Bits & Bäume: Von der Effizienz zur digitalen Suffizienz

Digitalisierung läuft in die Richtung „weiter, schneller, mehr“. Das bringt unter anderem ökologische Probleme. Doch digitale Technologien könnten auch helfen, eine neue Wirtschaft zu entwickeln, die wachstumsunabhängig sowohl ökologische als auch soziale Nachhaltigkeit verfolgt.

Eine kaputte Platine in der Umwelt
Jedes Jahr ein neues Gerät und das alte in den Müll? So sollte es nicht laufen. CC-BY-SA 2.0 Dirk Ingo Franke

Dr. Steffen Lange ist Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Seine Themenschwerpunkte sind Digitalisierung, nachhaltiges Wirtschaften, Ökologie und Wirtschaftswachstum.

Prof. Dr. Tilman Santarius lehrt an der Technischen Universität Berlin und am Einstein Centre Digital Futures und ist Teil der Forschungsgruppe „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ am IÖW. Seine Schwerpunktthemen sind Klimapolitik, Handelspolitik, nachhaltiges Wirtschaften, Postwachstum und digitale Transformation.

Prof. Dr. Angelika Zahrnt ist Ehrenvorsitzende beim BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. Sie arbeitet und publiziert zu den Themen ­Nachhaltigkeit, ­Postwachstumsgesellschaft ­und­ Suffizienz­ und ist ­Beraterin­ in ­verschiedenen ­Gremien.

Digitale Geräte und Anwendungen eröffnen unzählige neue Möglichkeiten. Aber wie steht es um die Folgen für Umwelt und Gerechtigkeit? Zum Thema ökologische Nachhaltigkeit haben vor allem drei Aspekte der Digitalisierung weitreichende Auswirkungen auf den Energie- und Ressourcenverbrauch.

Erstens geht der Aufbau digitaler Geräte und Infrastrukturen zunächst mit einem erheblichen Energie- und Ressourcenverbrauch einher – für die Endgeräte, aber auch die Router, Server, Rechenzentren, Übertragungsnetzwerke, Unterseekabel und so weiter. Hinzu kommt der Energieverbrauch in der Nutzungsphase, der bereits 10 Prozent der weltweiten Stromnachfrage ausmacht.1

Zweitens­ wirkt ­Digitalisierung ­als ­Effizienz­maschine.­ Doch zu einem merklichen Rückgang von Energie- und Resourcenverbräuchen hat die Digitalisierung der letzten Jahrzehnte aufgrund von Reboundeffekten nicht beigetragen.

Und drittens wird erkennbar, dass Digitalisierung neue Chancen für eine Transformation von Konsum- und Produktionsweisen in Richtung Nachhaltigkeit bietet. Wie viel zusätzliche Digitalisierung können wir uns auf dem begrenzten Planeten Erde also noch leisten?

Genau an dieser Frage setzt die Idee der Digitalen Suffizienz ­an.­ Wie­ Suffizienz ­zu ­mehr Nachhaltigkeit führt und­ wie­ das­ spezifische­ Prinzip­ der­ digitalen ­Suffizienz ­ausbuchstabiert werden kann, zeigen wir im Folgenden.

Suffizienz – Die Bedeutung des Begriffs in der Nachhaltigkeitsdiskussion

Der ­Begriff­ „Suffizienz“­ kommt ­vom ­Lateinischen „sufficere“,­ was­ so­ viel­ wie­ „ausreichen“ ­bedeutet. ­Es ­geht ­bei­ der­ Suffizienz ­um­ die­ Frage­ nach ­dem ­rechten­ Maß­ und „das ­Gute­ Leben“,­ individuell ­und ­in ­globaler Verantwortung.2

Bisher­ galt­ Suffizienz ­als ­individuelle Aufgabe und allein als persönliche Wertentscheidung. So wichtig die Ansätze Einzelner sind, individuelles Handeln ist immer in institutionelle und gesellschaftliche­ Kontexte­ eingebunden.­ Suffizienzpolitik will diese so gestalten, dass es einfacher wird, nachhaltige ­Lebensstile ­zu ­praktizieren.

