EU will grenzüberschreitende Anordnung von Telekommunikationsüberwachung und Trojanern verpflichtend regeln

Gerade werden in Brüssel weitgehende Regelwerke der polizeilichen Zusammenarbeit und des Datenschutzes eingefädelt. Recht bekannt und hier viel berichtet sind der Richtlinienentwurf zur „Datenschutz-Grundverordnung“ sowie ein Richtlinienentwurf zum „Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr“. Bei letzterer soll es darum gehen, die „Grundrechte und Grundfreiheiten natürlicher Personen“ zu schützen, aber gleichzeitig den stetig zunehmenden internationalen Datentausch unter Polizeibehörden auf eine bessere Grundlage zu stellen („ein hohes Maß an öffentlicher Sicherheit zu gewährleisten“).

Eher unbeachtet verhandeln die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union aber auch über die zukünftige Amtshilfe bei Ermittlungsverfahren. Zur Debatte steht eine Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA). Das anvisierte Abkommen geht auf eine Initiative der Regierungen Belgiens, Bulgariens, Estland, Spaniens, Österreich, Sloweniens und Schwedens zurück. Im neuen Abkommen soll der als typisches Kennzeichen der Europäischen Union geltende „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung“ auch in in Zivil- und Strafsachen umgesetzt werden. Ein entsprechender Entwurf wurde bereits letztes Jahr im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, mittlerweile liegt eine überarbeitete Fassung vor. In einem weiteren Vermerk wird der Hintergrund der Initiative erklärt und Maßnahmen abgewogen.

Die Europäische Ermittlungsanordnung soll festlegen, unter welchen Bedingungen Polizeien eines Mitgliedstaats („Anordnungsstaat“) Zwangsmaßnahmen in einem anderen Staat verlangen können. Ebenso wird geregelt, aus welchen Gründen die Maßnahme vom „Vollstreckungsstaat“ zurückgewiesen werden darf; nämlich nur dann, wenn die Maßnahme auch im innerstaatlichen Kontext rechtswidrig wäre. Unklar ist, ob lediglich die Anklage, also eine Staatsanwaltschaft die Ermittlungen anordnen darf, oder ob auch VerteidigerInnen hierzu berechtigt wären, womit die Verteidigungsrechte von Beschuldigten erweitert würden. Erfasst werden nach gegenwärtigem Stand:

  • Zeitweilige Überstellung von inhaftierten Personen an den Anordnungsstaat zu Ermittlungszwecken
  • Zeitweilige Überstellung von inhaftierten Personen an den Vollstreckungsstaat zu Ermittlungszwecken
  • Vernehmung per Videokonferenz
  • Vernehmung per Telefonkonferenz
  • Informationen über Bankkonten
  • Informationen über Bankgeschäfte
  • Überwachung von Bankgeschäften
  • Kontrollierte Lieferungen
  • Ermittlungsmaßnahmen zur Erhebung von Beweismitteln ich Echtzeit, fortlaufend oder über einen bestimmten Zeitraum

„Kontrollierte Lieferungen“ meint vorgetäuschte Drogendeals, die dann grenzüberschreitend observiert werden. Mit „Informationen über Bankgeschäfte“ sind alle Transaktionen gemeint, die in einem bestimmten Zeitraum von einem Konto getätigt wurden. Diese „Finanzermittlungen“ spielen eine immer größere Rolle auch in allgemeinen Ermittlungen, also nicht nur bei Fällen von Geldwäsche oder Korruption.

Keine direkte Übertragung an den Anordnungsstaat

Weitaus delikater und damit womöglich im Widerspruch zur Datenschutz-Grundverordnung stehen die „Ermittlungsmaßnahmen zur Erhebung von Beweismitteln ich Echtzeit, fortlaufend oder über einen bestimmten Zeitraum“. Verklausuliert wird hier die klassische Telekommunikationsüberwachung definiert, also das Abhören von Telefonen oder des Internetverkehrs. Zwar nicht direkt angesprochen, doch qua Definition auch enthalten sind Trojaner: Ein Mitgliedstaat kann auf Anordnung einer anderen Regierung verpflichtet werden, staatliche Schadsoftware zur Ausforschung der Telekommunikation einzusetzen.

Nach gegenwärtigem Stand soll die Überwachung zwar „in Echtzeit“ erfolgen, „einige spezifische Formen der Überwachung der Telekommunikation“ aber ausgenommen werden:

Die Europäische Ermittlungsanordnung hat übergreifenden Charakter und gilt daher für fast alle Ermittlungsmaßnahmen. Einige Maßnahmen erfordern jedoch spezifische Vorschriften und werden daher besser getrennt geregelt, wie die Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und die Beweiserhebung im Rahmen von gemeinsamen Ermittlungsgruppen sowie einige spezifische Formen der Überwachung der Telekommunikation (Überwachung mit unmittelbarer Weiterleitung und Überwachung des satellitengestützten Telekommunikationsverkehrs). Auf diese Arten von Maßnahmen sollten weiterhin die bestehenden Instrumente Anwendung finden.

