eHealth-Startup wirbt in Offenen Brief an Oettinger für Netzneutralität

30c3-der-kampf-um-netzneutralitt-9-638Unser Digitalkommissar Günther Oettinger wird nicht müde, Aussagen der Telekom-Lobby zu wiederholen, dass wir weniger Netzneutralität brauchen, um eHealth-Anwendungen voran zu treiben. Das geht soweit, dass suggeriert wird, dass Netzneutralität töten würde. Das Argument hört man regelmäßig, aber vor allem von Vertretern der Telekommunikationsindustrie und von CDU-Politikern. Also denjenigen, die ein eigenes Interesse an weniger Netzneutralität haben und denjenigen, die denen dabei helfen und in ihrem Anliegen unterstützen.

Aber stimmt das auch? Nicht nur wir haben unsere Zweifel. Wir hatten auch in früheren Postings Startups auf die Möglichkeit hingewiesen, ihre eigenen Interessen in dieser Debatte zu artikulieren und nicht immer nur andere für sie sprechen zu lassen, die andere Interessen im Sinne haben. Insofern sind wir erfreut über die Initiative von arztkonsultation.de, einem eHealth-Startups aus Mecklenburg-Vorpommern, das einen Offenen Brief zum Thema Netzneutralität an Günther Oettinger geschrieben hat. Das Unternehmen bietet zwar keine Operationen am offenen Herzen übers Netz an, was man auch ohne Netzneutralität nicht machen sollte, dafür aber Ärztesprechstunden und vergleichbare Services.

Hier ist ein Auszug aus dem Offenen Brief, den es als PDF gibt:

Nun fordern Sie, die Netzneutralität aufzuheben. Sie möchten, dass Firmen, die mit gutem Geld ausgestattet sind, besonders schnelle Internetverbindungen aufbauen können. Wir können uns das nicht leisten. Unsere Videokommunikation auch älterer Patienten mit ihrem Hausarzt wird nach Ihrem Vorschlag nachrangig übermittelt, gegenüber Freizeit-Videostreamingangeboten großer Medienanbieter. Ihr Vorschlag zementiert einen Protektionismus, der es den Großen erlauben wird, uns trotz ihrer verschlafenen Innovationskraft zu überholen, weil sie Kraft ihres Geldes eine bessere Qualität werden anbieten können. Mit Netzneutralität hingegen scheuen wir den Qualitätsvergleich nicht.

Statt nun das eigene Versagen zu korrigieren, hören Sie nicht nur auf die Einflüsterungen derjenigen, die kein Interesse an der Innovationskraft junger Start-Ups haben, sondern verunglimpfen Unternehmen unserer Art auch noch als Taliban. Das ist ein ungehöriger Vergleich und für uns eine völlig ungewohnte Tonlage. Wir fühlen uns persönlich beleidigt – und Sie beleidigen damit nicht nur uns, sondern einen großen Teil der 144.000 niedergelassenen Ärzte in Deutschland, die unsere Zielgruppe darstellen und die sich schnelle Kommunikationswege mit ihren Patienten wünschen. Dies mit der Software ihrer Wahl, nicht mit derjenigen des durch Geld erkauften schnelleren Anbieters.

Besonders bitter stößt uns dabei auf, dass angesichts der Versäumnisse der Politik sowohl im Breitbandausbau, als auch in der Telemedizin ausgerechnet medizinische Szenarien Ihr Argument gegen die Netzneutralität darstellen. Noch einmal: Nicht diejenigen haben diese Innovation auf den Markt gebracht, aufgrund deren durch Lobbydruck erkauften Investitionsbereitschaft Sie nun setzen. Wir, arztkonsultation.de, haben dieses Kommunikationsmedium auf den Markt gebracht und wir werden durch Ihre Politik um unsere Früchte gebracht. Das ist innovationsfeindlich.

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5 Ergänzungen

  1. Das finde ich schwierig. Klar, aus Sicht der Netzneutralität ist das gut und wichtig, aber als Datenschützer kann man, finde ich, nicht wirklich an der Seite eines eHealth-Startups kämpfen, da das geplante eHealth-Gesetz abzulehnen ist. Um einen schlechten Vergleich zu bemühen, wirkt das auf mich in etwa so, wie wenn ein Unternehmen – sagen wir mal, die Schufa – sich dafür ausspricht, bei der VDS nur zwei statt zehn Wochen alles zu speichern. Aus Sicht der deutschen Krankenversichten kann ich das Startup nicht unterstützen.

  2. Unabhängig von der Seriosität von E-Health-Angeboten kommt mir da die Totschlagbegründung gegen Netzneutralität in den Kopf: Damit Ärzte während der Behandlung nicht von Youtube-schauenden Kiddies ausgebremst werden – so heißt es doch immer. In der Realität würde das passieren, was in dem offenen Brief steht: Ärzte würde mit ihrer klein- bis mittelständischen Technik dem Geldriesen Youtube (Google) unterliegen.

  3. Aber klar gibt es Operationen über das Netz. Nennt sich Telepathologie und funktioniert über ferngesteuerte Mikroskope. Im Operations- oder Obduktionssaal wird eine Gewebeprobe entnommen und unters Mikroskop gelegt. Der zugeschaltete Spezial-Pathologe guckt sich die Probe an und bedient selbst das Mikroskop. Spezialnetz oder Vorfahrt brauchts nicht, Patient ist schon tot :)

    1. Glaubt Oettinger wirklich immer noch, dass Datenverbindungen für kritische Anwendungen über das Internet abgewickelt werden? Hat der niemanden in seiner Umgebung, der ihm verklickert dass es dafür spezielle Netze gibt und sowas doppelt und dreifach abgesichert ist?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.