RUMSNeuer lokaler Qualitätsjournalismus ausgerechnet in Münster?

Mit RUMS kommt in Münster ein ambitioniertes Lokaljournalismus-Projekt aus der Start-Phase. Mitgründer Christian Humborg gibt Einblicke in das publizistische Experiment aus dem Netz.

Münster hat jetzt mehr als Fahrräder zu bieten.
Münster hat jetzt mehr als Fahrräder zu bieten. CC-BY-SA 4.0 Rüdiger Wölk

Christian Humborg ist einer der Gründer:innen von “RUMS – Neuer Journalismus für Münster”. Er ist in Münster geboren und aufgewachsen und lebt seit über 20 Jahren in Berlin. Er twittert unter @chumborg.

Viele Menschen verbinden mit Münster eine beschauliche, konservative Stadt, in der vor langer Zeit der Westfälische Frieden geschlossen wurde, andere verbinden Münster mit Fahrraddiebstählen. Münster überrascht aber als Ort eines neuen journalistischen Projektes. Im März haben wir “RUMS – Neuer Journalismus für Münster” als kostenlosen Newsletter gestartet. Zweimal die Woche erfahren die Leser:innen in einem als Email versendeten Brief, was in der Stadt passiert ist und vor allem warum, sie lesen Recherchen und Analysen zur Stadtpolitik, aber auch über Ausstellungen, Restaurants und ungewöhnliche Geschichten des Alltags. Eines der Vorbilder war der seit Jahren beim Tagesspiegel erscheinende Checkpoint-Newsletter. Im Laufe der Zeit sind größere Recherchen auf der Website hinzugekommen sowie Podcasts der “Briefe”.

Brinkbäumer, Polenz, Reemtsma und Weisband sind dabei

Jeden Sonntag erscheint zudem per Email eine Kolumne von einer oder einem der Kolumnist:innen: Carla Reemtsma, Mitgründerin der Fridays for Future-Bewegung, die in Münster studiert; Marina Weisband, Psychologin und ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei, die in Münster lebt; Klaus Brinkbäumer, Autor für Tagesspiegel und Zeit, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur, der in Münster geboren und aufgewachsen ist und jetzt in New York lebt; Ruprecht Polenz, Goldener Blogger 2020 und ehemaliger Generalsekretär der CDU, der in Münster lebt.

Der Lokaljournalismus ist krank

Mit unserem Angebot reagieren wir auf eine Entwicklung, die es seit langem überall gibt und die RUMS-Redakteur Ralf Heimann in einem seiner Briefe beschrieben hat: “Der Lokaljournalismus ist krank. Der Niedergang hat vor knapp 40 Jahren begonnen, ungefähr zeitgleich mit dem Start des Privatfernsehens. Später kam das Internet hinzu und verschärfte die Probleme. Die Verlage verstanden zu spät, dass ihr Leiden nicht einfach wieder verschwindet. In den vergangenen 30 Jahren verloren die deutschen Tageszeitungen etwa die Hälfte ihrer Gesamtauflage.”

Heimann stellt fest, dass bei immer kleiner werdenden Redaktionen immer weniger Journalist:innen immer mehr arbeiten müssen. Das bedeutet für ihn, dass sie auf einen wichtigen Teil der Arbeit verzichten müssen: die Recherche. Er schreibt: “Sie geben das wieder, was ihnen auf Pressekonferenzen gesagt wird, statt noch wen anders zu fragen, ob das alles wirklich so stimmt. Sie checken Fakten nicht gegen, denn das dauert manchmal genauso lange wie die Arbeit an einem Beitrag. Oft erscheinen einfach Pressemitteilungen. Den Journalist:innen kann man das kaum vorwerfen. Sie müssen sich mit den Umständen arrangieren.”

Auf Münsters Medienmarkt ist Platz genug

Ralf Heimann Beschreibung trifft auch viele Städte und eben auch auf Münster zu. Seit sechs Jahren gibt es dort nur noch ein Verlagshaus, das Tageszeitungen herausgibt: den eigenen Titel “Westfälische Nachrichten” und die 2014 aufgekaufte und inzwischen als sogenannte Zombiezeitung betriebene “Münstersche Zeitung”, deren Redakteur:innen und Inhalte nahezu identisch sind. Das Monatsabo kann innerhalb eines ähnlichen Webseitendesigns einmal in rot für 41,90 Euro und einmal in blau für 40,90 Euro im Monat gebucht werden. Der Chef des Verlags ist auch Präsident der IHK Münster und Vorstandsvorsitzender des Vereins der Kaufmannschaft in Münster. Kein Wunder, dass sich auch viele Entscheidungsträger:innen in der Stadt Vielfalt und Unabhängigkeit im Journalismus wünschen. Daneben gibt es einige kleinere Titel oder Websites, die mal regelmäßig und unregelmäßig, mal werbefinanziert, mal nicht, für Nachrichten und Einordnungen sorgen, aber kein Medium, das nachhaltig finanzierten lokalen Recherchejournalismus anbietet.

