Das Pentagon lässt deutsche Hochschulen angeblich zum Walschutz forschen – mit einem Flugabwehrsystem von Rheinmetall

Dual Use-Projekte wie GMES können den Klimawandel ebenso beobachten wie "Terrorismus"
Dual Use-Projekte wie GMES können den Klimawandel ebenso beobachten wie „Terrorismus“

Wieder gab es eine Enthüllung zu Aktivitäten von US-Militärs in Deutschland: Im Rahmen ihres Buch- und Filmprojekts „Geheimer Krieg“ trugen der Norddeutsche Rundfunk und die Süddeutsche Zeitung Details über Forschungsprojekte des US-Verteidigungsministeriums an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland zusammen. Demnach erhielten mindestens 22 Einrichtungen seit dem Jahr 2000 rund zehn Millionen Dollar aus dem Haushalt des Pentagon. Vertragspartner sind das US-Verteidigungsministerium und dessen angegliederte Behörden oder Unterabteilungen. Unter anderem habe die US-Armee an der Universität des Saarlandes die mathematische Verarbeitung von Sprachstrukturen erforschen lassen. Ähnliche Berichte hatte es bereits vor über zwei Monaten gegeben: Das ARD-Nachrichtenmagazin FAKT recherchierte, wie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) an Sprachtechnologien für den Militärgeheimdienst NSA geforscht wird.

Laut „Geheimer Krieg“ erhielt die Münchener Ludwig-Maximilians-Universität Geld zur Verbesserung militärischer Sprengstoffe, ein Fraunhofer-Institut habe an Panzerglas und an Sprengköpfen geforscht. An der Universität Marburg sei untersucht worden, wie sich Orientierungssysteme für Drohnen und „präzisionsgelenkte Munition“ verbessern ließen. In Frankfurt am Main hat die demnach US-Luftwaffe eine Untersuchung von Erdbeben im Iran in Auftrag gegeben. Unklar ist, auf welche Weise dies geschehen sein soll, vermutlich handelte es sich aber um satellitengestützte Bildverfahren. Auch an der Universität Bremen sei laut dem NDR „ein Satellitenforschungsprojekt von der amerikanischen Luftwaffe“ finanziert worden.

Navigation von Wüstenheuschrecken und Walschutz

Wie zu erwarten hagelt es seit heute Morgen Dementis. Der Rektor der RWTH Aachen bestätigte die Berichte nicht, ließ aber mitteilen es werde nicht wie von Medien berichtet an einem „Gleichgewichtssystem für Schiffe“ geforscht. Eine hessische Zeitung meldete, in Marburg sei an Orientierungssystemen von Wüstenheuschrecken gearbeitet worden, das Pentagon habe sich davon „Erkenntnisse für die Orientierung der unbemannten Flugkörper, der so genannten Drohnen“ erhofft. Offizieller Partner sei ein in London ansässiges European Office of Aerospace Research & Development, offensichtlich ein Ableger eines gleichnamigen US-Instituts. Bei den Forschungen an der Philipps-Universität handele es sich laut der Zeitung „mit ziemlicher Sicherheit um einen Einzelfall“. Das kann sogar stimmen, denn selbst die vom Projekt „Geheimer Krieg“ angegebene Summe von 10 Millionen US-Dollar innerhalb von 13 Jahren ist doch recht niedrig. Das deutsche Verteidigungsministerium gibt für den gleichen Zweck nach eigenen Angaben rund 900 Millionen Euro jährlich aus.

Nicht alle deutschen Hochschulen haben einer sogenannten Zivilklausel zugestimmt. Meist auf öffentlichen oder studentischen Druck verpflichten sich die WissenschaftlerInnen darin, auf militärische Forschung zu verzichten. Jedoch ist die Frage, wie zwischen zivilen und militärischen Anwendungen unterschieden werden soll. Gerade im Bereich von Satellitentechnologie ist dies vielfach unmöglich: So werden Synthetic Apertur-Radarsysteme (SAR) gleichermaßen benutzt, um das Schmelzen der Polkappen zu dokumentieren oder das Feldlager von Osama Bin Laden aufzuspüren. Auch die Europäische Union verfolgt mit „Global Monitoring of Environment and Security“ (mittlerweile umbenannt in „Copernicus“) ein derartiges, mächtiges Forschungsvorhaben. Die Plattform entsteht parallel zum Satellitenpositionierungsdienst Galileo und soll die bereits existierende Satellitenaufklärung einiger Mitgliedsstaaten um ein eigenes EU-System erweitern. „Copernicus“ dient einer „Bekämpfung von Terrorismus und Klimawandel“.

