OECD-Communiqué: Kein Wort zur Netzneutralität

Heute und morgen findet bekanntlich die OECD-Konferenz „The Internet-Economy: Generating Innovation and growth“statt. Anders als beim eG8 wurde dieses Mal die Zivilgesellschaft von vornherein eingeladen, und musste sich nicht auf die Konferenz protestieren.

Heute wurde nun den Beteiligten der Entwurf des Abschlusscommuniqués vorgelegt. Zu loben sind die Betonung eines offenen, dynamischen und interoperablen Internets und des multi-stakeholder-Ansatzes. Allerdings befinden sich darin auch einige nicht hinzunehmende Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte:

Providerhaftung soll ausgebaut werden

Der Entwurf der OECD-Empfehlungen beinhaltet strengere Providerhaftung zur Durchsetzung von geistigen Eigentumsrechten. Die zu erwartende Folge ist allgemein bekannt: Provider werden unter Druck gesetzt, präventiv zu Filtern, zu Löschen und zu Kontrollieren, um selbst einer möglichen Strafe zu entgehen.

Zensur-Verbot nur für „gesetzmäßige Inhalte“ – ohne Richtervorbehalt

Alle Garantien für freien Zugang beinhalten die Einschränkung auf „gesetzmäßige“ Inhalte. Die Tür für unsinnige Vorhaben wie Netzsperren und deren erhoffte Ausweitung gemäß den Interessen starker Lobbies bleibt also offen. Weiterhin wird Providern aufgrund ihrer Haftung die Verantwortung auferlegt, über Legalität und Illegalität zu richten. Das ist nicht nur rechtlich bedenklich: Es drängt die Provider automatisch zu einer restriktiven Auslegung um falsch-negative Interpretationen (und Strafen dafür) zu vermeiden. In dieser Frage muss am Richtervorbehalt festgehalten werden.

Kein Wort zur Netzneutralität

Obwohl sichergestellt werden soll, dass das Internet „offen und dynamisch“ bleibt, wird das zentrale Thema bei dieser Frage, die Netzneutralität, nicht behandelt.

Die Kritik der Zivilgesellschaft richtet sich zusammenfassend gegen die Abwägung geistiger Eigentumsrechte gegen bürgerliche Freiheitsrechte. Dies ist eine nicht hinzunehmende, unproportionale und ungerechte Abwägung. Bürgerliche Freiheiten sind eine Errungenschaft der Gesellschaft und müssen aus- statt abgebaut werden. Deshalb unterstützt der Verein Digitale Gesellschaft die Forderungen des Civil Society Information Society Advisory Council, einem Zusammenschluss aus über 80 Bürgerrechtsorganisationen und Einzelpersonen.

11 Ergänzungen

  1. Igitt, ich wusste gar nicht, dass die OSZE eine so beschissene Netzpolitik macht. Ist ja ekelhaft.

  2. Die OECD ist ohnehin ein Verein indem nur die Wirtschaftseliten und Politbosse etwas zu melden haben. Eben Jene Grauen alten Männer die nur an der Stärkung ihrer eigenen Macht und Reichtum interessiert sind.

    Wenn da Zivilgesellschaftliche Organisationen eingeladen werden dann doch wohl nur deshalb um die Massenmedien zu blenden und dem ganzen eine Pseudo Legitimität zu verpassen. Ob das Volk nun vor dem Gebäude demonstriert und ein par auserwählte Vertreter senden darf die ihr Statement abgeben macht doch keinen Unterschied. Ganz im Gegenteil, wenn die Bürgerrechtsorganisationen dahingehen dann helfen sie der Anti Demokratischen OECD dabei sich legitimität zu verschaffen welche diese Organisation in keinster weise besitzt. Denn keiner deren ihrer vertreter wurde vom Volk gewählt oder vertritt die Interessen der Weltbevölkerung.

    Die Zivilgesellschaftlichen Organisationen sollten sich von solchen undemokratischen Institutionen besser fernhalten oder generell zum Widerstand gegen diese aufrufen anstatt diese zu stützen indem sie an den Konferenzen Teilnehmen obwohl es nix bringt.

    Wir brauchen endlich echte Demokratie !!!

  3. Man könne ja mal berichten was gerade in Südafrika (Protection of Information bill) und Italien/Türkei (Netzsperren/filter) passiert …

  4. Es drängt die Provider automatisch zu einer restriktiven Auslegung um falsch-negative Interpretationen (und Strafen dafür) zu vermeiden.

