Wochenrückblick KW 48Gesetzgebung am Datenlimit

Ein hoher AfD-Politiker macht Stimmung im rechtsextremen Teil von Telegram. Die Große Koalition holt sich die nächste Verfassungsklage ins Haus. Der EU-Rat bremst den Schutz von Nutzer:innen, das EU-Parlament stellt sich auf ihre Seite. Die Woche im Rück- und Überblick.

Ein süßer Igel
Zum Einigeln: Die letzte Novemberwoche. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Sierra Narvaeth

Wir blicken gemeinsam zurück auf die letzte Novemberwoche, in der es wie immer heißt: Deine Spende ermöglicht unsere Arbeit! Auf unserer Startseite könnt ihr sehen, wie viele Spenden noch für die Ausfinanzierung dieses Jahr fehlen. Für den Start unserer Jahresendkampagne haben wir in „16 Gründen, um netzpolitik.org zu unterstützen“ zusammengefasst, warum eure Spenden in unserer Arbeit gut angelegt sind.

Daniel Laufer hat aufgedeckt, dass ein AfD-Bundestagsabgeordneter in verfassungsfeindlichen Telegram-Gruppen mobilisiert. Anhand von Datenspuren lässt sich etwa ein Aufruf in der Gruppe des Verschwörungsideologen Attila Hildmann eindeutig dem Bundestagsbüro von Johannes Huber zuordnen. Der AfD-Politiker gab eine Liste von Bundestagsabgeordneten in die als verfassungsfeindlich bekannte Gruppe und forderte die „Mitstreiter“ dazu auf, „Druck“ auszuüben.

Für viele Menschen ist Telegram gefühlt sicherer als andere Messenger. Das Image ist aber irreführend. Die Standardverschlüsselung der Chats ist mangelhaft. Telegram speichert Nachrichten zentral auf seinen Servern. Wer im obskuren Firmengeflecht hinter Telegram mit welchen staatlichen Behörden kooperiert und möglicherweise Zugriff auf die schlecht geschützten Daten bekommen könnte, ist absolut intransparent.

Staatstrojaner, Plural

Hamburg hat seinem Verfassungsschutz den Einsatz des Staatstrojaners erlaubt. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte und weitere Organisationen legten jetzt Verfassungsbeschwerde gegen das Verfassungsschutzgesetz ein. Die Erlaubnis in Hamburg geht besonders weit. Der Geheimdienst darf seit April sogar ohne Richter:innenvorbehalt Geräte knacken. Dabei ermitteln Geheimdienste keine Straftaten und unterliegen weniger Kontrolle als die Strafverfolgungsbehörden.

Anlässlich des G20-Gipfels in Saudi-Arabien steht die Überwachung von Dissident:innen wieder im Fokus. Das Königreich setzt kommerzielle Spionagesoftware gegen Menschenrechtsaktivist:innen und NGOs ein. Der Fall eines Aktivisten mit politischem Asyl in Kanada demonstriert, wie die Spionagesoftware Pegasus Geräte hackt. Ein Tipp auf einen einfachen Link – getarnt als SMS zum Nachverfolgen eines Pakets – reicht, um die Kontrolle zu übernehmen.

Neue Internetstraftat

Mit dem Anonymisierungsnetzwerk Tor lässt sich Überwachung im Internet umgehen, für Dissident:innen überlebenswichtig, für Journalist:innen unverzichtbar. Im Kampfeseifer gegen illegale Markplätze im sogenannten Darknet schrammte das Bundesjustizministerium erneut knapp an der Kriminalisierung von Tor vorbei.

Justizministerin Lambrecht hat einen sehr weit gehenden Gesetzentwurf gegen das Betreiben krimineller Handelsplattformen erarbeitet. Das Betreiben von Märkten im Internet, „deren Zweck“ auf kriminelle Machenschaften „ausgelegt“ ist, soll eine neue Straftat werden. Dass gegenüber früheren Entwürfen der Bezug zum Darknet wegfiel, macht das Gesetz weniger schlimm, aber immer noch nicht gut, analysiert Andre Meister. Wir veröffentlichen den Gesetzentwurf.

Gesetzgebung am Datenlimit

Der Bundestag hat über die Art und Weise der Digitalisierung der Verwaltung debattiert. Union und SPD wollen die Steuer-ID als Personenkennziffer missbrauchen, damit Datenabfragen zwischen Behörden besser flutschen. Die Opposition erhebt schwere Vorwürfe, das Gesetz verletze massiv Grundrechte. Scheitert das Gesetz letztlich an der Steuer-ID in Karlsruhe, wird die Registermodernisierung wieder zurückgeworfen.

