Vergiss mein nicht? Googles „Lösch“- Beirat soll Leitlinien für das Entfernen von Suchergebnissen entwickeln

Googles „Lösch“-Beirat tagte gestern zum ersten Mal in Mailand. Ein Video von der öffentlichen Sitzung soll es in wenigen Tagen auf der Seite von Google geben. Heute findet eine weitere öffentliche Sitzung in Rom statt. Als Reaktion auf das Urteil des EuGH zum „Recht auf Vergessenwerden“, hatte Google einen Expertinn*en-Beirat ins Leben gerufen. Aufgabe des Beirates ist es, Kriterien für das Entfernen von Suchergebnissen zu entwickeln. Wann ist der Antrag auf Entfernung begründet und wann nicht? Wann überwiegt die Informationsfreiheit der Öffentlichkeit und wann das Recht auf Privatleben und Datenschutz der*s Einzelnen? Umstritten ist, ob der Google Beirat der richtige Ort ist, um diese Fragen zu entscheiden.

Das EuGH Urteil und seine Folgen

Die Interpretation des EuGH Urteils gehen weit auseinander (wir berichteten hier, hier, hier und hier). In seinem Urteil entschied der EuGH, dass Personen unter bestimmten Umständen ein Recht auf Entfernung von Suchergebnisses zusteht, wenn nach ihren Namen gesucht wird. Das bedeutet nicht, dass die Seite gelöscht werden muss, sondern nur, dass die Seite nicht mehr in der Google Ergebnisliste auftaucht. Und die Seite wird auch nur dann nicht mehr angezeigt in der Ergebnisliste, wenn nach dem Namen der Person gesucht wird. Eine weitere Einschränkung ist, dass sich das Urteil nur auf Google-Suchen in Europa bezieht.

Im Zuge des Urteils soll Google mit Anträgen auf Entfernen von Suchergebnissen überhäuft worden sein. Es sollen über 100.000 Anfragen gekommen sein und Google soll den meisten Anträgen gefolgt sein und die Suchergebnisse entfernt haben, unter ihnen auch Wikipediaeinträge. Hier haben wir ein grundlegendes Problem: Wer soll über die Abwägung bzw. über die Kriterien für die Abwägung zwischen dem Recht auf Privatleben und Datenschutz auf der einen Seite und Informationsfreiheit auf der anderen Seite entscheiden? Momentan tut Google das. Das ist ein Fall von privatisierter Rechtsdurchsetzung. Da der EuGH nicht genau dargelegt hat, was die Kriterien für ein Entfernen eines Suchergebnisses sind, und der EU-Gesetzgeber bisher untätig geblieben ist, ist diese privatisierte Rechtsdurchsetzung nur logische Konsequenz.

Kritik am Beirat

Der 8 köpfige Expertinn*en Beirat, der aus unabhängigen Expertinn*en besteht, aber von Google initiiert wurde, soll nun die Lücke, die der EuGH offengelassen hat, schließen. Für Deutschland sitzt als Expertin übrigens Sabine Leutheusser Schnarrenberger im Beirat. Google schreibt über den Beirat:

Es ist uns wichtig, die richtige Abwägung zu treffen. Diese Verpflichtung ist eine neue und schwierige Herausforderung für uns und wir sind auf der Suche nach Unterstützung bei der Frage, welche Prinzipien Google bei fallbasierten Entscheidungen anwenden sollte. Aus diesem Grund haben wir einen Experten-Beirat ins Leben gerufen.

Es ist zu begrüßen, dass genauere und transparentere Kriterien für die Abwägung von Recht auf Privatleben/Datenschutz und Informationsfreiheit gefunden werden sollen. Aber ist der von Google initiierte Beirat der richtige Ort dafür? Die Tagesschau zitiert Kirsten Fiedler, Geschäftsführerin von European Digital Rights (EDRi), die den Anspruch des Beirates, allgemeine Kriterien für das Entfernen von Suchergebnissen aufzustellen, als „kurios“ bezeichnet. Laut Fiedler müsse diese Aufgabe im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens auf EU-Ebene erfüllt werden.

So auch der Tenor eines Offenen Briefes, der von einer Gruppe von Digital Rights Organisationen verfasst und unterzeichnet wurde. Der Beirat wird in dem Brief daran erinnert, dass es Aufgabe des EU-Gesetzgebers sei, die Kriterien für eine Entscheidung über das Entfernen von Suchergebnissen rechtlich verbindlich festzulegen.

2. We remind the Council that it is the role of the European institutions to provide a legal definition and scope of the right to erasure. While the Advisory Council has been tasked to provide expert input into Google implementation of the ruling, the Council cannot generate legal safeguards, nor can it provide authoritative legal guidance to the company.

Therefore, we encourage the Council to ask that such legal safeguards be created by European legislators and to call for additional legal clarifications.

Auch wird in dem Brief darauf hingewiesen, dass die Arbeit des Beirats die Reform des EU-Datenschutzrechts verzögern bzw. gefährden könnte. Den Offenen Brief gibt es als pdf und eine Pressemitteilung von EDRi findet ihr hier.

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Eine Ergänzung

  1. Ich hatte hier gestern ganz sachlich eine begründete Bitte geäußert.
    Nun stellt sich mir die Frage, warum der Beitrag entfernt wurde.. Falls es nicht erwünscht ist, über dieses Thema zu sprechen, bitte ich um kurze Mitteilung, dann werde ich in Zukunft davon absehen.

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