Die CDU vergrault die Digital Natives

Im Provinzblog steht ein guter Text darüber, was das Verhalten der CDU im Netzsperren-Streit auslöst:

Die 70.000, die sich an der Petition gegen die Sperrung von Internetseiten beteiligt haben, werden Unisono als Unterstützer von Kinderpornografie gebrandmarkt. Den Politiker möchte ich sehen, der sich in einem voll besetzten Wahlkampfzelt vor die grölende Masse stellt und behauptet, alle im Zelt seien volltrunkene Spinner, mit dämlichen Kindern und hässlichen Visagen. Genau das machen einige Politiker aber im Moment mit den Internetnutzern, nur, dass sie es eben noch viel drastischer formulieren. Als Unterstützer von Kinderschändern gebrandmarkt zu werden, ist eigentlich nicht mehr zu übertreffen.

Dieses, gelinde gesagt, dümmlich-rüpelhafte Verhalten unserer Volksvertreter zeigt gerade einer ganzen Generation, die sich wie selbstverständlich durchs Netz bewegt und informiert, wie inkompetent und ignorant die politische Kaste eigentlich ist.

Welchen Schaden sie damit anrichten, ist wohl erst in Zukunft absehbar. Die Internetgemeinde fragt sich nämlich gerade, von was Politiker eigentlich Ahnung haben, wenn sie selbst so simple Sachverhalte, wie die wirkungslose Sperrung von Kinderpornoseiten nicht begreifen. Wie sieht ihr Wissen denn dann erst bei komplizierten Themen aus, bei den Renten, Neuverschuldung, Steuergerechtigkeit oder Umweltschutz?

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12 Ergänzungen

  1. Das Hauptproblem scheint ja auch eher zu sein, dass man Politik der Politik willen macht, wie man das halt immer so gemacht hat, wobei die eigentliche Beschäftigung mit dem Problem wohl eher zweitrangig ist. Das sieht man natürlich bei den Netzsperren, aber auch beim Paintballverbot.

    Hier geht es also mehr um Gesten und es wird in der Tat die Zukunft zeigen, wohin das führt. Im Moment scheinen die Wähler das ja noch zu schlucken, aber es bleibt ja die Hoffnung, dass sich durch das Internet ein bisschen mehr Aufklärung betreiben lässt.

    Die Frage ist also: Werden sich Parteien weiterentwickeln (denn Ideologien bringen uns ja wahrscheinlich auch nicht wirklich weiter) oder .. ja was oder?

  2. Die Frage ist immer noch ob die einschlägigen Politiker das Internet und die Argumente der Sperrgegner nicht kapieren oder nicht kapieren wollen.

    Ich finde gerade in der Netzgemeinde wird noch viel zu oft der Fehler begangen, denen da oben zu unterstellen dass sie die Sachverhalte nicht begreifen. Leute, die sind nicht dumm, sonst hätten sie nicht diesen Job bekommen!

    „Lieber heimlich schlau als unheimlich doof“

    Wieviel tatsächliches Verständnis vorhanden ist zeigt der Gesetzentwurf der Mittwoch zur ersten Lesung kam. Dahinter steht meiner Meinung nach sehr viel Kalkül und Vorausplanung, während ein gehöriger Teil der Gegenargumentation immer noch nicht weiter als bis zur eigenen Nasenspitze denkt.

    Wenn sich das nicht bald ändert, haben wir noch weniger Chancen als ohnehin schon.

  3. Und auch wenn die Adeligen von der Leyen und zu Guttemberg es noch immer nicht begreifen können oder wollen: die Unterschriftskampagne ist ein Erfolg und zeigt mehr als deutlich, wie weit sich Politik und “wahres” Leben voneinander entfernt haben. Wenn man sich die massenhaft vorhandenen Artikel zum Thema ansieht, bekommt man wirklich den Eindruck, dass Politiker per se denkbefreit und lernresistent sein müssen, um ihren Beruf auszuüben. Solch Ignoranz, Arroganz und Unwissenheit in der von denen vielgepriesenen freien Wirtschaft würde eine fristlose Entlassung ermöglichen. Jeder Arbeitsrichter würde der Begründung, dass die Entlassung wegen Vorsatz erfolgte, zustimmen.

  4. Es wird allmählich Zeit, daß die Leute sich die wichtigen Fragen stellen WAS GENAU die Herrschaften da eigentlich tun und WOFÜR wir sie eigentlich angeblich brauchen.

    Ich glaube die Antworten auf diese beiden Fragen gehen denen langsam aus und sie fürchten den Tag an dem sie ohne dastehen. Das System dient nur sich selbst und das ist das Hauptproblem, da gehts nicht mehr um Politik.