In der Nachhaltigkeitsdebatte wurde schon in den 1980er-Jahren­ die­ Bedeutung ­der­ drei­ Prinzipien­ Effizienz,­ Suffizienz,­ Konsistenz­ herausgearbeitet.­

Das ­technikkonzentrierte­ Prinzip ­der ­Effizienz­ etablierte­ sich schnell zum zentralen und politisch allseits anerkannten Instrument der Einsparung von Energie und Ressourcen. Damit war die Hoffnung verbunden, den „Way­ of ­Life“ beibehalten­ zu ­können,­ denn ­durch­ neue „grüne“ Technologien sollten Chancen für weiteres Wirtschaftswachstum entstehen.

Ende der 1990er-Jahre wurde deutlich, dass die Effizienzstrate­gie­ nicht­ ausreicht, um die für eine nachhaltige Entwicklung nötigen Einsparziele zu erreichen, insbesondere wegen des Reboundeffekts. Der Gedanke der­ Suffizienz­ kam­ stärker­ in­ die öffentliche Debatte.

Inzwischen­ ist­ die­ Einsicht­ gewachsen, ­dass ­Suffizienz­ notwendig ist – nicht nur durch ein geändertes individuelles Verhalten, sondern auch durch andere gesellschaftliche Rahmenbedingungen.

Digitale Suffizienz – das richtige Maß finden

Wie lässt sich nun der allgemeine Gedanke der Suffizienz in­ den­ Bereich­ der­ Digitalisierung ­übertragen? ­Das­ Prinzip ­der­ digitalen ­Suffizienz­ wird ­von ­dem Motto geleitet: „So viel Digitalisierung wie nötig, so wenig wie möglich“.

Es soll dazu dienen, die nicht nachhaltigen Auswüchse einer ressourcenintensiven Digitalisierung­ (zu)­vieler ­Lebens-­ und­ Wirtschaftsbereiche einzudämmen, möglichen Reboundeffekten von digi­talen­ Effizienzsteigerungen­ entgegenzuwirken und stattdessen die positiven ökologischen Potenziale der Digitalisierung zu aktivieren.

Insofern geht ­es­ -­ wie­ bei­ Suffizienz­ im­ Allgemeinen­ -­ nicht ­um einen aufopfernden „Verzicht“ oder eine Einschränkung um jeden Preis, sondern um das rechte Maß, zum Beispiel um eine sinnvolle Anzahl digitaler Geräte in Haushalten, Unternehmen und öffentlicher Infrastruktur.

­Das ­Ziel­ ist,­ dass­ digitale ­Suffizienz ­insgesamt zu einer deutlichen Reduktion der globalen Ressourcen- und Energieverbräuche und einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt. Das Prinzip der digitalen ­Suffi­zienz­ wurde ­erstmals ­im­ Buch­ „Smarte­ grüne Welt“3 definiert­ und­ mit den folgenden­ drei ­Prinzipien inhaltlich gefüllt: Technik-, Daten- und Nutzungssuffizienz.

­Wir ­haben „ökonomische­ Suffizienz“ als viertes Prinzip hinzugefügt.

(1) Techniksuffizienz ­zielt ­darauf ­ab, ­Informations-­ und ­Kommunikationssysteme ­so ­zu ­konzipieren, ­dass ­nur wenige Geräte nötig sind und diese selten erneuert werden ­müssen.­ Zunächst­ bedeutet­ Techniksuffizienz,­ sich um eine sozial und ökologisch nachhaltige Herstellung aller Geräte und Infrastrukturkomponenten (zum Beispiel Rechenzentren) zu bemühen.