Wir sind fest davon überzeugt, dass es genug Sehnsucht und Interesse an verlässlichem lokalen Journalismus gibt. Allein wenn wir uns eine spezielle Zielgruppe anschauen: In Münster studieren rund 60.000 Menschen an der Universität und der Fachhochschule. Wir waren auch überzeugt, dass es eine Zahlungsbereitschaft gibt, eben für diesen anspruchsvollen, unabhängigen Journalismus. Daher haben wir von Anfang an klar gemacht, dass wir RUMS nicht durch Werbung, sondern durch Beiträge der Leser:innen finanzieren wollen, denn Werbefreiheit ermöglicht Unabhängigkeit. Schon beim Start und im weiteren Verlauf haben wir immer wieder klar kommuniziert, dass RUMS ab September kostenpflichtig werden würde.

Die Konversionsrate von 26% ist enorm

Am 1. September war es dann soweit. Die bisherigen rund 3.400 Lese:innen wurden eingeladen, ein monatliches Unterstützungsmodell zu wählen, zwischen 8 Euro (Standard), 15 Euro (Idealistisch) und 40 Euro (Großzügig). Studierende, Schüler:innen, Azubis und Arbeitslose können mit 4 Euro dabei sein. Am 30. September zahlten rund 900 Personen – damit kann sich RUMS selbst tragen. Was Medienmacher:innen aufhorchen lässt, ist die Konversionsrate. 26 Prozent der bisherigen Leser:innen haben sich dafür entschieden, für RUMS zu bezahlen. Das ist enorm und innerhalb des Medienmarktes ein extrem hoher Wert. Im Wikipedia-Artikel zu “Konversion (Marketing)” heißt es: “Maximale Konversionsraten liegen bei ca. 10 Prozent, große Medienhäuser sprechen oft von niedrigen einstelligen Konversionsraten”. Warum es so gut funktioniert? Neben der beschriebenen Sehnsucht nach einem weiteren Medium in der Stadt mutmaßen wir, dass die Leser:innen vor allem die Unabhängigkeit und die Qualität der Arbeit schätzen.

RUMS ist ein Sozialunternehmen

Hinter RUMS stehen zehn Gründer:innen, überwiegend aus Münster, die ihre Investition wahrscheinlich nie zurück erhalten werden, denn mindestens 90% eines möglichen Gewinns, von dem RUMS weit entfernt sind, werden in das Unternehmen zurückfließen. Wir werden in den nächsten Jahren um das weitere Wachstum kämpfen müssen. Wir haben uns bewusst gegen die Gemeinnützigkeit entschieden, weil uns die rechtliche Unsicherheit und die Abhängigkeit vom lokalen Finanzamt zu hoch erschien. Wir stehen für Public Interest Journalism, lokalen Journalismus über Fragen von öffentlichem Interesse. Diesen braucht jede Stadt genauso wie Schulen, Krankenhäuser, Wasser- und Internetversorgung.

Zur zentralen Bedeutung eines lokalen Journalismus für die Demokratie sei erneut RUMS-Redakteur Ralf Heimann zitiert: “Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass in Nachrichtenwüsten die Wahlbeteiligung zurückgeht. Es gibt Hinweise darauf, dass die politische Polarisierung dort zunimmt, wo Lokalmedien fehlen. Das zivilgesellschaftliche Engagement scheint dort größer zu sein, wo es lokale Medien gibt. Dafür gibt es ebenfalls wissenschaftliche Belege. Es ließ sich zeigen, dass Kommunen mehr Geld ausgeben, wenn Lokalmedien fehlen, weil Lokalpolitiker Ausgaben eher durchwinken, wenn ihnen niemand auf die Finger schaut. Auch das haben Forscher untersucht. Sie haben sogar einen Zusammenhang zwischen der Umweltverschmutzung und der lokalen Berichterstattung belegt.”

Das “vielleicht spannendeste und ambitionierteste Lokaljournalismus-Projekt” in Deutschland

RUMS reiht sich ein in rein digitale journalistische Start-Ups, die nicht aus den bisherigen Verlagen entstanden sind, wie CORRECTIV, finanztip, Krautreporter, netzpolitik.org und perspective daily (zufällig auch in Münster beheimatet). Beispiele dieser Start-Ups auf lokaler Ebene sind die Prenzlauer Berg Nachrichten und das Lokalblog Nürnberg. Der viel für die Süddeutsche Zeitung tätige Medienjournalist Simon Hurtz hält RUMS für das vielleicht spannendste und ambitionierteste Lokaljournalismus-Projekt, das es derzeit in Deutschland gibt.

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