Die Geschichte von Indymedia: Ein Vorreiter des Bürgerjournalismus

Seit Entstehung 1999 hat sich das unabhängige Internetportal Indymedia über die ganze Welt verbreitet. Ein Überblick über die Entstehungsgeschichte und warum sowohl Linke als auch Kriminalpolizisten die Plattform schätzen.

Geburtsstunde von Indymedia: Die Proteste gegen das WTO-Treffen in Seattle 1999. CC-BY 2.0 Seattle Municipal Archives

Das unabhängige Internetportal linksunten.indymedia.org wurde am Freitag überraschend vom Bundesinnenministerium verboten. Die Seite ist momentan offline. Innenminister Thomas de Maizière begründete das Verbot damit, dass sich die Seite gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Doch was ist Indymedia eigentlich für ein Projekt? Und welche Rolle spielte Indymedia für den Bürgerjournalismus, also die alternative Berichterstattung von unten?

Ursprung in globalisierungskritischen Protesten

Indymedia, kurz für Independent Media Center, entstand im Herbst 1999 anlässlich der globalisierungskritischen Proteste gegen das Treffen der Welthandelsorganisation in Seattle. Aktivistinnen und Aktivisten publizierten ihre eigenen Texte, Bilder und Videos von den Blockaden auf einer von ihnen selbst betriebenen Seite – und gestalteten so eine eigene Erzählung der Proteste. Mit ihren Berichten direkt von der Straße entlarvten die Aktivisten zahlreiche Falschmeldungen der Behörden und schufen eine Gegenöffentlichkeit zu den etablierten Medien, in denen sie nur selten zur Wort kamen.

Anfang 2001 entstand der erste deutsche Ableger des dezentralen Medienprojekts unter de.indymedia.org. Herzstück der Seite war der „Open-Posting“-Bereich, in dem jede und jeder anonym schreiben konnte. Ein kleiner Kreis von ehrenamtlichen Mitarbeitern sichtete die eingereichten Beiträge und stellte ausgewählte an prominenter Stelle auf die Startseite.

Das globale Indymedia-Netzwerk

Über die Jahre gründeten sich Hunderte lokale Indymedia-Ausgaben auf der ganzen Welt. Die Plattform wurde zur größten Seite für Bürgerjournalismus, bei dem Bürger anstelle von professionellen Journalisten selbst recherchierte oder erlebte Ereignisse mit der Öffentlichkeit teilten. Eine wichtige Rolle kam Indymedia 2001 bei den Gipfelprotesten von Genua zu, wo die Berichte die Sichtweise der Aktivistinnen und Aktivsten zeichneten und so Einfluss auf die Berichterstattung in klassischen Medien nahmen. Mit dem Aufkommen von Blogs und Social Media verloren viele lokale Indymedia-Seiten jedoch an Bedeutung.

Auch in Deutschland war Indymedia lange Zeit die wichtigste Plattform der außerparlamentarischen Linken. Nach dem Niedergang von de.indymedia.org die 2008 gegründete (und jetzt verbotene) Abspaltung linksunten.indymedia.org, auf der zuerst Beiträge aus Süddeutschland und später aus ganz Deutschland erschienen. Einzelpersonen und linke Gruppen schrieben Berichte über Demonstrationen und Protestkampagnen, sammelten Presseberichte und lieferten sich hitzige Diskussionen in den Kommentaren. Egal ob Castor-Proteste, Israel-Debatten oder Veranstaltungen – die Informationen fanden sich auf Indymedia. Mittlerweile haben sich viele dieser Debatten in die werbefinanzierten sozialen Netzwerke, wie Facebook und Twitter, verschoben.

Recherchen über rechte Strukturen

Indymedia und auch der Ableger linksunten.indymedia waren immer auch Plattformen für fundierte Recherchen über die rechtsradikale Szene, beispielsweise über das Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds, aber auch über militante Rechtsextremisten, die im Nachgang der Berichterstattung auf Linksunten u.a. wegen dem Fund von Rohrbomben verhaftet wurden.

Daneben gab es auch Aufrufe zu Gewalt und Bekennerschreiben auf der Seite, was Indymedia auch für Polizei und Verfassungsschutz interessant machte. Mit vertrauter Regelmäßigkeit widmete sich der Verfassungsschutzbericht dem Internetportal und prangerte die strafrechtlich relevanten Beiträge dort an.

„Verbot ist Wahlkampf-Symbolik“

Jetzt, infolge der G-20-Proteste und vor dem Bundestagswahlkampf, greift das Innenministerium ein. Kritik daran kommt auch von ungewohnter Seite: Das Verbot sei „mehr Wahlkampf-Symbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale“ heißt es aus dem Bund Deutscher Kriminalbeamter. Die Plattform sei „polizeitaktisch sogar wichtig, um die Szene, ihre Pläne und Bekennerschreiben zu beobachten. Das fehlt den Polizisten nun in Zukunft“.

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9 Ergänzungen

  1. Was im Artikel nicht herauskommt: Indymedia kann ja in Deutschland weiterhin publizieren. Die Seite http://de.indymedia.org/ ist nach wie vor am Netz und publiziert linkes Gedankengut (was absolut legitim ist). Es ist nur ein spezieller Teil mit linksextremistischer Ideologie, Gewaltandrohung und Gewaltverherrlichung verboten worden. Linke (auch radikale) Standpunkte sind in keiner Weise betroffen und können vertreten werden.

