Interessantes und Kurioses zur parlamentarischen Kontrolle von Geheimdiensten – Rote Hilfe bremst Abhörmaßnahmen aus

Ein Kampagnenbild der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe - Angesichts einer Geheimdienstposse in Sachsen-Anhalt mit ganz neuer Bedeutung.
Ein Kampagnenbild der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe – Angesichts einer Geheimdienstposse in Sachsen-Anhalt mit ganz neuer Bedeutung.

Vor zwei Wochen hatte die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage erneut zu den Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes (BND) Stellung nehmen müssen. Die Fragesteller erkundigten sich nach der „strategischen Rasterfahndung“ des BND im Zeitraum von 2002 bis 2012. Gemeint ist die „strategische Fernmeldeaufklärung“, mit der der Auslandsnachrichtendienst laut dem G 10-Gesetz 20% aller Telekommunikationsverkehre überwachen darf.

Zum eigentlichen Procedere des Abhörens ist Einiges unklar. So existieren beispielsweise unterschiedliche Annahmen, ob die Messlatte von 20% vor oder nach dem Ausfiltern von Spam angelegt wird. Zuletzt wurde auch in mehreren Medien berichtet, die Bundesregierung habe auf Drängen der britischen Regierung das G 10-Gesetz anders ausgelegt. Gemutmaßt wurde, dass der BND Internetverkehre fortan stets als Auslandskommunikation kategorisiert, für dessen Abhören er dann qua Auftrag zuständig ist. Die Bundesregierung dementiert das. In der Anfrage wird auch dem Verdacht nachgegangen, dass westliche Geheimdienste untereinander einen „Tauschring“ betreiben würden. Weil sie selbst nicht auf Inlandskommunikation zugreifen dürfen, würden die abgehörten Gespräche bei ausländischen Partnern bestellt: Denn dort firmieren sie als „Auslandskommunikation“.

Im Vorwort führen die Fragesteller die Entwicklung des G 10-Gesetzes seit 1999 – also noch vor den Anschlägen des 11. September 2001 – aus. Demnach seien Erweiterungen hinzugefügt worden, „die über den Regelungsauftrag des Gerichts hinausgingen“. Hierzu habe die Ausweitung der „Überwachungsverfügbarkeit“ für die von und nach Deutschland geführte internationale Telekommunikation auf 20 % gehört. Begründet wurde dies mit der Paketvermittlung eines Telefaxes, das über einen Lichtwellenleiter, über Satellit und über Koaxialkabel geroutet werde. Weil die Pakete erst kurz vor Erreichen der EmpfängerInnen zusammengesetzt würden, sei die „strategische Fernmeldekontrolle“ ohne das Aufspüren der einzelnen Pakete „sinnlos und unverwertbar“.

Überwachung des „offenen Himmels“?

Laut den Verfassern wird bei dem Fax-Beispiel unterschlagen, dass „ein Abgreifen aller Pakete an der richtigen Stelle, etwa dem Kern- oder Backbonenetz bzw. den Internetaustauschknoten (CIX), möglich ist“. Neben dieser, den Bedingungen des G 10-Gesetzes unterworfenen, strategischen Fernmeldeaufklärung betreibe der BND auch eine Überwachung jenes Teils der Telekommunikation, die im sogenannten „offenen Himmel“ stattfindet. Gemeint sind Telekommunikationsverkehre, die „ihren Ausgangs- und Zielpunkt in zwei ausländischen Staaten oder innerhalb eines ausländischen Staates haben“.

Viel Neues birgt die Antwort leider nicht: Viele Angaben fanden sich bereits in früheren Anfragen, etwa zum Programm X-Keyscore beim BND, das dieser zwar seit 2007 einsetze, aber nicht zur „strategischen Fernmeldeaufklärung“. Auch seien keine Daten aus G 10-Maßnahmen mit ausländischen Diensten getauscht worden.

Trauen kann man dem nicht: Denn es existieren diverse Kategorien für Datensätze beim BND. Wird beispielsweise eine Mitteilung auf Basis einer G 10-Maßnahme erstellt, ist eine Weitergabe dieser „Erkenntnisse“ anders zu bewerten als die Weitergabe der Rohdaten. Letztere habe es laut der Antwort nicht gegeben. Auffällig ist aber, dass Abhörmaßnahmen des BND teilweise wegen „Gefahr im Verzug“ angeordnet werden, die G 10-Kommission zur Überprüfung mithin erst nachträglich konsultiert wurde. Während die Zahl 2002 noch Null Prozent betrug, stieg sie 2007 auf ganze 45 %.

