.B. tagesaktuelle Fahrplandaten, die auch kurzfristige Änderungen beinhalten, und zwar nicht bloß den öffentliche Fahrplan, sondern den internen Betriebsfahrplan, und natürlich auch Echtzeit-Verspätungsdaten und sogar auch Positionsdaten aus dem Zugnummernanzeigesystem.

  4. Wer sagt eigentlich das die Deutsche Bahn ihre Fahrplandaten an Google Verschenkt haben , vielleicht hat sie ja auch Google „gekauft“?

    1. Gute Frage! Wenn es wenigstens ein paar Moneten (Ich spreche nicht von Schwarzgeld) gegeben hätte… Obwohl.
      Bin ganz der Meinung von Herrn Matzat.

    2. Dafür muss ja nicht unbedingt Geld fließen , Beteiligung an Werbeeinnahmen , Vergünstigungen oder Exklusivrechte ect. wären ja auch ein geldwerter Vorteil.

  5. Dann heisst es wohl bald: Die eingehende Suchanfrage auf Server 08154711 verspätet sich vorraussichtlich um 20 Minuten.

  6. Also bei mir funktioniert das überhaupt nicht mit den Deeplinks in das Buchungssystem der DB und da keine Preise angezeigt werden, ist das ganze absolut sinnfrei. Super Leistung für zwei Jahre Entwicklungsarbeit!

  7. Das Internet der Zukunft wird wohl nur von einigen Wenigen Konzernen dominiert werden welche über alle Daten und somit auch die gesamte Macht im System verfügen werden. Alternativen werden dann eben an den Rand gedrängt oder Gesetzgeberisch durch den Kapitalistischen Staat niedergemacht (s. Leistungsschutzrecht, usw).

  8. Das ganze ist kaum mehr wert als ein PR-Gag. Neben den bereits aufgezeigten Schwächen und Unzulänglichkeiten sind einige unserer Nachbarn schon deutlich weiter: In der Schweiz lässt sich schon seit längerem der komplette nationale Zugverkehr ebenso live beobachten (http://swisstrains.ch/) wie in der Tschechischen Republik (http://kam.mff.cuni.cz/~babilon/zpmapa2#mapa).

    Man mag im Ansatz noch diskutieren, ob die längst vorhandenen und einfach duplizierbaren Fahrplan- und Echtzeitdaten im eigenwirtschaftlichen deutschen Fernverkehr unter Verschluss gehalten sollen — für den Jahr für Jahr mit Milliarden Euro Steuergeldern bezuschussten Regionalverkehr gibt es keine nachvollziehbaren Gründe, ohnehin vorhandene Daten weiter eisern unter Verschluss halten.

  9. Opendata ist mir egal, nur weil der Begriff gerade in Mode ist muss nicht alles open sein und vorher sind wir ja auch zurechtgekommen. Aber wenn man sowieso schon Daten veröffentlicht, dann bitte nicht so kartellhaft!

    Dass es sich dabei natürlich ausgerechnet wieder um Google handelt – eine Firma, die gern die Kontrolle über unsere Emails, Adressen, Freunde, Dokumente, Suchanfragen unvm. hätte und das alles miteinander verknüpft – trägt zum schlechten Gefühl bei. Nun können sie auch noch speichern, wohin der Nutzer gern mit der Bahn fährt.

  10. Kennt jemand tolle Beispiele für Plattformen oder Software, die mit freigegebenen Fahrplandaten spannende und nützliche Dinge herstellen kann?

  11. Vorweg: Die Bahn ist privat. Der Bund ist Anteilseigner (Schiene @ DB Netze). Warum bringen das die Leute immer noch durcheinander?!

    Verstehe nicht ganz wo das Problem ist: warum schreien so viele nach OpenData / Informationsfreiheit, wenn doch kaum jemand sie persönlich einfordert? Wo sind die tollen Webseiten geblieben bei denen die eingeforderten Behördendokumente gesammelt der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten? Nirgends, lediglich Rechtsverdreher bedienen sich ihrer in erster Linie. Wenn die Bahn sich zunächst entscheidet mit Google zusammenzuarbeiten, dann hat das sicher viele Gründe: Verlässlichkeit/Verfügbarkeit, kontrollierte Lizenz- u. Nutzungsbestimmungen und wie sicher auch klar ist, eine ganz persönliche Suchmaschienenoptimierung ;-)

    Mal angenommen ich wäre DB-Vorsitzender, was hätte ich davon APIs für die gesamte Netzgemeinde bereit zu stellen? Und eventuell sogar noch mit Verspätungsinformationen? –> Ja, was wohl: unschöne Statistiken Dritter und enorme Kosten.