Gemeint ist das Verbot einer direkten Ausleitung abgehörter Gespräche an den Anordnungsstaat. Die ausspionierte Kommunikation verbliebe also zunächst bei der durchführenden Polizei.
Diffizil wird die Angelegenheit, wenn sich die abgehörte Person weder im Anordnungs- noch im Vollstreckungsstaat befindet, etwa im Urlaub. Dann käme ein Provider in einem weiteren Land ins Spiel. Um die Praxis der Mitgliedstaaten hierzu abzufragen, startete die damalige EU-Präsidentschaft eine Umfrage, bei der sich Deutschland allerdings enthielt.

Bereits 2008 hatte es den Versuch gegeben, mit einer Europäischen Beweisanordnung (EBA) die grenzüberschreitende Amtshilfe weiter zu standardisieren. Das Abkommen wurde indes kritisiert, da es weite Teile der justiziellen Zusammenarbeit ausgespart hatte: Etwa die Durchführung körperlicher Untersuchungen oder die Entnahme von biometrischen Daten, die Überwachung von Kontobewegungen, Untersuchungen von Schriftstücken oder die Übermittlung von Vorratsdaten. Die Europäische Ermittlungsanordnung wird nun als eine Art „Reparatur“ auf die Schiene gebracht, um die Herausgabe von Verkehrs- und Standortdaten aus der Vorratsdatenspeicherung (sogenannte „historische Daten“) wie auch die Echtzeit-Überwachung zu regeln. Allerdings ist strittig, ob nicht eine kleine Firewall eingebaut werden soll. Im aktuellen Entwurf liest sich das so:

Ermittlungsmaßnahmen, die die Erhebung von Beweismitteln in Echtzeit, fortlaufend oder über einen bestimmten Zeitraum beinhalten, werden von der Europäischen Ermittlungsanordnung abgedeckt, jedoch sollte der Vollstreckungsbehörde aufgrund der unterschiedlichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bei diesen Maßnahmen Flexibilität eingeräumt werden.

Kritik durch Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder

Ähnliche Bedenken haben einige EU-Mitgliedstaaten beim Einsatz von Polizeispitzeln, der ebenfalls verflichtend angeordnet werden soll. Deutschland und Großbritannien, die beiden Pioniere im Austausch verdeckter ErmittlerInnen, haben hierzu eine erfolgreiche Beschwerde eingelegt. Begründet wird der Vorstoß damit, dass die verdeckten Ermittlungen einen längeren Vorlauf bräuchten und eine „vorsichtige Einschätzung jedes Falls“ benötigten. Daher dürften die ersuchten Behörden nicht wie bei anderen polizeiliche Maßnahmen zu deren Umsetzung verpflichtet werden. Stattdessen müssten begleitende Observationen und Überwachung der Telekommunikation eingefädelt werden. Die Bundesregierung betont zudem die „Komplexität, Sensibilität und Eingriffstiefe“ verdeckter Ermittlungen, weshalb eine pauschale Verpflichtung zur Zulassung ausländischer Spitzel nicht befürwortet wird. Gefordert stattdessen wird eine „Abwägungsentscheidung“ und die Möglichkeit jederzeitiger Ablehnung von Ersuchen.

Vor einem Jahr hatte sich die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder mit der Europäischen Ermittlungsanordnung befasst und gefordert, dass Grundrechtsgarantien nicht ausgehebelt werden dürfen. Die DatenschützerInnen fordern ihre Einbettung in die „Datenschutz-Grundverordnung“ sowie die eingangs erwähnte Richtlinie zu Grundrechten beim Datentausch von Polizeibehörden:

Sie [die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen] kann dazu führen, dass der verfahrensrechtliche Schutzstandard bei strafprozessualen Maßnahmen europaweit auf niedrigstes Niveau abgesenkt wird. So kann sie etwa zur Folge haben, dass ein Mitgliedstaat für einen anderen Daten oder Beweismittel erhebt und diesem übermittelt, obwohl die Erhebung nach eigenem Recht nicht zulässig wäre.

Der Richtlinienentwurf verfolgt vorrangig das Ziel einer weitgehenden gegenseitigen Anerkennung von Eingriffsentscheidungen der Strafverfolgungsbehörden, ohne dass einheitliche Verfahrensgarantien geschaffen werden. Dies wirft Probleme auf, wenn der Anordnungsstaat niedrigere Schutzstandards aufweist als der Vollstreckungsstaat. Die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten, eine entsprechende Anordnung eines anderen Mitgliedstaates zurückzuweisen, sind nicht immer ausreichend. Eingriffsschwellen, Zweckbindungs- und Verfahrensregelungen müssen gewährleisten, dass die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen gewahrt werden.

Zur Telekommunikationsüberwachung wird übrigens über die Aufteilung der Kosten gestritten. Dabei geht es nicht nur um jene Kosten, die den Providern entstehen und dann bei den Polizeien geltend gemacht werden. Der Verkehr soll vor der Übermittlung an die anordnende Polizei im Falle der Nutzung von Kryptografie – soweit möglich – entschlüsselt werden. Offen ist auch, wer die Übersetzung abgehörter Kommunikation besorgen und bezahlen muss. Angeregt wird, die Beteiligten mögen hierfür vorher eine Vereinbarung treffen.

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