Sogenannte Konfliktrohstoffe, deren ­Einsatz mit­ sozialen­ und­ ökologischen­ Problemen­ verbunden­ ist, ­müssen ­systematisch ­aus der Produktion verbannt werden. Ökologisch besonders umstrittene Stoffe und Produktionsverfahren müssen nach Möglichkeit substituiert werden. Ferner ist es wichtig, sowohl bei Hard- als auch bei Softwareentwicklung auf eine lange Nutzungsdauer zu achten, ebenso wie auf Reparierbarkeit und modulare Erweiterbarkeit von Geräten.

Geplante Obsoleszenz darf es nicht geben. Auch Software muss „reparierbar“ und langfristig nutzbar sein, wie es die Open-Source-Software bereits vormacht.

(2) Datensuffizienz ­bezieht ­sich­ auf­ das­ Design ­digitaler Anwendungen. Mehr Datenverkehr erfordert mehr Serverkapazitäten und IT-Infrastruktur – und im Allgemeinen auch mehr Stromverbrauch. Software wird über die Jahre oft so weiterentwickelt, dass sie zunehmenden Datenverkehr hervorruft.

Daten­suffizienz­ bringt auch­ die ­zentrale­ Frage­ in ­die ­öffentliche Debatte: Wie viel permanente Vernetzung und Datenverkehr ist wirklich nötig, um bestimmte gesellschaftliche und ökologische Ziele zu erreichen? Jede­ Diskussion­ über ­Smart ­City, ­Smart ­Home, ­Smart­ Mobility­ oder­ das­ Internet­ der­ Dinge­ sollte ­stets ­mit ­dieser kritischen Frage beginnen.

(3) Nutzungssuffizienz­ trägt ­der­ Tatsache­ Rechnung, dass Nachhaltigkeitsziele nicht durch smarte Technologien allein erreicht werden können. Auch ein Umdenken und veränderte Verhaltensmuster der Nutzer*innen sind gefragt. Wenn das Smartphone kaputtgeht, können Nutzer*innen versuchen, es zu reparieren, anstatt sich sofort ein neues Gerät zu kaufen – sofern ein ­techniksuffizientes­ Design­ der ­Geräte ­dies ­zulässt.­

Wenn im Internet Kleidung, technische Geräte oder Möbel auch gebraucht statt neu gekauft werden, bedarf es dafür dennoch der individuellen Bereitschaft. Und auch­ wenn­ smarte ­Netze­ ein­ dezentrales­ Energiesystem ­technisch möglich machen, so fußt die Energiewende doch auf lokalen Initiativen und engagierten Menschen, die vor Ort daran mitarbeiten.

Nutzungssuffizienz ­zielt ­vor­ allem ­darauf­ ab,­ dass ­digitale ­Tools­ nicht zu Reboundeffekten führen: Wenn die intelligente Vernetzung des Verkehrs dazu führt, dass man schneller und kostengünstiger von A nach B kommt, legen ­suffi­zienz orientierte ­Nutzer*innen ­trotz­ dieser ­Möglichkeit in Summe dennoch nicht mehr Kilometer zurück.

Und wenn dank digitaler Kommunikation Aktivitäten­ und ­Logistik­ schneller ­bewältigt ­werden­ können,­ werden ­suffiziente­ Nutzer*innen­ dies ­nicht­ für zusätzliche Aktivitäten nutzen, sondern Zeitwohlstand­ genießen. ­Letztlich­ muss­ sich­ jede­ Nutzerin ­und j­eder Nutzer fragen: Wie viele digitale Geräte und wie viel permanente Vernetzung benötige ich – sowohl beruflich­ wie­ privat,­ um­ ein­ zufriedenes­­ Leben­ führen­ zu können?

(4) Ökonomische­ Suffizienz­ schließlich­ zielt ­ auf ­die­ Systemebene ­ab.­ Die­ zentrale­ Frage ­lautet­ dabei:­ Wie kann die Digitalisierung genutzt werden, um eine Wirtschaft ohne Wachstum entstehen zu lassen, deren Naturverbrauch radikal sinken kann und in der­ eine ­gute­ Lebensqualität­ der­ Menschen ­möglich ­wird?

