Universität in Athen will auf Geheiß eines Call Centers dem linken Serverprojekt Espiv den Stecker ziehen (Update: wieder da)

espivDer Rektor der Panteion Universität in Athen will das linke Serverprojekt Espiv vom Netz nehmen. Dies teilte das Administrationskollektiv „Cybrigade“ am gestrigen Montag mit. Hintergrund ist die Beschwerde des Call-Center Unternehmens OnLine Sales. Der Chef der Firma verlangt, ein unliebsames Posting zu entfernen. Der Mann fühlt sich darin beleidigt. Das Löschen des Eintrags ist aber nicht die einzige Forderung: Espiv soll die Namen der AutorInnen nennen.

Wie bei unabhängigen Internetdiensten üblich weigert sich Cybrigade aber, irgendwelche Daten herauszugeben. Die seit sechs Jahren bestehende Gruppe macht darauf aufmerksam, dass keine IP-Adressen geloggt würden. Espiv betreibt die Domains espivblogs.net und espiv.net und sieht sich als eine Internet-Infrastruktur „gegen Kapitalismus und Hierarchie“. Die Gruppe setzt sich nach Selbstauskunft für „digitale Rechte, das unberührbare Recht auf Privatsphäre, abhörfreie Kommunikation und freie Meinungsäußerung“ ein.

Nun republiziert das Kollektiv das beanstandete Posting in mehreren Sprachen. Darin wird zu einer Kundgebung bei OnLine Sales aufgerufen da der Arbeitgeber sich weigere Überstunden auszuzahlen ohne dass die betreffende Angestellte das „Verkaufsziel“ der Firma erreicht habe. Die Frau sei darüber hinaus verbal und körperlich angegriffen worden.

Bislang scheint es keine gerichtliche oder polizeiliche Handhabe zu geben: Das Schreiben von OnLine Sales war laut der Mitteilung von espiv eine „außergerichtliche Mitteilung“ an die Universitätsverwaltung. In Griechenland haben Polizeibehörden traditionell keinen Zugang zu Universitäten. Das mag der Grund sein, weshalb neben vielen politischen Gruppen auch Serverprojekte den staatlich garantierten Schutz der Meinungsfreiheit suchen.

Auch Indymedia Athen parkt seine Serverfarm auf einem Hochschulgelände. Die linke Webseite hatte letztes Jahr mit dem gleichen Problem zu tun: Ein Hochschulrektor ließ den Stecker ziehen, angeblich auf Anordnung von Behörden. Die hatten aber jede Beteiligung bestritten. Später machte Indymedia öffentlich, dass wohl doch der Rektor der Technischen Universität hinter der Repressalie steckte.

Der Vorfall erinnert aber auch an die Auseinandersetzung der früher in den USA gehosteten Domain ucrony.net mit dem deutschen Schauspieler Til Schweiger. Schweiger hatte sich geärgert, dass auf einer Unterseite des Ucrony-Kollektivs ein Artikel über einen Anschlag gegen sein Wohnhaus erschien. In dem Posting hieß es, das „Millionenobjekt“ von Schweiger sei deswegen adressiert worden, da der frisch gebackene Tatort-Kommissar kurz zuvor in der Bildzeitung sein „Afghanistan-Tagebuch“ veröffentlichte (hier gespiegelt bei Indymedia). Auch seine Wohnadresse war genannt worden.

Über seine Anwälte der Berliner Kanzlei Eisenberg und König hatte Schweiger schließlich erreicht, den mehrsprachigen Blog directactionde.ucrony.net abzuschalten. Die auf Medienrecht spezialisierten Anwälte erwirkten hierzu eine einstweilige Verfügung vom Landgericht Berlin gegen den Domain-Registrar domaindiscount24. Dieser sperrte daraufhin umgehend die komplette Top-Level-Domain. Gleichzeitig wurde auch jede Berichterstattung über die Maßnahme untersagt: Laut einer Presseerklärung des Betreiberkollektivs verbieten die Anwälte „ausdrücklich jedwede auch nur indirekte publizistische Nutzung“ des rechtlichen Vorgehens Schweigers.

Ucrony.net bezeichnete sich als ein „Kollektiv von Freiwilligen“, das seit 2006 Privatpersonen und nicht-kommerziellen Projekten Subdomains anbot. Jetzt nicht mehr: Alle Webseiten von Bürgerinitiativen, Fotografen und Musikern in den USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich sowie sämtliche Mailserver bleiben seitdem abgeschaltet. Auch linke Webseiten kennen jedoch den Streisand-Effekt: Die Wohnadresse von Til Schweiger ist seit dem Rechtsstreit auch bei anderen Online-Medien zu finden.

Update: Nachdem der Server gestern abgeschaltet wurde, ist er jetzt wieder da:

On July 8th, 2014, members of the Cybrigade admin crew, as well as representatives of the Proledialers (call-centre workers, whose blog is hosted on espiv), went to the Panteion university premises. Their presence was enough to put the server back in operation.

The attempted silencing of hundreds of collectives that use the espiv infrastructure was averted. Certainly, this does not mean that similar attempts by either the authorities or private individuals cannot occur in the future.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

5 Ergänzungen

  1. Die Domainlevels sind technischer Natur und nicht marketingbedingt oder von Nutzungsintensität abhängig. Das heißt .net ist eine Top-Level-Domain, ucrony.net ist 2nd-Level und directactionde.ucrony.net ist 3rd-Level.

  2. Der entscheidende Punkt bleibt bei diesem Beitrag leider im Dunklen: Ist der Beitrag über den Call-Center-Betreiber rechtlich zulässig oder nicht?
    Falls die Behauptungen im Beitrag unwahr sind und Betreiber des Forums nur durch den „Universitätsstatus“ vor der Durchführung von Gerichtsentscheidungen geschützt werden, dann haben sie der Internetfreiheit einen Bärendienst erwiesen. Irgendwie muss das Recht doch durchgesetzt werden, und sei es durch Internet-Sperren oder Liquidation des Universitätsstatus.

    So ähnlich wie die Kämpfer für „das unberührbare Recht auf Privatsphäre“ bei Ucrony.net. Hätten die auf Anforderung einfach die Adresse aus dem Beitrag genommen, wäre der ganze Aufwand unterblieben. Was die Veröffentlichung von privaten Wohnadressen mit Meinungsfreiheit zu tun hat, ist mir ebenfalls nicht richtig klar geworden.

    Nicht wenige dieser „Kämpfer für die Freiheit“ glauben über dem Recht zu stehen und richten damit mehr Schaden als Nutzen für die Sache an.

    1. Glücklicherweise spielen diese Fragen primär keine Rolle. Dafür gibt es Gerichte und Behörden, die das überprüfen und bei Verurteilung auf Forderungen durchsetzen können.

      Ich weiss ja nicht wie Sie das sehen (naja, Ihre Art der Argumentation lässt es mich befürchten), aber wenn wir Sanktionen aufgrund von Vermutungen privat durchsetzen ohne jede rechtliche Instanz, dann haben wir hier amerikanische oder anders gesagt rechtsfreie Verhältnisse.

      Was Ihren Kommentar mehr als ironisch macht, denn mit Ihrer Aussage scheinen Sie ja selbst zu fordern, dass man im Zweifel besser über dem Recht steht und sich gegen unliebsame Andere durchsetzt.

      1. Haben Sie die Tatsache übersehen, dass bei den Servern auf dem Universitätskampus das Recht eben nicht durchsetzbar ist? Das ist doch der Grund wieso die dort aufgestellt werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.