Ein Gastbeitrag von Tobias Schwarz, der zuerst auf isarmatrose.de erschien und unter der CC-BY-Lizenz 3.0 steht.
Durch das Internet können Bürger stärker an demokratischen Prozessen beteiligt werden. Davon ist Ben Scott, Senior Advisor am Open Technology Institute der New America Foundation in Washington D.C., überzeugt. Am Donnerstagabend hielt der ehemalige Netzpolitik-Berater von US-Außenministerin Hillary Clinton im Rahmen der 6. Initiative der Internet & Gesellschaft Co:llaboratory e.V. (Co:Lab), “Innovation im digitalen Ökosystem”, einen Vortrag über über das Innovationspotential des Internets als Grundlage für technischen und wirtschaftlichen Fortschritt, demokratische Entwicklung und internationale Netzpolitik.
Die Kultur von Menschen ist der Schlüssel, um das Internet zu verstehen und wie Menschen das Internet sehen. Das war der erste Ratschlag, den Ben Scott als junger Diplomat in der US-Botschaft in Berlin bekommen hat. Bis heute sieht Scott die Richtigkeit dieser Aussage in vielen persönlichen Erlebnissen bestätigt, von denen er am Donnerstagabend einem interessierten Fachpublikum berichtete. In Deutschland werde das Internet (aus Sicht der US-Diplomaten) oft als ein bedrohliches Medium betrachtet. „In Germany it’s not about Steve Jobs“, erklärte Scott in einem Satz den Unterschied zu den USA. Doch auch in Washington D.C. gibt es politische Entscheidungsträger, die wie ihre deutschen Kollegen den Machtverlust über Informationen nicht akzeptieren können, erklärt der gebürtige Texaner. In dieser Ohnmacht und dem Kontrollverlust sieht Ben Scott genau die Hürden in den Köpfen der Politiker, die das gesellschaftliche und ökonomische Potenzial des Internets verhinderten.
In den letzten Jahren hat Scott als Diplomat und Forscher viele Politiker zum Thema Internet beraten und aus den Ängsten und Sorgen seiner Gesprächspartner drei Richtlinien entwickelt, wie Netzpolitik gestaltet sein sollte, um die wirtschaftlichen und demokratisierenden Potenziale optimal zu nutzen.
1. Innovation ist die kreative Antwort auf zerstörerischen Wandel
Informationen ließen sich nicht mehr kontrollieren. Dieser Kontrollverlust sei Grundlage negativer und positiver Effekte im Internet. Klar sei, freie Kommunikation über Netzwerke ermögliche genauso Cyber-Kriminalität wie es Grundlage für eine Enthüllungsplattform wie WikiLeaks sei und Menschen helfe, sich selbstbestimmt zu informieren. Als ein positives Beispiel nannte Scott die Kommunikation von Bürgern über das Zugunglück im chinesischen Wenzhou. Dort kam es am 23. Juli 2011 zu einem Zusammenprall von zwei Hochgeschwindigkeitszügen, bei dem 40 Menschen starben und 192 verletzt wurden. Die lokalen Autoritäten verweigerten eine Untersuchung des Unfalls, verhinderten eine Berichterstattung und vergruben die Wrackteile der beiden Züge. Chinesische Bürger berichteten dann in sozialen Netzwerken über den Fall und protestierten gegen das Vorgehen der Verwaltung. Daraufhin wurden die Züge wieder ausgegraben und es gab eine Untersuchung, durch die die Verantwortlichen für den Unfall zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Schließlich wurde ein neues Sicherheitsgesetz für den Zugverkehr erlassen.