    Sollte es dazu kommen (und wir hatten ja mal so einen Fall) wäre interessant was mit zivilrechtlichen Ansprüchen im Falle von falsch-positiven Bewertungen ist.
    Sollten die entsprechend anerkannt werden kommen die ISP in richtige Probleme, weil sie Übersteuerungen in beide Richtungen aus ökonomischen Überlegungen heraus tunlichst vermeiden müssen. Daraus ergäbe sich imho, 1. höhere Kosten (die wohl der Kunde tragen muss) vor allem aber auch 2. Keine Chance für kleine ISP, welches 5-Mann und 200-Kunden -Unternehmen kann denn ernsthaft effektiv das Netz kontrollieren?

    Gegenüber den eigenen Kunden kann man rechtsansprüche wahrscheinlich abwenden, AGB ändern wo drin steht, dass ggf. auch mal ein Dienst oder eine Adresse oder ein Port auch mal nicht durchgestellt wird und fertig.
    Gegenüber den Dienste-Anbietern kann man diese Ansprüche aber wohl kaum präventiv ablehnen.

    Und letztlich stellt sich imho sogar die Frage was eigentlich ein Provider ist… Ist ein öffentlicher Proxi ein Provider? Ich stelle eine Verbindung zu ihm her und er bringt mich ins Internet.
    Ist Freifunk ein Provider? Gleiches Szenario.
    TOR?
    Mein Arbeitgeber?
    Wie der jeweilige „Provider“ meine Verbindung herstellt ist ja – theoretisch – zweitrangig. Auch ISP haben ja ihre Verträge untereinander (welcher Traffic wie viel kostet etc.) und natürlich mit den großen Netzknoten, welche ja im Grunde deren Provider sind…
    Nahezu jeder Teilnehmer, der irgendwie auch Netzverkehr weiterleitet …

  5. vera, Ronny: Mir ist da eindeutig zu viel „wir“ dabei. Ich sehe es anders.

    Italien führt vermutlich bald Netzsperren ein, dabei sitzen die bei der OECD mit dabei. Andere Länder machen ähnliches — man zeigt mit dem Finger aus sie und macht in den OECD Ländern dann aber die gleichen Gesetze. Die Technik wird meist auch in de OECD Staaten entwickelt. Der Schwerpunkt der OECD liegt bei der Internet-*Ökonomie*Entwicklung — wie können Unternehmen sicher im Netz Geld verdienen, nicht in irgendwelchen bürgerlichen Freiheiten …

    Auch interessant:
    (DLF) Interview mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP:
    http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2011/06/30/dlf_20110630_0650_b97b166c.mp3

    1. Die Zensur iSv: ‚Wir wissen besser, was du lesen/sehen/hören solltest.‘ war noch nie abgeschafft.

  6. Mit einer Entscheidung, dass Inhalte zensiert werden sollen wird die OECD heute nicht durch die Türe kommen. Aber lasst uns in 10 Jahren nochmal schauen, oder in 20. Diese heute radikalen Vorstöße dienen lediglich dazu die Betroffenen zu kleinen Zugeständnissen zu zwingen. Nach dem Motto: „Eigentlich wollen wir ja, dass das Internet zensiert wird, aber weil ihr (die Betroffenen) dagegen seid lassen wir davon ab. Nachdem wir euch aber entgegengekommen sind, müsst ihr auch guten Willen zeigen und …“

    In 20 Jahren gibt es die Zensur dann so wie sie es heute wollen. Am Ende heißt es dann, dass wer dagegen ist ja etwas zu verbergen habe, was dann damit gleichgesetzt wird, dass es illegal ist. DIe Schweden haben hier im Bereich des bargeldlosen Zahlens schon solche Vorstöße gemacht. Um mittelfristig Bargeld abzuschaffen.

    Solange das mit gutem Maß eingesetzt werden würde, wäre auch nichts dagegen einzuwenden. ABER das Problem sind hier die Menschen, die das dann letztlich entscheiden. Die werden es letztlich dazu nutzen, ihre Macht auf Kosten anderer auszubauen. Die Menschheitsgeschichte hat das schon viele Male gezeigt. Das wird auch dieses Mal nicht anders sein… Leider.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.