  2. Bei aller Liebe, aber ich halte dies im Moment fuer eine alles andere als differenzierte Betrachtungsweise. Schaut man sich einfach mal das „Mission-Statement“ von linksunten aus dem letzten Jahr an:

    http://webcache.googleusercontent.com/search?q=cache:https://linksunten.indymedia.org/de/node/190662

    „Indymedia linksunten hat sich in den siebeneinhalb Jahrens seines Bestehens seit Februar 2009 zur wichtigsten linksradikalen Webseite im deutschsprachigen Raum entwickelt. Jeden Tag besuchen tausende Linke die Webseite, um sich über alle Aspekten antagonistischer Strömungen zu informieren. Ob Besetzungen, Anschläge, Debatten oder Lohnkämpfe – es passiert wenig Rebellisches im Hier und Jetzt, zu dem nicht auf linksunten aufgerufen oder berichtet wird.“

    Dann ist das alles andere als ein Ort, wo man den Buergerjournalismus feierte. Dazu Anleitungen fuer Boeller und Mollies.

    Sorry, Simon… dies nun dazu relativieren, dass es ja auch ganz praktisch fuer den VS war.. das halte ich fuer ziemlich daneben!

    Indymedia lebt weiter: linksunten ist dicht. Und das ist gut so.

    Mag deine Beitraege sonst wirklich sehr, aber diesen empfinde ich als schwierigen Spin!

    1. Naja, das ist ja mehr ein Artikel über Indymedia insgesamt. Und da ist das bürgerjournalistische Element nicht wegzudiskutieren.

    2. Lieber Sascha,

      dann nimm Dir doch mal genau das von Dir kopierte Textteil und frage Dich, ob das für Dich auf diese Weise, wie es das Ministerium mit Hilfe des Inlandsgeheimdienstes und ohne richterlichen Beschluss durchgezogen hat, in Ordnung ist. Man unterstellt ja, dass dort ein Verein existiert, gegen den man vorgeht. Man geht nicht etwa gegen einzelne Kommentatoren bei linksunten vor, die das Strafrecht verletzt haben könnten.

      Sie sagen bei linksunten: Sie wollen informieren, sie lassen Kommentare zu, allerdings nicht alle. Das BMI schreibt aber auf seiner Website
      http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html
      sehr deutlich, dort würde für Gewalt mobilisiert (am Beispiel G20).

      Was unterscheidet denn linksunten von Facebook-Gruppen, wo Du jeden Tag weit heftigere Kommentare in allen möglichen Gruppen lesen kannst, bis auf die Tatsache, dass es auf eigener Infrasturktur läuft? Was davon strafbar ist, kann belangt werden. Bei linksunten aber wird gegen einen „Verein“, der gar nicht existiert, vorgegangen.

      Mich beunruhigt das Vorgehen sehr, ich sehe auch Parallelen zur Landesverrats-Affäre.

    3. Dann müssten Facebook, Twitter, WhatsApp, und Co aber genauso konsequent verboten werden. Und wenn man es ganz streng nimmt, müsste gleich das gesamte Internet strengstens verboten werden. Auch finde ich es mittlerweile erschreckend, wie das reine Wissen über den Bau eines Mollies oder Böllers kriminalisiert wird. Meine Physik- und Chemielehrer aus meiner Zeit am Gymnasium in den 1970ern wären heute wohl Schwerkriminelle. Man stelle sich heute vor, im Chemieunterricht würde in einem Versuch tatsächlich Schwarzpulver hergestellt. Ja, das haben wir in den 1970ern im tatsächlich Chemieunterricht gemacht.

      Es ist also wieder soweit, dass das alleinige Wissen, oder auch nur das streben danach, strafbar ist.

  3. Eigendlich schade, dass dieser „Hort von Freiheit und Demokratie“ verboten wurde. Viel sinnvoller wäre es auf solche Seiten hinzuweisen und zu verlinken, damit sich die interessierten Internetnutzer über solche Typen selbst ihre Meinung bilden könnten. Wenn dort zu Gewalt und Anschlägen auf den Staat aufgerufen wurde, macht es durchaus Sinn Strafanzeige gegen die Betreiber zu erstatten. Wobei Aufrufe § 20 GG nicht als staatsfeindlich zu deuten wären. Die wären bei den Merkelregierungen angebracht. Bei jedem kleinen Kiffer, der so dämlich ist sich im Darknet zu versorgen, rückt das SEK an und stellt die Bude auf den Kopf. Bei den Betreibern dieses „Universums von Toleranz und Völkerverständigung“ im Internet kam ein Brief an. Das sollte man als Vorzugsbehandlung deuten.

  4. Natürlich ist das reine Wahlkampftaktik. Mich wǘrde es in keiner Weise wundern, wenn das Verbot schlussendlich vor Gerichten keinen Bestand hätte. Allerdings wird das dann niemanden mehr interessieren, denn die Wahl ist dann schon lange gelaufen.

    Die CDU hat einerseits Angst vor der AfD und versucht mal wieder alles was politisch links der sogenannten Mitte liegt zu dämonisieren und zu kriminalisieren. Andererseits lässt sich die CDU von ihrer sogenannten Schwesterpartei CSU aus Bayern politisch als Geisel nehmen. Mit Angst und dem Schüren von Ängsten ließ sich schon immer erfolgreich Politik machen, besonders in Deutschland und Österreich (aber nicht nur da).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.