EuGH: Vergessen im Netz muss möglich sein und Google muss sich an EU-Datenschutzrecht halten

Der Europäische Gerichtshof hat heute in Luxemburg entschieden, dass Google sich an europäisches Datenschutzrecht zu halten habe und verpflichtet werden kann, Links und Snippets aus seinem Webindex zu entfernen. Hier ist die Pressemitteilung zum Urteil: Der Betreiber einer Internetsuchmaschine ist bei personenbezogenen Daten, die auf von Dritten veröffentlichten Internetseiten erscheinen, für die von ihm vorgenommene Verarbeitung verantwortlich. (PDF)

Hintergrund ist der Fall des spanischen Staatsbürgers Mario Costeja González, der 2010 dagegen vorging, dass die Berichterstattung einer Tageszeitung immer noch bei Google sichtbar war, wonach er insolvent sei. Allerdings sei das Vergangenenheit und verdiene seiner Ansicht nach keine Erwähnung mehr (prominent bei Google). Bezüglich der Tageszeitung entschied ein spanisches Gericht, dass das Rechtens sei, aber bezüglich Google wurde die Entscheidung zur Verantwortung dem EuGH vorgelegt. Der hat heute sein Urteil verkündet.

Aus der PM:

Der Gerichtshof stuft den Suchmaschinenbetreiber, da dieser über die Zwecke und Mittel einer solchen Verarbeitung entscheidet, als den im Sinne der Richtlinie für die Verarbeitung „Verantwortlichen“ ein. Da die Tätigkeit einer Suchmaschine zusätzlich zu der der Herausgeber von Websites erfolgt und die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten durch sie erheblich beeinträchtigt werden können, hat der Suchmaschinenbetreiber in seinem Verantwortungsbereich im Rahmen seiner Befugnisse und Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass seine Tätigkeit den Anforderungen der Richtlinie entspricht. Nur so können die in der Richtlinie vorgesehenen Garantien ihre volle Wirksamkeit entfalten und ein wirksamer und umfassender Schutz der betroffenen Personen, insbesondere ihres Privatlebens, tatsächlich verwirklicht werden.

Auch schön, dass es mal ein EuGH-Urteil gibt, was einen Zusammenhang zwischen Verantwortung und Werbeanzeigen-Verkaufsniederlassung bringt. Das könnte weitere Auswirkungen auf andere Player haben, z.B. Facebook und Google sitzen mit Werbeanzeigen-Verkaufsniederlassungen in Hamburg, fühlen sich aber nicht für Deutschland verantwortlich.

Zum räumlichen Anwendungsbereich der Richtlinie führt der Gerichtshof aus, dass es sich bei Google Spain um eine Tochtergesellschaft von Google Inc. in Spanien und somit eine „Niederlassung“ im Sinne der Richtlinie handelt. Das Argument, die von Google Search vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten werde nicht im Rahmen der Tätigkeiten dieser Niederlassung in Spanien ausgeführt, weist er mit folgender Begründung zurück: Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Betrieb einer Suchmaschine durch ein Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat, das aber in einem Mitgliedstaat eine Niederlassung besitzt, wird die Verarbeitung im Sinne der Richtlinie „im Rahmen der Tätigkeiten“ dieser Niederlassung ausgeführt, wenn diese die Aufgabe hat, in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Förderung des Verkaufs der Werbeflächen der Suchmaschine, mit denen deren Dienstleistung rentabel gemacht werden soll, und diesen Verkauf selbst zu sorgen.

Wir sind auf tiefere Analysen der Urteils und seiner Auswirkungen gespannt.

Update: Wir wundern uns ja gerade, wieviele (intelligente) Menschen hier eine (in ihren Augen) falsche Einschätzung zum Urteil finden. Wir haben aus der EuGH-PM zitiert. Die einzige Einschätzung von uns kommt zum Haftungsstandort. Das finden wir tatsächlich gut und interessant. Wir haben sonst noch keine Einschätzung abgegeben, weil das Urteil mehr als komplex ist und viele Schnellurteile gestern eher als Glaubensbekenntnis kamen. Wir haben immer noch keine abschließende Meinung, wie wir das finden, versuchen abe rim Laufe des Tages mal die unterschiedlichen Sichtweisen zusammen zu fassen.

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14 Ergänzungen

  1. Sehr problematisch. Müssen nun auch (nur ein Beispiel) alle Suchmaschineneinträge zur Bar-Spende über 100000 DM von Waffenhändler Schreiber an Wolfgang Schäuble gelöscht werden?

  2. Als nächstes werden wohl noch im Mai die ersten Politiker hervorkriechen, die Google auffordern, auch Links zu Webseiten mit einer „falschen“ Meinung zu löschen.

    Dieses Urteil war absehbar, ist gleichzeitig aber auch die geööfnete Tür zu noch mehr Zensur.

  3. Wie soll das eigentlich praktisch ablaufen? Muss nun jeder Suchmaschinenbetreiber (von Google bis kleinen Special Interest Suchmaschinen) rechtssicher einen Index von Personen aufbauen die sich nicht finden lassen wollen?
    Sozusagen ein Index der Peinlichkeiten wo man kondensiert die Kellerleichen findet? Was ist mit öffentlich zugänglichen, dazu zähle ich auch kostenpflichtige, Zeitungsarchiven? Denn damit muss ja abgeglichen werden wenn das Ergebnis nicht angezeigt bzw. in der Datenbank gespeichert werden darf. Natürlich mit vollen Zugriff für entsprechende Dienste wie NSA & Co?
    Das wird nach hinten los gehen wie das Leistungsschutzrecht.

  4. ich bin sehr glücklich über das Urteil. Vielleicht hat es eine Menge erst mal negativer Auswirkungen auf die Benutzbarkeit des Netzes, aber das deutliche, kräftige Signal, das Bürgerrechte ernst genommen werden, erleichtert mich sehr. Google wirds schon überleben, und man wird grob gesagt immer noch eine Menge finden. Wenn es als Zensurinstrument genutzt werden sollte, werden sich auch da Wege finden lassen. Wenn es die Entwicklung des Netzes verlangsamen sollte- auch gut, die Gesellschaft kommt ja eh nicht hinterher.

    Aber man sollte immer das EUGH unterstützen und Anerkennung zeigen, wenn es Bürger- und Freiheitsrechte stärkt.

    1. Ist es nicht auch ein Bürgerrecht, relevante Informationen zu bekommen? Und wer entscheidet dann über die Relevanz? Einzelne Anwälte?

    2. Bürgerrechte und das Recht auf Informationsfreiheit sind nicht gleich.

      Die Information ist weiterhin auffindbar, nur eben nicht über Google. Google ist nur der Vermittler.

      Das wäre so, als würde man Fluglinien dafür verantwortlich machen Personen nach Pakistan zu fliegen, die sich dort in Terrorcamps ausbilden lassen wollen (mit Absicht stark übertriebenes Beispiel).

      Der Kläger hätte gegen die Tageszeitung vorgehen soll, nicht gegen Google!

  5. Ihr habt also tatsächlich den Namen von Señor Mario Costeja González genannt und kolportiert, dass der insolvent gewesen sei. Ganz schön mutig … ;-)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.