Phänomen der „ausländischen Kämpfer“ soll Abbau der EU-Freizügigkeit und „gezielte Grenzkontrollen“ begründen

Nach Ausbau der heimlichen Fahndung sollen an den Binnengrenzen wieder "gezielte Grenzkontrollen" Einzug halten.
Nach Ausbau der heimlichen Fahndung sollen an den Binnengrenzen wieder „gezielte Grenzkontrollen“ Einzug halten.

Im Schengener Grenzkodex war die Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen innerhalb der Europäischen Union festgeschrieben worden. Unabhängig von der Herkunft der Reisenden darf dort nicht mehr kontrolliert werden. Die Schengen-Mitgliedstaaten sind seitdem verpflichtet, alle Verkehrshindernisse an den Binnengrenzen zu beseitigen. Nur im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit dürfen die Kontrollen temporär wieder eingeführt werden.

Diese gern als „größter Errungenschaft“ der EU bezeichnete Freizügigkeit ist zwar bereits durch rassistische Kontrollen in Eisenbahnzügen in Grenznähe eingeschränkt: Nach gleichlautenden Berichten von Bügerrechtsgruppen wie Betroffenen werden fast ausschließlich Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe angesprochen und kontrolliert.

Auf dem jüngsten Treffen der EU-Innenminister in Mailand wurde nun verabredet wie die Freiheit des unkontrollierten Grenzübertritts weiter ausgehöhlt werden kann. Damit wollen die Innenminister der EU-Mitgliedstaaten sogenannte „ausländische Kämpfer“ aufspüren. Gemeint sind islamistisch motivierte, militante Aktivisten die in der EU ihren Wohnsitz haben oder sogar die Staatsangehörigkeit ihrer Mitgliedstaaten besitzen. In den letzten Jahren reisen Hunderte in Länder wie Syrien, Irak, Somalia oder Pakistan aus, um sich dort kämpfenden Gruppen anzuschließen.

Danach könnten sie – so die Sorge der Innenminister – gut ausgebildet und kampferprobt in die EU zurückkehren, um Anschläge zu begehen. Als Beweis gilt der französische Staatsangehörige Mehdi Nemmouche, der im Mai in Brüssel vier Menschen erschoss und angeblich nur durch Zufall gefast worden war. Im März war er bereits beim Grenzübertritt durch die deutsche Bundespolizei mittels heimlicher Fahndung festgestellt worden.

Aus und Wiedereinreise von „potentiellen Terrorverdächtigen“ verhindern?

Seitdem schießen Vorschläge ins Kraut wie das Phänomen am Besten bekämpft werden könnte. Wahrnehmbar sind vor allem Law and Order-PolitikerInnen: Die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) schlägt vor, das Recht auf Freizügigkeit weiter einzuschränken und „schon im Vorfeld eine Ausreise von potentiellen Terrorverdächtigen [zu] verhindern“. Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) fordert, dass „diese Leute“ nicht wieder nach Deutschland einreisen dürfen. Beifall kommt vom Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Bundestagsfraktion Thomas Strobl. Zur Erinnerung: Es geht um Personen mit deutscher Aufenthaltserlaubnis oder sogar deutschem Pass.

Auf dem EU-Innenministertreffen wurde nun ein „Aktionsplan gegen die Bedrohung durch zurückkehrende Dschihadisten“ verabredet. Laut Medienberichten nehmen aber nicht alle EU-Mitgliedstaaten daran teil, sondern lediglich Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Italien, Schweden, Spanien, Dänemark und die Niederlande. Der deutsche Innenminister kündigte bei der Gelegenheit gleich an, dass mögliche „Rechtsänderungen“ zu erwarten sind. Benannt hatte er sie nicht. In einer nun vorliegenden Antwort auf eine parlamentarische Nachfrage wird die Bundesregierung erstmals konkret.

Dass die heimliche Fahndung mithilfe des Schengener Informationssystems (SIS) besorgniserregend zunimmt, hatten wir bereits berichtet. Die Maßnahmen sollen nun noch weiter ausgebaut werden, schreibt das Bundesinnenministerium. Außerdem sollen „gezielte Grenzkontrollen“ vorgenommen werden. Welche Personen davon betroffen sein sollen, ist unklar, ebenso ob es sich vornehmlich um Maßnahmen an Flughäfen handeln soll. Die Ausweitung rassistischer Kontrollen dürfte aber in jedem Fall die Folge sein.

Mehr Verzahnung geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit

Informationen sollen „zum Zwecke einer gemeinsamen Analyse“ an Europol übersandt werden. Dort wurde eine eigene Datensammlung „Travellers“ eingerichtet. Informationen über „ausländische Kämpfer“ sollen aber auch zwischen den nationalen Behörden ausgetauscht werden. Gemeint ist die Verzahnung geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit. Auch die „praktische Zusammenarbeit“ soll ausgebaut werden. Welche Behörden hier gemeint sind, erschließt sich aus der Semantik der Antwort aber nicht. Schließlich dient das Phänomen der „ausländischen Kämpfer“ als Vehikel zum Aufbau eines Passagierdatenregisters, das eigentlich schon längst in der Schublade verschwunden war.

Die aufgezählten Maßnahmen gelten zunächst für die einzelnen, nationalen Behörden. Die frisch gebackene italienische Ratspräsidentschaft will aber mit der EU-Kommissarin für Inneres die „Ausweitung dieses Ansatzes auf die gesamte EU“ besorgen. Erst dann soll der Bedarf für „Rechtsänderungen“ geprüft werden. Die faktische Abschaffung der Freizügigkeit könnte dann einen „Änderungsbedarf am Schengener Grenzkodex oder nachgeordneter Vorschriften“ notwendig machen.

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2 Ergänzungen

  1. Ja, alles wieder in kleine eingezäunte Nationalstaaten zurückdrängen. Die Uhr zurückdrehen.

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