Eine Schlüsselrolle kommt hierbei der Reregionalisierung zu. Bislang galt die Kritik, eine schrittweise Dezentralisierung (und Deglobalisierung) kontinentaler und transnationaler Warenströme sei zu­ ineffizient ­oder­ bei­ komplexen ­industriellen ­Produkten technisch nicht machbar.

Mithilfe der Digitalisierung lassen sich die Grenzen dessen verschieben, was lokal wirtschaftlich und machbar ist: So können zum Beispiel Praktiken des Sharing, des Prosuming, des ­Doityourself­ gefördert­ werden. ­In ­der ­Landwirtschaft können kleinbäuerliche Betriebe über kommunale oder regionale Plattformen ihre Ernten an lokale Märkte oder direkt an Endkund*innen verkaufen.

Mit intelligent gesteuerten und vernetzten „Micro Grids“ lässt­ sich ­ ein dezentrales­ Energiesystem­ aufbauen,­ bei dem Windkrafträder, Solaranlagen und so weiter im Besitz vieler tausend Privatpersonen, Genossenschaften oder Kommunen liegen anstatt in der Hand weniger großer Energiekonzerne. Auch die Produktion industrieller Güter kann aufgrund zunehmend automatisierter Produktionsverfahren in die Region zurückgeholt werden – wie es im Übrigen bereits etliche Konzerne vormachen.

Am Übergang in die Postwachstumsgesellschaft

Die Digitalisierung läuft derzeit in die falsche Richtung des „weiter, schneller, mehr“ mit den damit verbundenen ökologischen Problemen. Doch digitale Technologien bergen das Potenzial, eine neue Wirtschaft zu entwickeln, die wachstumsunabhängig sowohl ökologische als auch soziale Nachhaltigkeit verfolgt.

Dafür müssten digitale Technologien technik- und ­datensuffizient­ konzipiert ­und ­für ­Nutzungs-­ und ­ökonomische ­Suffizienz­ angewendet ­werden. ­So­ könnte sie dabei helfen, viele der bisherigen Probleme dezentraler Wirtschaftskonzepte zu überwinden, indem digitale Technologien helfen können, einen „kosmopolitischen­ Lokalismus“ ­zu­ verwirklichen­,­ der­ nicht ­auf­ Abschottung, sondern auf gerechten globalen Handel setzt.

Am Ziel der Nachhaltigkeit und dem Prinzip der Suffizienz­ orientiert, ­könnte ­die­ Digitalisierung ­so ­zum Übergang in die Postwachstumsgesellschaft beitragen.­ Das ­Prinzip­ der ­digitalen­ Suffizienz­ kann­ eine­ Orientierungshilfe für eine solche Neuausrichtung geben. Es hängt an den Entwickler*innen, den Nutzer*innen und nicht zuletzt der Politik, die Digitalisierung in diese neue Richtung zu steuern.

Die Konferenz „Bits & Bäume“ brachte im Jahr 2018 erstmals im großen Stil Aktive aus der Zivilgesellschaft zusammen, um die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu diskutieren. Jetzt ist das Konferenzbuch „Was Bits und Bäume verbindet“ erschienen. Als Medienpartner der Konferenz veröffentlichen wir an dieser Stelle jeden Montag einen Beitrag daraus. Das ganze Buch ist auch als Download verfügbar und steht unter der Lizenz CC­ BY-NC-SA­ 3.0­ DE.


Fußnoten

  1. Andrae, A., & Edler, T. On Global Electricity Usage of Communication Technology: Trends to 2030. Challenges 6, Nr. 1: 117–157 (2015)
  2. Schneidewind, U., & Zahrnt, A. Damit gutes Leben einfacher wird, Perspektiven einer Suffizienzpolitik. München: oekom Verlag (2018)
  3. Lange, S., & Santarius, T. Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. München: oekom Verlag. (2018)

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