Sachsen: Kombination von Kennzeichenscanner und Gesichtserkennung gefordert

Sowohl der Einsatz einer automatisierten Kennzeichenerfassung wie auch die Gesichtserkennung von Überwachungskamera-Bildern sind tiefe Eingriffe in die Privatsphäre und umstritten. Der künftige sächsische Ministerpräsident Kretschmer fordert sie trotzdem.

Ein mobiles Gerät zur Kennzeichenerfassung. CC-BY-SA 4.0 Cameramann

Der künftige sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat bei einer Aussprache der CDU in Leipzig gefordert, eine Kombination aus automatischem Kennzeichenscanner und Gesichtserkennung einzuführen. Dieser tiefe Eingriff in die Privatsphäre der Bürger soll nach Meinung von Kretschmer Polizeiarbeit effizienter gestalten.

Die Veranstaltung der örtlichen CDU hatte für Aufregung gesorgt, weil dort Michael Kretschmer angeblich gefordert hatte, Menschen zu kontrollieren, die Piercings haben und große Autos fahren. Dieses von „Bild“ verbreitete falsche Zitat hatte auch netzpolitik.org als Anlass für einen kurzen Artikel genommen. Allerdings sind wir der Geschichte noch einmal nachgegangen und haben von der sächsischen CDU einen Mitschnitt der Veranstaltung zugeschickt bekommen.

Dort stellt sich das Piercing-Zitat zwar als falsch heraus, die Forderung nach neuen Überwachungsinstrumenten wird allerdings umso deutlicher:

Wenn Sie auf der Autobahn nach Dresden fahren oder nach Berlin, dann steht da irgendwo an der Abfahrt ein Polizeifahrzeug mit einem Fernglas. Guckt, wie ist das Kennzeichen von dem Auto. Guckt, was ist das für eine Marke. Der zweite Kollege gibt das durch ins Revier, der checkt das und fragt, ob das KfZ-Kennzeichen zu dem Auto passt, ob der Halter er sein könnte oder ob das irgendwie ein junger gepiercter Typ ist – und wenn die Dinge nicht miteinander zusammenpassen, dann wird der Kollege rausgewunken.

Das dauert, das bindet Personalkraft, das ist absolut ineffizient. Wenn man dann sieht, dass es technische Lösungen gibt, die das vollkommen von alleine machen, innerhalb von Bruchteilen von Sekunden und wir es nur deshalb nicht machen, weil wir den rechtlichen Rahmen nicht haben, weil Leute sich hinter Datenschutz verstecken, das kann doch nicht sein. [Applaus im Raum]

Kretschmer fordert hier die – grundrechtlich höchst fragwürdige – Kombination aus Kennzeichenscanner mit automatischer Gesichtserkennung und nimmt den „jungen gepiercten Typ“ als Beispiel für eine Person, die nicht der richtige Halter sei. Ein Vorurteil gegenüber Gepiercten wird durchaus transportiert, aber Kretschmer fordert keine generelle Kontrolle von Menschen mit Piercing. Sein Vorschlag aus der CDU-Sitzung stellt also keine Diskriminierung von Menschen mit bestimmten Schmuckvorlieben dar, sondern eine massive Ausweitung der Überwachung der Mobilität.

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19 Ergänzungen

  1. Feudale Erbfolgeregelung in Sachsen. Sächsische Unabhängigkeitserklärung erwartet.

    1. Hoffentlich bald, und Bayern bitte gleicht dazu. Wobei ich da ja echt neugierig wäre auf die Reaktion des Bundes. Eine diktatorische Entmachtung einer Landesregierung durch den Bund ist in Deutschland ja zumindest nach dem GG nicht vorgesehen.

  2. …liegt vielleicht auch daran, dass Sachsen zwei innereuropäische Landesgrenzen hat und dies eine direkte Rolle dabei spielt… Stichwort ‚Reisende Täter‘

    1. Reisende Täter? Und ich dachte bisher, als Sachse muss man Angst vor der Islamisierung des Abendlandes haben?

    2. au ja, der ist gut. gegen „reisende täter“ muss man natürlich was machen. und auch gegen „essende täter“, “ telefonierende täter“, „einkaufende täter“ und „rauchende täter“. ich finde auch, täter sind eigentlich gefährder, dann spart man sich teure gerichtsverfahren…

  3. Mal so eine Frage am Rande: Habt ihr den besagten vorherigen Artikel auf Grundlage der Bild-Zeitung als einzige Quelle veröffentlicht?

    1. Was wäre ihnen denn lieber gewesen? Vielleicht „Die Welt“ als eine seriöse Quelle zu nennen?

      Als konservativer Politiker braucht man nicht in klaren Worten diskriminieren. Herr Kretschmer kann sich in dieser Hinsicht ganz auf die Mitarbeit seines Publikums verlassen.

    2. Ich kann da netzpolitik schon verstehen, die BILD setzt hier den Satz in Anführungszeichen und markiert ihn so als wörtliches Zitat. Nur ist dieser Satz eben so nicht gefallen. Das ist eine mutwillige Verfälschung, Fake-News, und selbst für Springer schon sehr dreist.
      Aber Sie haben recht, BILD-Zitate und Inhalte müssen grundsätzlich erst mal geprüft werden, in der Regel haben die nix mit Journalismus und der Wahheit zu tun. Umso betrüblicher, dass die BILD nach wie vor das „Drehbuch“ der journalistischen Tagesplanung in Deutschland ist. Aber was täte der Innenminister ohne die BILD…

    3. Ja, wir hatten die „Bild“ als einzige Quelle. Das wird in Zukunft ohne zweite Quelle oder eigenes Rückfragen nicht mehr passieren.

