Landtagswahl ThüringenWie die Parteien die Demokratie abhärten wollen

Die Tage der Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow in Thüringen gehen zu Ende, niemand will ein derartiges Modell wiederholen. Doch Bündnisse werden nach dem kommenden Wahlsonntag nicht leicht und auf die Parteien kommt viel Arbeit zu, wenn sie die Demokratie im Netz und auf der Straße stärken wollen.

Demoschild mit Text: "Thüringen ist und bleibt bunt"
In den letzten Tagen demonstrierten in vielen thüringischen Städten Menschen für eine demokratische Gesellschaft. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christoph Worsch

Wenn am 1. September die Menschen in Thüringen einen neuen Landtag wählen, geht es auch um die Widerstandsfähigkeit der Demokratie. Laut aktuellen Umfragen könnte die rechtsradikale AfD zur stärksten Kraft werden, mit deutlichem Abstand zu CDU und BSW.

Es ist absehbar, dass eine Regierungsbildung schwierig werden wird. Eine erneute Minderheitsregierung wie bisher unter dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ist offenbar keine beliebte Option.

Wenn die demokratischen Parteien es schaffen, sich zu verbünden, werden sie viele Kompromisse machen müssen. Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, Menschen wieder für demokratisches Handeln zu mobilisieren und die bestehenden Strukturen abzuhärten gegen eine mögliche Machtübernahme autoritärer Kräfte.

Welche Antworten haben die Parteien auf Bedrohungen für eine freie und offene Gesellschaft – nicht nur im digitalen Raum? Und wo zeigen ihre Wahlprogramme eine entgegengesetze Richtung an, mit mehr Kontrollmöglichkeiten und der Entgrenzung staatlicher Befugnisse?

Datensammlungen mit Missbrauchspotenzial

Informationen sind Macht. Wer genaue Daten über politische Gegner:innen hat, dem fällt es leicht, sie zu finden und zu bekämpfen. In diesem Kontext bereitet die Einrichtung und Erweiterung polizeilicher Datensammlungen Sorge, gerade weil diese in der Vergangenheit bereits wiederholt missbraucht wurden.

Die CDU verspricht in ihrem Wahlprogramm namens „Thüringen-Plan“ dennoch, eine Verbunddatei “Linksextremismus” einzurichten, in der „Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ihre Erkenntnisse zu Personen und Gruppierungen mit Bezug zum gewaltorientierten Linksextremismus erfassen“ können. Um große Datenmengen zu durchpflügen, will sie zusätzlich nicht näher beschriebene „Künstliche Intelligenz“ nutzen.

Was die SPD mit Datenbanken vorhat, bleibt vage, Ermittler:innen will sie „technisch und rechtlich“ ausstatten, damit sie auch „bei immer größeren Datenbeständen zügig und genau ermitteln können“. Die mögliche Reproduktion von Rassismus und Diskriminierungen erwähnt sie explizit, daher sollen beispielsweise Trainingsdaten offengelegt werden.

Die FDP verspricht, Transparenz darüber herzustellen, „welche Behörde zu welchem Zeitpunkt und aus welchem Grund“ auf Daten von Bürger:innen zugegriffen hat. Das Konzept Datenschutz-Cockpit erwähnen auch die Sozialdemokraten.

Videoüberwachung und verdachtslose Kontrollen

Videoüberwachungsbefugnisse der Polizei will die CDU „deutlich“ ausweiten und Kommunen sogar finanziell dabei unterstützen, wenn sie ihre öffentlichen Plätze mit Kameras beobachten wollen. Die Grünen hingegen wollen nur „gezielt und anlassbezogen“ videografieren sowie eine automatisierte Auswertung der Aufnahmen – beispielsweise mittels Gesichtserkennung – nicht zulassen. Bei dem BSW bleibt es unkonkret. Es solle sich jeder frei entfalten können, ohne Angst vor Beobachtung. Wie das passieren oder erhalten werden soll: unklar.

Den Linken ist es wichtig, sogenanntes Racial Profiling zu überwinden, also rassistisch begründete Polizeipraktiken wie vermehrte Kontrollen migrantisierter Personen. Dazu will sie sowohl bei der Aus- und Fortbildung von Polizist:innen ansetzen wie auch Eingriffsbefugnisse aus dem Polizeigesetz streichen, „die Racial Profiling befördern“. Anlasslose Kontrollen in „Gefahrengebieten“ soll es etwa nicht mehr geben, Kontrollen sollen quittiert werden und so besser nachvollziehbar sein. Die CDU will lieber mehr Kontrolle, auch verdachtsunabhängig in Waffenverbotszonen, die sie ermöglichen will.

Die SPD möchte ein Landesantidiskriminierungsgesetz einführen, das auch vor Diskriminierung durch staatliche Akteure schützt. Zu Demokratiefeindlichkeit und Rassismus in Sicherheitsbehörden will sie eine Studie erstellen lassen, damit sich „Glutnester der extremen Rechten“ nicht in den Institutionen ausbreiten können.

