Während des vom Goethe-Institut in Nowosibirsk organisierten Deutsch-Russischen Blogger-Treffens bekam ich einen guten Überblick über die russischen Blogosphäre. Bisher kannte ich ich dort gar nicht aus. Dabei wurden Parallelen und Unterschiedlichkeiten zur deutschen Blogosphäre sichtbar.
Aber erstmal die Parallelen. Theoretisch soll es sieben Millionen Blogs geben. Man geht aber von eine Millionen aktiven Blogs aus. Es gibt leider keine genauen Zahlen für Deutschland, aber 500.000 aktive Blogs könnten es schon sein. Umgerechnet auf die Bevölkerung von rund 160 Millionen Russen und 80 Millionen Deutschen sind die Blogosphären ähnlich groß. Trotzdem ist die deutsche Blogosphäre noch hinter Russland, weil die Internetdurchdringung hier viel fortgeschrittener ist. Bei uns ist Breitband zuhause der Standard, in Russland bloggen viele aus dem Büro oder der Uni. Oder Mobil, was wohl auch in abgelegenen Ecken mitten in der Natur klappt.
Eine weitere Gemeinsamkeit sind die „sprachlichen Inseln“. Wer auf russisch bloggt, nutzt den kyrillischen Schriftsatz. Der ist für mich ähnlich (un)lesbar wie Chinesisch. Ausserhalb Russland werden Blogs daher nur von Kennern der Sprache gelesen. Ähnlich verhält es sich zur deutschen Blogosphäre. Wir haben zwar noch Teile der Schweiz, Österreich und angrenzende Länder wie die Niederlande und Belgien, wo (mitunter) Deutsch gelesen werden kann. Aber in den USA liest man in der Regel keine deutschsprachigen Blogs.
Die meisten Blogger in Russland nutzen Blogs zur interpersonellen Kommunikation und als Filter für Sachen, die einen selbst interessieren: Fundstücke im Netz und eine Art Tagebuch. Das dürfte in der breiten Masse in Deutschland nicht viel anders sein. Populäre russische Blogs funktionieren wohl nach dem Muster „gestohlene Fotos, alte Witze, Provokationen und andere Dinge“ (Zitat von metkere.com nach Google-Translate).
Wobei wir aber schon bei den Unterschieden angekommen sind. Thematische Blogs scheint es in der russischen Blogosphäre weniger zu geben als in Deutschland. Diskussionen über Werbung laufen ähnlich ab. Wobei in Russland die Plattform Livejournal.com die gängige Plattform ist. Diese wurde 2000 gegründet und irgendwann in den letzten Jahren von einer russischen Firma übernommen. Vermutlich ist Livejournal in Russland so populär, weil man dort früh mit dem kyrillischen Schriftsatz bloggen konnte. Die Plattform dominiert auch die russische Blogosphäre. In letzter Zeit beschweren sich russische Nutzer über zu viel Werbung in dem kostenlosen Angebot. Ein Problem jeder Community, die erstmal mit wenig Werbung anfängt, aber irgendwann den Dienst monetarisieren will. In Deutschland konnte sich keine kommerzielle Blog-Plattform richtig durchsetzen, hier ist der Markt auf viele Player verteilt. Zumal in der Regel die bekannteren Blogs mit freier Software wie WordPress auf dem eigenen Server betrieben werden. Livejournal funktioniert mit einer Mischung aus Social-Network und Blog. Man kann sich „befreunden“, private Nachrichten sind innerhalb der Plattform möglich und Blogs können auch auf privat geschaltet werden, so dass nur Freunde mitlesen können. Sehr viele haben dadurch einen Livejournal-Account, auch wenn sie selbst nicht bloggen. Aber so kommt man an die Fotos und Blogs der Freunde drauf.
In Russland haben sich Blogs früh durchgesetzt, weil es prominente Beispiele gab, die diese nutzen. In Deutschland kommt es eher selten vor, dass aus Rundfunk & Fernsehen bekannte Menschen Blogs schreiben.
Journalisten nutzen gerne Blogs in Russland. In Deutschland ist das ja unter Journalisten eher verpönt. Was die russischen Blogger etwas verwunderte. Aber in Russland kann man in Blogs Sachen schreiben, die man in den Medien aufgrund der eingeschränkten Pressefreiheit nicht veröffentlichen kann. Der Begriff des „Double-Thinking“ fiel in der Diskussion mit dem Blogforscher Dr. Eugene Gorny. Damit beschrieb er das Verhalten von Journalisten, in Blogs das Gegenteil von dem zu schreiben, was man offiziell in den Massenmedien schreiben darf. Für eher kritische Äußerungen nutzt man Proxy-Server, womit wahrscheinlich auch Anonymisierungsdienste wie TOR gemeint waren.
Die meisten Blogger berichteten, dass sie die Kommentarfunktion ausgeschaltet haben oder nur auf privat geschaltete Blogs schreiben. Das wurde damit begründet, dass es wenig Diskurs-Kultur gibt und in Blogs viel rumgepöbelt wird. Was man in Deutschland auch manchmal hat, aber in der Regel gibt es hier eher eine produktive Diskurs-Kultur. Eugene Gorny beschrieb es als Problem der „negativen Identität“ der russischen Blogger. Viele schreiben Beiträge, um andere auf eigene Kosten zu beleidigen. Kennt man auch aus Deutschland, ist aber zum Glück nicht die Regel (Die üblichen Verdächtigen bestätigen die Regel).
Man könnte noch viel mehr schreiben, aber ich mach lieber nochmal ein gesondertes Interview per Mail zu dem Thema „Blogs in Russland“. Hatte leider mein Aufnahmegerät in Berlin vergessen.
Weitere Berichte über den Nowosibirski-Trip finden sich bei Markus von Text&Blog, im Equiliriumblog von Stefan, im Goethe-Sibirien-Blog und auf russisch bei Nikitas, Kristina, Eugene, Anna und Metkere.
Ansonsten hab ich meinen Spass mit Google-Translate. Aber das wird hoffentlich in den nächsten Jahrzehnten noch besser mit den digitalen Übersetzungen.
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