  5. Das System dient nur sich selbst und das ist das Hauptproblem, da gehts nicht mehr um Politik.

    Kannst du das belegen? Und wo würde ein Staat mit über 80 Millionen Bürger sich befinden, ohne eine Verwaltung und Führung?

    Demokratie bzw. Führung ist okay, solange an der Spitze keine machtgeilen Menschen stehen, die nur in ihrem eigenen Sinne und nicht in dem der mehrheitlichen Bevölkerung denken und handeln.

    Übrigens ein Problem das wahrscheinlich schon mehrere tausend Jahre alt ist.

  6. Zur Überschrift: Mir scheint, das Grundproblem liegt darin, dass die Schnittmenge zwischen traditionellen CDU-Wählern und „Digital Natives“ (sofern man diesen Term überhaupt akzeptiert) schon seit jeher – auch ohne „Internetsperren“ – marginal war. Zu „vergraulen“ gibt es bei dieser Zielgruppe für die CDU insofern nicht mehr viel …

    1. Sehe ich auch so, Christian. Ich könnte mir aber vorstellen, dass so einige Spin Doctors in der CDU das anders sehen (bzw. gerne anders sehen würden).

      Noch ein anderer Aspekt: Die CDU vergrault die Digital Natives nicht nur als ihre eigenen Wähler. Viele sind auch vom politischen System im Allgemeinen enttäuscht. Das zeigen auch gerade die Kommentare hier.

  7. Ich bin mir nicht sicher, ob das Problem nur bei der CDU zu suchen ist. Die SPD hat sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert was die Verteidigung der Bürgerrechte angeht.

    Besonders deutlich wird das zum Beispiel in der Bundestagsdebatte zu Internetzensur (die auf YouTube betrachtet werden kann): Die Argumente bei den beiden Elefanten (Union und SPD) gleichen sich und gehen nicht über „wir wollen was gegen Kinderpornographie tun und wer mit unserer Methode aus welchen Gründen auch immer nicht einverstanden ist, verteidigt Kinderpornographie“ hinaus.

    Die Opposition hat einige aushaltbare Redebeiträge zu bieten, in denen die meisten Gegenargumente (leider nicht besonders eloquent und auch nicht deutlich genug) genannt werden.

    Was fehlt, ist die Konfrontation der Befürworter mit dem Umstand, dass bei Weitem die meisten Experten von dem Gesetz abraten: IT-Fachleute sagen, dass die Sperren wirkungslos sind, da sie sich nachweislich innerhalb von 30 Sekunden umgehen lassen. Ermittler und Kenner der Kinderporno-Szene sagen, dass die Sperren das Ziel verfehlen, da nur ein (schrumpfender) Bruchteil des Materials über Webseiten verbreitet wird, weil dieser Verbreitungsweg schon jetzt zu unsicher ist. Juristen und insbesondere Verfassungsrechtler melden schwere Bedenken an was die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz angeht.

    Diese Punkte werden zwar alle erwähnt, aber niemand spricht mal deutlich aus, wie es denn sein kann, dass sich ein Kabinett, das im Wesentlichen aus Laien besteht, konsequent über ihre Expertenmeinungen hinwegsetzen und ohne Begründung das Gegenteil behaupten kann.

  8. Selbst wenn sich die Argumente von CDU und SPD in dieser Frage zur Zeit ähneln mögen, bleibt doch ein Unterschied: Die CDU-Basis dürfte die Sperren wohl selbst dann noch verteidigen, wenn sie deren technischen Hintergründe verstünde – aus Grundüberzeugung eben.

    Wenn dagegen an der SPD-Basis einige diese Sperren gutheißen, scheint mir das weniger böser Wille, als vielmehr mangelndes technisches Verständnis zu sein. Ich glaube, dass es in den SPD-Ortsvereinen viele ältere, durchaus engagierte und kritisch denkende Menschen gibt, deren Alltag sich einfach wenig im Netz abspielt und die tatsächlich glauben, diese Sperren leisteten einen Beitrag im Kampf gegen Kinderpornographie.

    Daran wird im Grunde auch das Dilemma deutlich, an dem die „Digital Natives“ Mitschuld tragen: E-Mails an Abgeordnete und ePetitionen sind sicherlich honorige Aktionen. Wer aber tatsächlich etwas verändern will, darf nicht nur im Netz verweilen. Er muss über den Bildschirmrand hinausschauen zu Menschen, die noch überhaupt nicht über das Netz kommunizieren. Denn Mehrheiten außerhalb unserer Altersgruppe gewinnt man in Deutschland nicht im Netz, sondern – um es einmal zuzuspitzen – immer noch in den Altersheimen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.