Fast fünf Jahre nach dem Verbot von linksunten.indymedia hat der Staatsanwalt Manuel Graulich ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) eingestellt, schreibt die Antifa Freiburg in einem Posting auf ihrer Webseite. Der Beschluss erfolgte demnach bereits am 12. Juli. Die Freiburger Anwältin der Betroffenen, Angela Furmaniak, hat die Angaben gegenüber netzpolitik.org bestätigt.
Am 25. August 2017 und damit kurz vor der Bundestagswahl hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) das Verbot bekannt gemacht und die Internetplattform als „Vereinigung“ deklariert. Damit konnte das Vereinsrecht angewendet werden, das im Vergleich zum Telemediengesetz deutlich weniger Anforderungen für ein Verbot vorsieht. Die Anwält:innen der Betroffenen nennen dies einen „juristischen Kniff“.
Prinzip Openposting
Indymedia wurde im letzten Jahrtausend als weltweites und hierarchiefreies Netzwerk Unabhängiger Medienzentren gegründet. Die Teilnehmenden verstanden sich als Teil des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung. Als erste internationale Auftritte galten der „Carnival Against Capital“ in London und Köln sowie der WTO-Gipfel in Seattle 1999.
Auch in Deutschland starteten Medienaktivist:innen kurz darauf einen Ableger, der zuerst zu den Protesten gegen den Atommülltransport 2001 und anschließend zum G8-Gipfel nach Genua mobilisiert hatte. Nach internen Konflikten erfolgte am 25. September 2008 die Ausgründung „Linksunten“ mit einem anfänglichen Schwerpunkt auf dem Dreiländereck von Deutschland, Schweiz und Frankreich.
Eines der grundlegenden Prinzipien von Indymedia ist das Openposting, wonach dort ohne vorherige Anmeldung Beiträge verfasst werden können. Deshalb muss Indymedia als Nachrichtenplattform angesehen und nach dem Telemediengesetz behandelt werden, argumentierten die Anwält:innen von Linksunten gegen das Verbot.
Zehntausende Euro aus Tresor beschlagnahmt
Zur Begründung der Einstufung als „Vereinigung“ unterstellte das Bundesinnenministerium, linksunten.indymedia verfolge strafrechtswidrige Zwecke und Tätigkeiten und sei deshalb verfassungsfeindlich. Angebliche Beweise stammten unter anderem aus Berichten eines Spitzels des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das damals noch von Hans-Georg Maaßen geleitet wurde.
Verboten und unter Strafe gestellt wurde auch die Verwendung des Symbols des funkenden „i“ in Verbindung mit dem Vereinsnamen. De Maizière verfügte zudem die Abschaltung der Domain und von Mailadressen, die sich jedoch im Ausland befanden. Zusammen mit der Bundespolizei hat das Landeskriminalamt (LKA) aus Baden-Württemberg anschließend mehrere Wohnungen angeblicher Mitglieder des verbotenen „Vereins“ durchsucht. Als „Vereinssitz“ behauptete das Innenministerium das Autonome Zentrum KTS, in dem der regionale Indymedia-Ableger tatsächlich zu Treffen einlud und einst auch gegründet wurde.
Auch alle Räume der KTS wurden gerazzt und die komplette technische Infrastruktur beschlagnahmt. Hierzu gehörten mehrere Zehntausend Euro aus einem Tresor des Zentrums. Der Anklage zufolge soll es sich dabei um das „Vereinsvermögen“ von linksunten.indymedia gehandelt haben.
Razzia mit Verfassungsschutz
Die sichergestellten Schriftstücke wurden dem Verfassungsschutzamt des Bundes übergeben. Eine „Task Force“ beim LKA war nach Aussagen eines Betroffenen für die Entschlüsselung der Computer zuständig. Hierbei soll unter anderem die Bundespolizei Unterstützung geleistet haben. Dies war offenbar nicht erfolgreich, merkt die Antifa Freiburg in ihrem Posting an.
Die Einstellung der Ermittlungen erfolgte nach § 170 Abs. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft nicht genügend Beweise sammeln konnte, um eine Anklageschrift beim zuständigen Gericht einzureichen. Im Juli 2019 war das Verfahren bereits unterbrochen worden, weil fünf Freiburger Betroffene vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig gegen das Vereinsverbot geklagt hatten.
Fraglich war, wer das Verbot vor dem BVerwG überhaupt angreifen darf. Zwar hatten die fünf Betroffenen eine Verbotsverfügung erhalten, die Mitgliedschaft in dem behaupteten Verein aber bestritten. Juristisch wird diese Situation als „Rechtsschutzfalle“ bezeichnet.
Verfassungsbeschwerde noch anhängig
Das BVerwG hielt die Klage schließlich für zulässig, da sich die Kläger:innen auf die im Grundgesetz verankerte „Allgemeine Handlungsfreiheit“ berufen könnten. Im Januar 2020 wies das Gericht die Klage jedoch nach einer mündlichen Verhandlung ab.
Dabei trafen die Richter:innen des 6. Senats keine Entscheidung darüber, ob das Vereinsverbot überhaupt rechtmäßig war. Die Anwält:innen der Fünf haben anschließend eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, über die aber noch nicht entschieden ist.
Neben dem Vereinsverbot hatte die Staatsanwaltschaft zusätzliche Strafverfahren gegen elf Personen im Zusammenhang mit der Website eröffnet. Diese wurden bereits 2019 eingestellt und sämtliche beschlagnahmten Geräte und Gelder wieder herausgegeben.
Ja sauber!
Das gute an dieser Geschichte: Auf unseren Rechtsstaat ist (noch) Verlass. Die juristischen Mühlen mahlen langsam, aber meist doch ganz gut.
Das traurige ist, dass die Langsamkeit in der Justiz hinlänglich bekannt ist, und daher auch leidlich ausgenützt wird (i.S.v. exploiting). Langsamkeit als nutzbare Vorläufigkeit.
Wenn es mehrere Jahre braucht, juristisch geschaffenes Unrecht, insbesondere politisch motiviertes, wieder auszukehren, dann ist die Versuchung doch groß, es darauf ankommen zu lassen. Justiz darf sich nicht jahrelang als politisches Schwert missbrauchen lassen. Der Rechtsstaat selbst ist in Gefahr, wenn es mehrere Legislaturen braucht, bis politisches geschaffenes Unrecht wieder entfernt wird.
>> Fraglich war, wer das Verbot vor dem BVerwG überhaupt angreifen darf. Zwar hatten die fünf Betroffenen eine Verbotsverfügung erhalten, die Mitgliedschaft in dem behaupteten Verein aber bestritten. Juristisch wird diese Situation als „Rechtsschutzfalle“ bezeichnet. <<
Etwas ausführlicher hierzu, zumal „Rechtsschutzfalle“ von Nicht-Juristen auch anders verstanden wird:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverwg-6-a-1-19-linksunten-indymedia-vereinsverbot/
Über die Methoden des Verfassungsschutzes hat Günter Wallraff in seinem Buch „Akteneinsicht“ 1987 ausführlich berichtet und das ist nach wie vor topaktuell.
Wallraff hat seinerzeit letztlich auf Grund der nur als Schikanen zu bezeichnenden Maßnahmen Deutschland verlassen und seinen Wohnsitz in die Niederlande verlegt.