Der Stuttgarter Tatort „HAL“: zwischen Darknet, Predictive Policing und Künstlicher Intelligenz

Die Kommissare Lannert und Bootz ermitteln in der Zukunft. Dabei werden sie mit dem Hauptverdächtigen David Bogmann und seinem Computerprogramm Bluesky konfrontiert, doch Mensch und Programm scheinen zunehmend verrückter zu werden. Neunzig Minuten Tatort zwischen Kubrick und Kafka.

mit freundlicher Genehmigung des SWR

Der heutige Stuttgart-Tatort mit dem Namen „HAL“ hat – so stellt Kommissar Lannert zur Hälfte der Spielzeit fest – „nicht nur mit einer Welt zu tun, sondern mit zweien“. Diese zweite Welt ist das Internet. Es dauert keine fünf Minuten, bis die Begriffe Darknet, Tor und VPN fallen. Das Szenario soll uns demonstrieren, mit welchen Herausforderungen es die Ermittler bald zu tun haben werden. Denn da spielt er, dieser Tatort: in der nahen Zukunft.

Es geht um den Tod der Schauspielschülerin Elena, die über das Onlineportal „Love Adventure“ Dienste anbot, um sich den Lebensunterhalt zu finanzieren. Bald taucht eine Aufnahme auf, die ihren Tod zeigen soll – auf einer Gewaltvideo-Seite im Darknet. Im Verdacht: „Data Scientist“ David Bogmann. Das Video soll von seiner IP-Adresse aus hochgeladen worden sein.

Die Aufklärung des Verbrechens führt durch die Wirren des Cyberraums, in dem sich die Ermittler Thorsten Lannert und Sebastian Bootz noch augenfällig unsicher bewegen. Zusätzlich kommt das Computerprogramm „Bluesky“ ins Spiel, das Bogmann entwickelt hat. Es ist in der Lage, ständig mit neuen Datenbergen gespeist, seine eigene Intelligenz weiterzuentwickeln. Seine Entwicklung sollte die Vorhersage zukünftiger Verbrechen ermöglichen. Schließlich scheint es sich gegen Bogmann, seinen Schöpfer, zu wenden. Der wird Stück für Stück paranoider und sieht am Ende keinen anderen Ausweg mehr, als mit einer ganz analogen Schrotflinte wieder Herr über sein eigenes Programm zu werden. Hat Bluesky sogar etwas mit Elenas Tod zu tun?

Zwischen Stanley Kubrick und Franz Kafka

Bluesky ist eine Hommage an HAL 9000 aus Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Und auch sonst spart der Film nicht mit Bild- und Tonzitaten aus Kubricks Werk. In einem SWR-Interview bezeichnete der Autor und Regisseur Niki Stein dies als „eine Verbeugung vor dem großen Stanley Kubrick, der ja schon vor fast 50 Jahren […] den Konflikt Mensch – Computer erzählt hat“. Doch nicht nur Kubrick wird zitiert, auch Kafka-Referenzen sind zu finden, wie sich an den Kapitelüberschriften, die den Sonntagskrimi gliedern, ablesen lässt. „Der Prozess“ und „Vor dem Gesetz“ sind nur zwei davon.

Der Hauptcharakter von Bluesky - mit freundlicher Genehmigung des SWR
Der Hauptcharakter von Bluesky – mit freundlicher Genehmigung des SWR

Neben einem Plot, der eine netzaffine Zuschauerschaft 90 Minuten lang zu amüsieren vermögen sollte, bietet der Tatort auch Stoff für politische Diskussion: Es geht um die Beweiskräftigkeit von IP-Adressen, die Speicherdauer von Standortdaten. Es geht auch um die Schwierigkeit, US-Firmen zur Datenherausgabe zu zwingen und um die Allgegenwärtigkeit von Überwachung – durch Staat und Privatunternehmen gleichermaßen. Ein Zitat von Kommissar Lannert ist dabei besonders markant:

Die Zeiten sind vorbei, junger Mann, in denen wir unkontrolliert durch die Gegend laufen konnten. Außer: Sie werfen ihr Handy vorher weg.

Für einen netzpolitischen Realitätsabgleich mit der Gegenwart werden wir – aus Spoiler-Gründen – am Montag einen ausführlicheren Kommentar liefern. Und da die Gelegenheit günstig war, haben wir für den gemeinsamen Tatort-Spaß ein Cyber-Bingo gebaut, das sich zum gemeinsamen Spielen eignet. Einige von uns werden übrigens um 20.15 Uhr im Zum Böhmischen Dorf, Berlin, sein – mit ausgedruckten Offline-Bingo-Zetteln. Also: Falls ihr in der Gegend seid, schaut vorbei und spielt mit!