2. Um Innovation zu ermöglichen, muss mit Schwachstellen offen umgegangen werden.
Scott betont, dass politische Entscheidungsträger ständig bedachte Entscheidungen populistischen Reaktionen vorziehen müssten. Das Tor-Netzwerk zum Beispiel, mit dem Verbindungsdaten anonymisiert werden, stelle die Sicherheitsstrategen der USA vor ein Dilemma. Einerseits ermögliche es Kriminellen oder Terroristen unerkannt zu kommunizieren, andererseits sei die anonyme Kommunikation elementar für Aufständische in der ganzen Welt. Der Gebrauch dieser Freiheit berge viele Gefahren, aber auch viel Potenzial für die Gesellschaft. Totale Sicherheit werde sich aber in einer offenen und freien Gesellschaft niemals herstellen lassen, erst recht nicht auf Kosten der Offenheit und Freiheit. Viel mehr müssen laut Scott die Schwachstellen akzeptiert und kultiviert werden. Offenheit könne eine Schwachstelle der Politik sein, zugleich aber auch seine stärkste Seite. Das Internet sei ein Netzwerk nach besten Kräften und so sollte auch die Netzpolitik sein, fasste Scott seinen Lösungsansatz zusammen.
3. Die Kultur des Internets basiert sowohl auf Anpassung als auch Kombination
Als ein Beispiel für Anpassung berichtete Ben Scott über libysche Rebellen, die das Kommunikationszentrum von Gaddafi eroberten und in diesem Moment erst das Ausmaß der technischen Überwachung und Unterdrückung von freier Kommunikation richtig verstanden. Als Folgen passten sie die Politik der neuen Regierung dieser Erkenntnis an, die sich nun für freie und offene Netze sowie Kommunikation einsetzt. Kombination wiederum sei das wichtigste Prinzip, dass hinter dem amerikanischen IT-Wunderland Silicon Valley stecke. Erst die Kombination verschiedener kreativer Menschen mit Potenzialen, führe zu einem produktiven Cluster von Kreativität. “Go to breakfast” ist deshalb auch der Rat von Ben Scott an Politiker in der ganzen Welt, die ihr eigenes Silicon Valley aufbauen wollen. Wenn die entscheidenden Menschen nahe genug zusammen wohnen, um miteinander frühstücken zu gehen, könnten dadurch wichtige Synergien entstehen.
In seinem Fazit fasste Ben Scott zusammen, dass es durch das Internet einen bedeutsamen Wandel gegeben hab, der den Bürgern vor allem Teilhabe am Entstehungsprozess von Entscheidungen biete. Regierungen könnten darauf verschlossen reagieren und versuchen, die Kontrolle über die Kommunikation durch Regulierungen zurück zu gewinnen, oder sie begegneten diesem Zustand partizipativer Offenheit mit einer Politik der Offenheit.
Ah, ich sag auch immer wieder so im Stillen zu mir: Germans don’t get the internet.
Ich lehne die offene Werbung für das google-Institut ab.
„Die Deutschen“ lehnen – wenn überhaupt – nicht das Internet ab sondern die großen geldgeilen oder machtpolitisch geilen Akteure im Internet. Ich jedenfalls finde das Internet großartig, die Datenschutzpolitik von Google oder F*book und die vielen Mitläufer und Like-Button-Gehilfen überall im Netz zum kotzen. Ich lehne also nicht das Netz ab, sondern das was manche darin treiben oder damit anstellen und damit bin ich unter den Deutschen offenbar und zum Glück nicht alleine.
https://netzpolitik.org/2012/die-angst-der-us-abgeordneten-vor-dem-internet/ ?
Ja, ist halt vollkommen unglaubwürdig, wenn jemand, der mit dem US-Regierungs-Wirtschaftskomplex verbandelt ist, den Deutschen Tipps für die Überwindung ihrer Internetphobie geben will. Schließlich gelten deutsche Vorstellungen von Datenschutz etc. als eines der wirtschaftlichen Hindernisse für die weitere Expansion von US-Internetdienstleistern. Außerdem ist das Vertrauen in die Freiheit des Internets in den USA erkennbar so groß ist, dass man die eigenen Dienste Milliarden für den Aufbau einer Überwachungsinfrastruktur für Internetkommunikation ausgeben lässt.