Fast 40 Jahre nach der ersten Hackerbibel ist jetzt die „Hackbibel 3“ erschienen. Fortsetzungen von bekannten Werken sind immer ein Risiko, das war wohl auch der Redaktion bewusst. Dennoch hat sie gemeinsam mit dem Katapult-Verlag einen Neuaufschlag gewagt und auf 224 Seiten eine mal mehr, mal weniger wilde Mischung an neuen und alten Texten, Bastelanleitungen, Rezepten, Grafiken und Rätseln zusammengetragen und liebevoll gestaltet.
Die dritte Hackbibel ist kein Buch, das man von vorn bis hinten durchliest. Es ist eines, das man immer wieder aufschlägt, um etwas Neues zu entdecken und einen kleinen Eindruck vom vielfältigen Chaos im Chaos Computer Club zu bekommen.
Wenn das Chaos eskaliert, entsteht aus einer Auftakt-Aktion mit Waffeleisen irgendwann eine Infrastruktur für das karierte Süßgebäck inklusive Postkarten: das Waffel Operation Center, auf CCC-Verantaltungen wohlbekannt. Aber auch, wie Wolfgang Schäubles Fingerabdrücke auf einem Glas mittlerweile im Museum gelandet sind, wird in kurzweiligem Format erklärt. Oder was das mit den großen Datensammlern oder einem DDR-Computerklub auf sich hat, was man beim Erforschen der Telematik-Infrastruktur entdecken kann und wie man verantwortungsbewusst Schwachstellen meldet.
Chaos als Konzept
Das gemischte Hack aus der Hackbibel ist – im besten, nicht im despektierlichen Sinne – die perfekte Lektüre fürs Stille Örtchen. Sie auf dem klassischen Weg zu rezensieren, fällt mir schwer. Das hat vor allem zwei Gründe.
Zum einen: Die verschiedenen Inhalte passen nicht so richtig zusammen und wahrscheinlich wollen und müssen sie das auch gar nicht. Hier bleibt die dritte Bibelgeneration den beiden ersten treu. Denn auch da fanden sich nebeneinander Kennlinienfelder von Transistoren, Berichte vom BTX-Hack, BASIC-Code, Gesellschaftsutopien und Dinge, die man schwer beschreiben kann.
Für wen ist die Hackbibel?
Zum anderen: Es lässt sich schwer sagen, an wen sich die Hackbibel richtet. Eine Ahnung, an wen sie sich richten soll, bekommen die Lesenden in der abgedruckten kritischen Reflexion zwischen den Hacker:innen erdgeist, vollkorn und indeks zur Frage, ob man überhaupt eine neue Hackbibel machen sollte.
Eine Hackbibel könne „eine gemeinsame Basis für eine ganze Gruppe schaffen“, sagt vollkorn da. „Sie ist etwas für uns, über uns und von uns.“ Indeks meint, man könne damit auf Themen aufmerksam machen, „die nicht nur für Hacker*innen wichtig sind, sondern auch für Leute, die sich vielleicht das erste Mal wirklich tiefere Gedanken über IT machen.“
In dem lesenswerten Trilog geht es um Werte, Spaß am Gerät, mündliche Wissensweitergabe, die eigene Musealisierung, die Wahrnehmung der Community von außen und den inhärenten Konflikt zwischen einer „Bibel“ und dem Leitsatz aus der Hacker*innenethik, man solle Autoritäten misstrauen. Ist der Konflikt gut gelöst? Ich finde, ein bisschen mehr Subversion hätte die Hackbibel an manchen Stellen noch vertragen.
Als ich in der ersten Hackerbibel gelesen habe, die älter ist als ich es bin, war ich gerade im Teenager-Alter. Die Hackerbibeln tauschten wir auf CD auf dem Schulhof aus. In diesen wilden Sammlungen befanden sich auch Werke wie das Anarchist Cookbook, seltsame UFO-Bücher und das Kamasutra. Eine illustre Zusammenstellung frühjugendlicher Interessen, könnte man sagen.
Eine Frage der Perspektive
Ich war von der Hackerbibel fasziniert, obwohl oder eher weil ich fast nichts verstand. Während ich versuchte, mit dem Marienkäfer Kara programmieren zu lernen, begeisterten mich die Geschichten derjenigen, die mit ihren Fähigkeiten nicht nur ein 2D-Insekt auf dem Bildschirm herumschubsten, sondern so richtig Rabatz machten. Ich war weit weg von dieser Welt, aber sie hat mich nie wieder losgelassen.
In der neuen Hackbibel kommt netzpolitik.org schon im Vorwort vor – als „Teil des Orbits“. An viele der beschriebenen Ereignisse und Diskussionen kann ich mich gut erinnern, auf vielen der beschriebenen „Demonstrationen rund um Netzpolitik und Chaosthemen“ war ich selbst. Klar, dass ich die Hackbibel 3 anders wahrnehme als ihre Vorgängerinnen. Aber dass sie vielleicht auch mal auf einem analogen oder digitalen Schulhof herumgereicht wird und Nachwuchshacker:innen in den Bann zieht: Das wäre doch schön.
> Aber dass sie vielleicht auch mal auf einem analogen oder digitalen Schulhof herumgereicht wird und Nachwuchshacker:innen in den Bann zieht: Das wäre doch schön.
Wer das Ding immer noch „Bibel“ nennt, nimmt christliche Kulturanleihen, und legt Leser:innen subkutan die Rezeptionsmethode des Glaubens nahe. Zur „Bibel“ gehört die Akzeptanz und nicht der Zweifel. Die Gelegenheit wurde verpasst, dieses Wort heraus zu hacken.
Die Titelschöpfungsgremium übte sich im Kulturspagat. Das generische Maskulin „Hacker“ war inzwischen am Zeitgeist gescheitert. „Hacker“ sollte es also nicht mehr sein, und „Hacker:innen Bibel“ hat sich beim Titel-Hack nicht durchgesetzt. Warum?
Nun denken wir lieber an „Gemischtes“ mit bis zu 60% Anteil Schweinefleisch.
„Gemischtes Hack“ in der Überschrift zu verwenden ist missverständlich. Ich dachte erst, der ccc kooperiert jetzt mit dem sehr bekannten/erfolgreichen Podcast Gemischtes Hack: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gemischtes_Hack_(Podcast)
und außerdem ist die headline weder vegan noch agnostisch. das prangere ich an.