    @SBB: Die Schweizer haben genug Geld und ein unkompliziertes kleines Schienennetz vgl. mit Deutschland. Also wohl kaum ein Vorbild für die Bahn.
    @Tschechen: Haben weder Geld noch Nachfrage. Ist zwar schön dass sie’s haben aber es wird wohl kaum mehr als ein Pilotprojekt sein. Wenn auch irgendwann mal mehr als nur eine Hand voll Webservices zugreifen, werden die sich das ein zweites Mal überlegen.

    VG

    1. Wie ich oben bereits dargelegt habe, gibt es aus der reinen Sicht der DB natürlich gute Gründe, einen riesigen Berg ohnehin vorhandener digitaler Daten, die weitgehend offenbar keinen objektiven Schutzbedürfnissen unterliegen, unter Verschluss zu halten.

      Der unmittelbare Grund, der zunächst für die Veröffentlichung spricht, ist aus meiner Sicht die weitreichende Steuerfinanzierung des Großteils der in Rede stehende Daten ohne dass gleichzeitig objektive Schutzbedürfnisse erkennbar sind. Der bloße Umstand, dass eine Veröffentlichung nicht immer ins PR-Bild der Bahn passt oder mitunter unangenehme (sicher auch nicht selten unsachliche) Fragen aufwirft, kann im Sinne der Informationsfreiheit nicht als Grund gelten. Wir sollten dahin kommen, eher zu fragen, welchen guten Grund es gibt, ohnehin digital vorliegende Daten unter Verschluss zu halten. Gleichzeitig pflückt die DB, wie dargelegt, ja selbst gerne zahlreiche Früchte vom Baum freier Dienste, Daten und Software. Es wäre ein Gebot des Anstands, selbst einmal darüber nachzudenken, auch etwas zurückzugeben. Da viele Daten ohnehin vorhanden sind, wäre es nicht schwer, hier einen Anfang zu machen. Bei manchen Diensten und Schnittstellen ließe sich das in kürzester Zeit erledigen.

      Vielfach werden Wettbewerbsgründe gegen die Veröffentlichung angeführt, doch im Netzbereich verfügt die DB über ein unbestrittenes weitreichendes natürliches Monopol und auch im Regionalverkehr ist (zumindest der intramodale) Wettbewerb aus gesamtwirtschaftlicher Sicht kein Grund, elementare Informationen unter Verschluss zu halten. Eine Veröffentlichung wesentlicher Daten (Fahrgastzahlen, Verspätungen, aber eben auch Vertragskonditionen und Zuschussbedarfe) könnte hier eher für tatsächliche Transparenz sorgen und den Wettbewerb eher ankurbeln.

      Als Verkehrswissenschaftler könnte ich inzwischen ein ganzes Buch darüber schreiben, wie eine in weiten Teilen völlig übertrieben anmutende Geheimhaltungspolitik handfeste Arbeiten und damit substantielle Beiträge für zielgerichtete Debatten blockiert. Was meinst du, wie viele Eisenbahnfachleute allein hier an der TU Dresden lieber heute als morgen sich mit tausend interessanten Fragestellungen befassen würden, aber selbst in Kooperationsprojekten mit der DB (z. B. bei Diplomarbeiten) wesentliche Daten ohne erkennbare objektive Schutzbedürfnisse nicht erhalten? Wir brauchen uns über einen Fachkräftemangel im Bahnbereich auch nicht zu wundern, wenn angehende Eisenbahningenieure vielfach mit fiktiven Beispielen arbeiten müssen, während es eigentlich hoch spannende Praxisbeispiele gibt, die aber so weit es geht unter Verschluss gehalten werden.