  4. Wenn man es als Kernaufaufgabe der Polizei sieht, ohne Anlass mit einem Fernglas am Seitenstreifen in Zweierteams auf der Lauer zu liegen, kann man selbstverständlich von einem ineffizienten Personalmanagement sprechen.

    „Wenn Dinge nicht … zusammenpassen.“

    Es ist also anzunehmen, dass der Anzugträger im Golf 2 ebenso in den Genuss einer anlasslosen Verkehrskontrolle kommt, wie auch der 19-jährige Piercing-Träger, der mit Vaters S-Klasse auf dem Weg zur Uni ist?

    Und warum überhaupt sollte es einen Unterschied machen, ob der Fahrzeugführer oder die Fahrzeugführerin sich auf dem Weg nach Berlin, Dresden oder Hamburg befindet?
    Ist es nicht für sich genommen schon verdächtig, um 12 Uhr mittags ein Kraftfahrzeug zu führen, wo man doch eigentlich brav bei der Arbeit seinen Dienst verrichten müsste?

    Aber der Algorithmus dahinter wird schon wissen warum…

  5. Es drängt sich der Verdacht auf, unsere Sicherheitsfanatiker sehen in der „intelligenten“ Videoüberwachung auch eine Chance für die Generierung neuer Verdachtsmomente, um eine Art von Konformitätsdruck zu schaffen.

    Wer möchte schon bei jeder zweiten Autofahrt in einen Plastikbecher urinieren? Da wählt man doch lieber einen standesgemäßen fahrbaren Untersatz oder geht wenigstens regelmäßig zum Friseur. An dieser Stelle bitte mit etwas Fantasie weiterdenken.

    Die chinesische Führung verfährt geschickter: Man bietet Incentives anstelle von Sanktionen, damit der Bürger freiwillig seine wenigen noch verbleibenden Rechte aufgibt. Siehe Artikel zum „Ehrlichkeits“-Scoring. Wer sich sperrt, dem wird gesellschaftliche Teilhabe untersagt.

    Weiter Bogen, I Know.

  6. Was Kretschmer verschweigt ist, das die Polizisten mit dem Fernglas die Verdächtigen wirklich heraus winken, die Kameras winken keinen heraus, sie lassen die Täter weiterfahren, weil der Herr Kretschmer das Personal, das den Täter heraus winken könnte, eingespart hat, um sich die Überwachungsanlage nebst sitzendem Personal leisten zu können!

    Freie Bahn für freie Attentäter!

    Es wird noch soweit kommen, das man seinen Reiseplan beim Innenministerium einreichen muss und wenn man an bestimmten Checkpoints nicht vorbei kommt, wird sofort nach einem Gefahndet, weil man ja Amok fahren könnte, welcher brave Bürger ändert den schon mal seine Meinung oder gar seine Route?
    Natürlich kann man als besorgte Bolizei beim Delinquenten anrufen und nach dem Grund für die Abweichung von der Route fragen und sich gleich die neue bestätigen lassen!

    Ein Bürger der so umsorgt wird, hat wirklich keinerlei Probleme mehr!

    1. Ach, das geht noch besser!
      Wenn du dir diesen Artikel durchliest, weist du für wen unsere gewählten Volksvertreter die Überwachungsgesetze beschließen!
      http://mobil.n-tv.de/panorama/Berliner-Polizeischueler-schockieren-Ausbilder-article20114126.html
      „Er kommt zu dem Fazit: „Das sind keine Kollegen, das ist der Feind. Das ist der Feind in unseren Reihen.““

      Stell dir mal vor, du rufst die Polizei und dann wird nicht der Schläger, sondern du verhaftet.

  7. Bewegungsprofile usw. werden ohnehin schon erstellt, aber nicht von der Polizei, der die Rolle des dummen August zukommt. Herr K. startet hier einen Versuchsballon. Rein theoretisch wäre es erträglicher, wenn die Polizei Personen erfasst unter streng rechtsstaatlichen Bedingungen, als irgendjemand, den wir nicht kennen und der irgendetwas macht. Aber hat man das vor in Sachsen?
    Noch einmal Theorie: eine solche Maßnahme würde den Handlungsspielraum von Geheimdiensten eventuell einschränken, aber nicht zwingend. Es käme darauf an, wer Zugriff auf die Daten hat und wer nicht.

  8. …. welche Bedeutung hat unsere Verfassung eigentlich für unsere Politiker.
    Hier scheinen seit Jahren auch schon Alternative Fakten zu gelten.
    Wie schön, dass verfassungsfeindliches Verhalten unserer Regierigen
    keinerlei negative Konsequenzen hat.
    Auf der anderen Seite scheinen wir Bürger dumm genug zu sein,
    den gebotenen Mist gut zu finden.
    Die Bürger haben Angst und würden ihre Seele verkaufen,
    um diese Angst aufgeben zu können. Ich halte die Medien für mit-schuldig.
    Es ist bei uns so geworden, wie es seit Jahren in den USA ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.