Das Bundesinnenministerium arbeitet seit Jahren an der Erweiterung des IT-Sicherheitsgesetzes. Zahlreiche Änderungen wichtiger IT-Gesetze sollen kommen, die kritische Infrastruktur betreffen, aber auch Unternehmen und Nutzer:innen. Zentrale Veränderungen sieht der jetzt mittlerweile dritte Aufschlag für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vor. Mit pro-aktiven Kompetenzen will das BMI das BSI zur Hackerbehörde hochjazzen.

Grundgesetz-verletz-König ist und bleibt die Vorratsdatenspeicherung. Immer wieder schießen sich damit Regierungskoalitionen in Deutschland ins eigene Knie. Dass die anlasslose Speicherung sämtlicher Kommunikationsverbindungen vielfach höchstrichterlich festgestellt rechtswidrig und mausetot ist, fasst jetzt ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zusammen. Wir haben es für euch aus dem PDF gepult und veröffentlicht.

ePrivacy, Right to Repair, Data-Governance

Die Hoffnung, dass uns Gesetze besser vor Online-Tracking schützen, wird wieder enttäuscht. Der Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zur ePrivacy-Verordnung ist gescheitert. Damit könnte das ganze Vorhaben scheitern, das die Vertraulichkeit der Online-Kommunikation wesentlich stärken soll. Die EU-Mitgliedsstaaten werden sich im EU-Rat weiterhin nicht einig und blockieren damit eine Trilog-Verhandlung. Das Gesetz ist mittlerweile drei Jahre im Verzug.

Das EU-Parlament fordert ein Recht auf Reparatur. Fraktionsübergreifend unterstützt es die Seite der Verbraucher:innen. Um die Kreislaufwirtschaft in Schwung zu bringen und die Ressourcenverschwendung zu reduzieren, sollen klare Regeln her. Die Kommission will nächstes Jahr einen Vorschlag machen. Das Parlament will, dass die Hersteller zur Angabe der geschätzten Lebenszeit eines Geräts gezwungen werden.

Die EU-Kommission hat ein neues Gesetz über das Teilen von Datensätzen vorgeschlagen. Die Data-Governance-Verordnung soll klare Regeln für die Bereitstellung von Daten öffentlicher Stellen und Unternehmen herstellen. Datenschützer:innen warnen aber, dass einige Begriffe im Text zu vage sind. Für manche Ideen gibt es noch keine Technik, etwa unwiderrufliche Anonymisierung.

Einen skurrilen „Europäischen Tag der Datenqualität“ will die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ausrufen. Gemeint sind Ausschreibungen in Polizeidatenbanken wie dem Schengener Informationssystem. Bisher ist Deutschland dessen Poweruser. Die anderen angeschlossenen Strafverfolgungsbehörden sollen mit heroischen Videos und Werbegeschenken animiert werden, die Datenbank fleißiger zu nutzen.

Und sonst so?

Amazon fürchtet gewerkschaftliche Selbstorganisation seiner Arbeiter:innen. Ständig werden neue Überwachungsprogramme öffentlich. Interne Dokumente zeigen jetzt, dass Amazon Zusammenkünfte von Arbeiter:innen detailliert dokumentiert und die Daten konzernweit zirkulieren. Darunter ist ein Fall eines Amazon-Logistikzentrums in Leipzig. Diese Woche kämpfte ver.di wieder mit Streiks für einen Tarifvertrag in Deutschland.

Ein niedriger Schufa-Score kann echte Probleme machen. Eine „zweite Chance“ will die Schufa dem gewähren, der sie seine Kontoauszüge durchsuchen lässt. Mit dem Projekt „CheckNow“ entwickelt die Schufa ein Tool, das auf der Schnittstelle nach der Zahlungsdienstrichtlinie (PSD2) aufsetzt. Dabei holt sich die Schufa zweifelhafte Einwilligungen zur langen Datenspeicherung von ärmeren Menschen ein.

Das ZDF startet ein rein digitales Bildungsangebot „Terra X plus Schule“. Ohne Rückkopplung ins TV-Programm ist das erst seit diesem Jahr möglich. Das neue Angebot arbeitet teils mit freien und Wikipedia-kompatiblen Lizenzen. Leonhard Dobusch schaut in seiner Kolumne „Neues aus dem Fernsehrat“ nach, wie gut die öffentlich-rechtlich finanzierten Clips in der Wikipedia ankommen.

Unsere Freunde von FragDenStaat haben sich für ihre Spendenkampagne einen Deichkind-Song geschnappt und ihn umgedichtet. Im Musikvideo rappen zahlreiche bekannte Gesichter der netzpolitischen Szene mit. Wer erkennt sie alle?

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende. Bleibt zuhause, bleibt gesund!

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