      Nein, es sind nicht nur Anwälte, die auf dem Pferd der Informationsfreiheit reiten, sondern auch ganz normale Bürger oder Wissenschaftler, die einfach mal wissen wollen, wo Gleise liegen, wie schnell diese befahren werden oder eben wie der entsprechende Fahrplan aussieht. Etwa 10 Arbeitstage pro Jahr verbringe ich allein kreuz und quer in Deutschland bei Außenstellen des Eisenbahn-Bundesamtes, um mir zu Projekten wie Stuttgart 21 oder dem Neu- und Ausbauprojekt Nürnberg–Berlin überhaupt erst einmal ein objektives Bild von den Projekten zu machen. Ein halbes Jahr habe ich gerade darum gekämpft, die (ohnehin digital vorliegenden) Pläne einer vor gut 30 Jahren aus Steuergeldern gebauten Bahnstrecke zu erhalten, um überhaupt eine Grundlage für ein kleines Forschungsprojekt zu haben. Selbst die Lage von Gleisen, die jeder Bahnfahrer mit dem GPS auf 2 Meter genau bestimmen und im Zweifel vom Satellitenbild entnehmen kann, wird mit hohem Aufwand und selbst innerhalb des Unternehmens geheim gehalten. Wäre die DB nicht zwingend auf Fahrgäste angewiesen — vermutlich wären selbst die Standorte großer Bahnknoten mit Verweis auf behauptete Betriebs-, Wettbewerbs- oder Sicherheitsgründe unter Verschluss. Wie krank ist das denn??

      Deine Kritik an der Schweiz kann ich nicht nachvollziehen. Sie haben nicht nur das dichteste Schienennetz der Welt, sondern auch eine wesentlich größere Auslastung je Netzkilometer. Wenn die (allen Unkenrufen zum Trotz hochentwickelte) DB Netz noch etwas über die Ausreizung letzter Kapazitätsreserven lernen kann, dann ist es bei unseren südlichen Nachbarn, die mit kleinen Maßnahmen und ganzheitlichen Betrachtungen um Zehntelminuten kämpfen. Was bei uns in zarten Schritten langsam anfängt wird dort bereits seit Jahrzehnten mit Bravour praktiziert. Auch im Hinblick auf die Vernetzung der öffentlichen Verkehre (bis hin zum einheitlichen Tarif) sind sie uns weit voraus.

      Was unsere östlichen Nachbarn angeht, kann dir Google eine Reihe weiterer Dienste zeigen. Der beschriebene Service läuft seit Jahren und hat auch auf vielen Fahrten mit den aus Prag kommenden Eurocities von Dresden nach Berlin viele gute Dienste geleistert. Denn während die DB-Reiseauskunft noch glaubte, der Zug würde Deutschland pünktlich erreichen, konnte ich mir ein präzise, minutenscharfes Verspätungsbild des noch in Tschechien fahrenden Zuges machen.

      Dass die nunmehr von Google integrierten Fahrplandaten gerade keine verlässliche Auskunft bieten, wurde ja bereits vielfach dargelegt. Die offenbar vollständige Aussparung sämtlicher Privatbahnen könnte auch darüber hinaus auch wettbewerbsrelevant sein.

  12. Vorweg: Die Bahn ist privat… guter Witz und ohne den Steuerzahler wohl auch längst Pleite.
    Warum sollte die Allgemeinheit also für ihre Steuer Mrd. nicht auch etwas zurückverlangen dürfen?

  13. Es gehört zwar nicht zum Kerngeschäft der Deutschen Bahn – aber das Unternehmen lässt sich den Echtzeit-Zugriff auf Fahrplandaten von seinen Kunden (Eisenbahnverkehrsunternehmen, andere Zugangsberechtigte) immer noch bezahlen. Aus Sicht des Unternehens liegt es deshalb wohl auch nahe, diese Daten nicht uneingeschränkt zu veröffentlichen.

    1. Ist das tatsächlich noch so? Seit einigen Monaten wird doch ein relativ einfacher, webbasierter Zugriff für Eisenbahnverkehrsunternehmen kostenlos angeboten.

      1. Guck mal in die online verfügbare DB-Netz-Hauszeitschrift „NetzNachrichten“. In einer der letzten Ausgaben war das ein Thema.

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