Auch das Bremer Alfred Wegener Institut (AWI) forscht an derartigen Projekten, allerdings vorwiegend im Bereich der Polar- und Meeresforschung. Nach dem heutigen Bericht über Arbeiten für das Pentagon hatte das AWI heute ein FAQ veröffentlicht, wie es wohl zuvor an die Autoren von „Geheimer Krieg“ gegangen war. Demnach handele es sich bei den US-Aufträgen „ausdrücklich nicht um Rüstungsforschung“. Vielmehr sei es um ein Projekt zum Schutz der Wale vor Unterwasserlärm gegangen. In einem anderen Vorhaben seien arktisweite Messungen der Bodentemperaturen in Dauerfrostgebieten vorgenommen worden. Ähnliche Forschungen betreibt das AWI für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Europäische Union.

Ein grün angestrichenes U-Boot bleibt ein Kriegsgerät

Wirklich entkräften können die Statements der Hochschulen und Institute den Verdacht der Beihilfe zum globalen Krieg nicht. Denn ein grün angestrichenes U-Boot, das in der Nähe von Walen das laute Sonar abschaltet, bleibt immer noch ein Kriegsgerät. Überdies können die Forschungen vom Militär auch für strategische, geopolitische Interessen genutzt werden, wenn etwa Gebiete des Iran oder der Arktis kartiert werden.

Wie auch solche Forschungen durch Greenwashing in militärische Vorhaben einverleibt werden, hatten vor zwei Jahren Bremer WissenschaftlerInnen dokumentiert: Unter dem Motto „Ziviles Bremen“ veröffentlichten sie einen Aufruf gegen jede Militarisierung der Umweltforschung.

Besonders originell übrigens, dass das Alfred Wegener Institut aus Bremen zwar behauptet, mit einem „thermographischen Videostrom der Schiffsumgebung“ lediglich blasende Wale erkennen zu wollen. Im heute eilig ventilierten FAQ des Instituts findet sich jedoch kein Wort darüber, dass für den „Walschutz“ der US-Marine ein Flugabwehrsystem von dem deutschen Konzern Rheinmetall Defence genutzt wird.

Update: Das Alfred Wegener Institut weist berechtigterweise darauf hin, dass sich zwar auf der Startseite sowie in der Mitteilung vom 25.11. kein Hinweis auf das Flugabwehrsystem von Rheinmetall Defence findet. Im gleichzeitig veröffentlichten fünfseitigen Frage/ Antwort-Papier, das an den NDR gerichtet war und worauf wir als FAQ verlinken, widmet sich jedoch entgegen unserer Meldung ein kurzer Absatz zur militärischen Technologie und deren Weiterentwicklung. Sorry!

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3 Ergänzungen

    1. Praktisch alles ist „Dual Use“, wenn man kreativ genug ist. Dazu kommt, dass die Rüstungsindustrie (insbesondere die amerikanische) deutschen Unis nicht vorschreiben kann, was sie forschen – und das versuchen sie auch nicht. Es läuft typischerweise anders herum: Die Arbeitsgruppen an Unis haben ihre Projekte, und schauen dann nach jemandem, der es zahlt – und das ist jeder, der Interesse an den Ergebnissen haben könnte. Gerade DARPA sitzt auf einem ganzen Haufen Geld, und finanziert damit extrem weitgefächerte Projekte, darunter jede Menge Grundlagenforschung. Wenn Unis nichts mehr forschen dürften, was potentiell für Militärs interessant sein könnte, kann man sie gleich zu machen (außer vllt Philosophie und Kunstgeschichte). Und Geld vom Militär für ein Projekt ablehnen, das man auch so angefangen hätte ist einfach nur albern. So kommt das zumindest auch der Allgemeinheit zu Gute, und sie kaufen keine Waffen davon.

      1. Danke! Endlich mal ein Kommentar von einem, der sich auskennt. Und nicht der moralisierende Duennpfiff der betroffen tuenden Ahnungslosen.
        Whoever has done research with US military funding knows how relaxed and open all exchanges are.
        In the Uk all good research groups (in the sciences) work with various funding institutions, also with the Royal Navy, Airforce and Army. The UK does not plan any military aggression (any more..). So it‘ just defence.

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