Außerdem gibt es eine Reihe interessanter Zahlen zu „weltweit anfallenden Telekommunikationsverkehren“: Laut Erhebungen der Bundesnetzagentur habe es 2012 ein „weltweites Gesprächsaufkommen von etwa 10 Billionen Minuten“ gegeben. Hiervon entfielen rund 17 Milliarden auf Fest- und Mobilfunkminuten aus Deutschland (13,4 Milliarden von Festnetzanschlüssen, 3,3 Milliarden von Mobiltelefonen). Als „rein innerdeutsche Gespräche“ in Fest- und Mobilfunknetzen entfielen 2012 insgesamt rund 264 Milliarden Minuten. Die Bundesnetzagentur steuert Zahlen zum Datenverkehr bei. Demnach seien 2012 über Festnetzanschlüsse 7 Milliarden Gigabyte geströmt, das mobile Datenvolumen betrug rund 155 Millionen Gigabyte. Für 2013 wird ein Anstieg auf 230 Millionen Gigabyte angenommen. Zu Gespräche über IP-basierte Netze (VoIP) ist für Deutschland bezüglich 2012 die rede von rund 45 Milliarden Minuten.

Auf lange Zeit keine geheimdienstlichen Abhörmaßnahmen in Sachsen-Anhalt?

Kurioses zu Geheimdiensten und ihrer Kontrolle ist derzeit aus Sachsen-Anhalt zu hören: Die dortige G-10-Kommission kann derzeit keine Überwachungsmaßnahmen nach dem G 10-Gesetz beschließen. Das bedeutet, dass allenfalls Maßnahmen wegen „Gefahr im Verzug“ durchgeführt werden dürfen. Dies berichtet die Mitteldeutsche Zeitung in ihrer gestrigen Ausgabe unter dem Titel „Die ganz geheime Panne“. Und das ging so:

An dem Tag, an dem über die neue Besetzung der Kontrollkommission entschieden werden sollte, fehlte der Vertreter der SPD. Grüne und Linke stimmten für einen Rechtsanwalt als Vertreter der Linken. Weil nur die CDU dagegen war, musste die Wahl gelten. Allerdings erhob der Inlandsgeheimdienst des Landes eilig Einspruch: Den „anwesenden Vertretern“ hätten nach dem Bericht der Zeitung die „Münder offen“ gestanden. Der Grund: Der Anwalt ist Mitglied der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe. Dies kam im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung heraus, die anscheinend lange zuvor begonnen wurde.

Die Mitteldeutsche Zeitung berichtet zum Sicherheitsüberprüfungsgesetz von Sachsen-Anhalt, dass es aus drei „Überprüfungskategorien“ besteht. „Ü 3“ sei die schärfste, wobei nicht nur der zu Überprüfende, sondern vom Landesverfassungsschutz auch „sein Lebensumfeld, Angehörige und Bekannte genauestens unter die Lupe genommen“ würden. Das Procedere dauere mehrere Monate und koste pro Person 10.000 Euro. Wer anschließend als „Ü-3-tauglich“ befunden wird, darf streng geheime Verschlusssachen einsehen oder eben Mitglied der G 10-Kommission werden.

Der gesamte Vorgang ist außerordentlich Popcorn-tauglich. Denn den Anwalt nachträglich wieder aus der Kommission zu entfernen, ist politisch knifflig. Die Fraktion der Linken müsste zunächst ein neues Mitglied vorschlagen. Dass sie daran Interesse hat, bezweifelt auch die Mitteldeutsche Zeitung. Zitiert wird der Fraktionschef, der am am Montag erklärte: „Ich weiß nichts davon, dass irgendjemand eine Entscheidung der PKK rückgängig machen will“. Der Anwalt selbst zeigte sich „überrascht“ über den Vorgang: „Mit mir hat noch niemand gesprochen“.

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3 Ergänzungen

  1. F: Gab es Überwachungen nach den G 10-Gesetz.
    A: Nein

    Kann es auch nicht gegeben haben, denn es gibt kein G 10-Gesetz. Wenn man nicht die richtigen Fragen stellt, bekommt man möglicherweise die zur falsch gestellten Frage die richtige Antowrt. Was sind dann solche Anfragen wert?

  2. Ja pfft. Ehemalige RAF-Anwälte waren Bundeskanzler und Innenminister. Sollen sich mal nicht nass machen die Kollegen in Sachsen-Anhalt.

  3. Wär ja auch noch schöner, wenn die Geheimdienste selbst festlegen dürften, wer für ihre parlamentarische Aufsicht zuständig ist.

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