Verfassungsschutz akzeptieren, abschaffen oder ändern

Der Verfassungsschutz in Thüringen führt die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“. Dagegen geht die Partei nicht einmal vor, dafür aber gegen andere Passagen aus dem Verfassungsschutzbericht 2021. Zuletzt scheiterte sie damit vor dem Verwaltungsgericht Weimar. Klar ist: Beliebt ist die Behörde am rechten Rand nicht. Die AfD will sie auflösen, auch weil sie angeblich mit „linksextremistischen Institutionen und Personen“ verflochten sei. Eine Unterstellung, die für Verfassungsschutzbehörden eher atypisch ist.

Auch Die Linke will das Landesamt auflösen, stattdessen aber „wissenschaftlich arbeitende Institutionen für Demokratie und Zivilgesellschaft“ stärker fördern und deren Ergebnisse berücksichtigen. Die Grünen wollen eine Abschaffung zumindest prüfen und gleichzeitig andere Strukturen aufbauen. Bis dahin soll es mehr Kontrolle geben. Zumindest letzteres will auch das BSW.

Die SPD will nichts Großes am Landesgeheimdienst verändern. Die CDU will mehr von allem: Personal, Technik, V-Leute, Staatstrojaner, Vorratsdaten. Die Liberalen sprechen sich für eine vage Stärkung der IT-Kriminalitätsbekämpfung aus.

Transparenz und Mitbestimmung

Staatliches Handeln muss nachvollziehbar und überprüfbar sein, damit es akzeptiert wird. Dafür braucht es Transparenz. Deren Priorität unterscheidet sich zwischen den Parteien jedoch stark. Beim BSW ist das kein Top-Thema, die Grünen haben gleich eine Reihe von Ideen: Fachausschüsse im Landtag sollen öffentlich sein und ein Lobbyregister soll Einflussnahme auf Gesetzgebung sichtbar machen. Ein Transparenzgesetz hat Thüringen bereits, dessen „Potenziale“ sollen aber laut den Grünen besser genutzt werden, damit auch in der Praxis mehr staatliche Informationen proaktiv veröffentlicht werden – etwa durch Transparenzbeauftragte in Kommunen und Verwaltungen.

Viele dieser Ideen wie das Lobbyregister und öffentliche Ausschüsse teilt auch Die Linke. Die CDU will das Transparenzportal zum Open-Data-Portal weiterentwickeln und so auch „der Wirtschaft neue Potenziale eröffnen“. Die FDP hat die Idee eines Transparenz-Systems bei Funkzellenabfragen. So etwas gab es bereits in Berlin, wo es aber mittlerweile geräuschlos wieder eingestellt wurde.

Bunte Tüten an Ideen

Abgesehen von den großen Werkzeugen für eine resilientere oder eben anfälligere Demokratie haben die Parteien jeweils noch ihre ganz eigenen Ideen, wie sie autoritären Tendenzen begegnen und sie bekämpfen wollen. Die Linke will etwa einen Untersuchungsausschuss, um rechte Netzwerke und rechten Terror aufzudecken. Außerdem will die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten gegen Verschwörungsmythen vorgehen und eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Hasskriminalität.

Die Sozialdemokraten wollen beispielsweise eine „Koordinierungsstelle für Demokratiebildung an Schulen“ einrichten und dafür sorgen, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Medienverantwortliche besser zusammenarbeiten, wenn es um Hass im Netz geht. Außerdem will die Partei zivilgesellschaftliche Akteur:innen unterstützen, Bürokratie bei deren Arbeit abbauen und in Behörden für die zivilgesellschaftliche Perspektive werben, „so dass die Zusammenarbeit beispielsweise bei der Organisation und Durchführung von Demonstrationen erleichtert wird.“

Das BSW hat sich auch den Schutz der Demokratie auf die Fahnen geschrieben, versteht darunter vor allem direkte Demokratie in Form von Mitbestimmung. Gleichzeitig beklagt das Bündnis Cancel Culture und dass Sprache „reglementiert“ würde. Anders als in Bayern ist das Gendern jedoch in Thüringen an Behörden und Schulen nicht verboten.

Ein „Gesamtkonzept Erinnerungskultur“ will die CDU entwickeln, überhaupt setzt sie viel auf Bewusstseinsbildung durch Gedenkorte und -tage. Außerdem will sie Jugendorganisationen fördern.

Die Grünen wollen Präventions- und Demokratieförderprogramme ausbauen und antifaschistische Arbeit unterstützen. Zusätzlich wollen sie erforschen, wie sich „Ungleichwertigkeitsideologien in Sicherheitsbehörden“ verbreiten und dienstrechtlich dagegen vorgehen.

Chaos droht auch bei Sperrminorität

Auch wenn die übrigen Parteien es schaffen, sich nach den Wahlen auf ein demokratisches Bündnis zu einigen, fürchten einige Menschen dennoch akutes Chaos im Landtag. Gewinnt die AfD mehr als 33 Prozent der Stimmen, erhält sie eine Sperrminorität. Dann können die Rechtspopulisten wichtige Entscheidungen blockieren. Dazu zählen nicht nur Verfassungsänderungen, sondern auch Ernennungen von Richter:innen.

Schon bei den letzten Landtagswahlen hatte die AfD für eine kurze Krise gesorgt. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich hatte sich 2020 mit Stimmen der Partei zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Kurz darauf zog er sich zurück, was zu einer erneuten Wahl von Bodo Ramelow führte, der seitdem die linke Minderheitenregierung führte.

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