Zum Mitspielen hier entlang!
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11 Ergänzungen

  1. Also ich war ja beim Tag der offen Tür im Innenministerium. Bei der Führung wurde uns erklärt, wie der Innenminister zu seinen Informationen kommt. Er stellt eine Anfrage, z.B. Was ist das Darknet? Diese Anfrage geht dann dank der Schnelligkeit der modernen Rechner innerhalb von etwa einer halben Stunde durch die zuständigen Instanzen an denjenigen Mitarbeiter, der sie bearbeitet, zunächst digital, und dann auch ausgedruckt, damit der Minister sie in Form einer Akte unter den Arm klemmen kann, fürs Gespräch beim Fernsehen.

    Doch was ist nun das Darknet? „Nun wie sie ja alle aus den Medien schon wissen, ein Tummelplatz für Kriminelle. Gehen Sie da bloß nicht hin!“ – „Wieso nicht?“ – „Nun, da holen Sie sich ganz viele Viren!“.

    Fragerunde am Ende der Führung, auch die Senioren hören sehr interessiert zu. „Also wegen dem Darknet…“ – „Dafür braucht man Tor.“ – Eifriges Nicken in der Gruppe… „Und das ist auch wichtig in manchen totalitären Staaten, da anonym zu bleiben.“ – „Noch weitere Fragen?“.

  2. *räusper*
    Guten Tag,
    sich nicht mit dem Gegenstand der Berichterstattung gemein zu machen, sollte sogar für Euch gelten… Fasziniert von gewissen Themen und Inhalten zu sein, ist toll, geht mir ganz genauso. Der Artikel gehört auch definitv in die Rubrik Digitalkultur. Aber eine werbeähnliche Veranstaltung muss das deswegen noch lange nicht werden. Wenn man eine Kolumne oder Rezension beisteuern will, sollte man das auch genauso schreiben, ankündigen.

    Einfach zurücklehnen, abwarten, Tee trinken, die Gedanken mal länger kreisen lassen und in einer Woche ist es vielleicht doch nicht so „überragend“ wie das ein oder andere womöglich überschätzte Meisterwerk. Denn ein kleiner Medienbeitrag wie eine derartige Fernsehsendung verblasst in der Zeit, die Themen selbst sind zeitlos. Wäre es die Verpackung, die rein mechanische Dramaturgie des Films und nicht seine Inhalte, was von Bedeutung ist, so wäre schließlich auch „2001[…]“ längst verstaubt und vergessen.

    Eure Seite war bisher ja auch eher kein Stammtisch.
    Grüße

  3. Nur eine Sache: wir können uns so vom technologischen Fortschritt verabschieden. Der Großteil der Leute wird nach diesem Tatort die AI gänzlich ablehnen. War ja nicht so, als ob in Deutschland die Technikakzeptanz hoch ist.

    1. Wenn sie mal schauen, wozu diese Technik in der Regel „gebraucht“ wird: Werbung, Personenprofile, Faulheit, Überwachung, Spielereien … dann ist die niedrige Akzeptanz wohl auf Vernunft zurückzuführen, denn an mangelnder Forschung an relevanzen Themen liegt es nicht. Da kann sich so manches Land was von der deutschen Einstellung abschneiden :)

      1. Ein ehemaliger Arbeitskollege antwortete auf solche thematischen Fragen stets so:

        „Der Mensch ist ein faules Gewohnheitstier! Ergo, Faulheit siegt!“

  4. Schwaches Ende des Films. Mit einer Shotgun auf Server zu schiessen ist wohl dem Counterstrike Wahn in seiner Jugend geschuldet. Das musste in dem Film unbedingt untergebracht weden ;)

  5. Mir hatte der Tatort ganz gut gefallen,
    zum einen wegen der 2001 Zitate und
    wegen des bedachten Umganges mit dem Thema.

    Es sind allerdings recht umfangreiche Problemfelder aufgespannt worden,
    welchen ein normaler Zuschauer wohl kaum folgen kann.

    Irgendwie war es ein Tatort, nur für Netzbürger und Nerds ….

    Meine Frau hatte super geschlafen,
    nach dem 7ten CompiBuzzWord
    fielen Ihr die Augen zu.

    … so taugte der Tatort leider nicht,
    um diese Themen, für Unwissende,
    weiter zu erhellen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.