China streicht 750.000 Tote aus Umweltschutzbericht

Ein mittelaltes Sprichwort besagt: Wenn China sich erhebt, dann erzittert die Erde (Alain Peyrefitte). So oder ähnlich muss es jemandem vor dem Streichen lassen einiger Passagen in einer Studie der Weltbank in den Sinn gekommen sein, die u.a. diese Details enthalten, berichtet die FTD: „China vertuscht Umweltkatastrophe“:

In der vorgestellten Fassung fehlten die frappierendsten Ergebnisse. Danach ist die Luftverschmutzung in Chinas Städten jedes Jahr für den vorzeitigen Tod von 350.000 bis 400.000 Menschen verantwortlich. Darüber hinaus sterben rund 300.000 Menschen jährlich an den Folgen von schlechter Luft in geschlossenen Räumen. Etwas mehr als 60.000 Todesfälle wurden auf schlechte Wasserqualität vor allem auf dem Land zurückgeführt, die Durchfall und Krebserkrankungen verursacht.

Die Fassung die uns vorliegt, ist mit „Conference Edition“ überschrieben und über bekannte Suchmaschinen (dank des bei der FTD genannten Dateinamens) trivial zu finden. Das Cover sieht so aus:

Cover Studie Worldbank: Cost of Pollution in China. Economic Estimates of physical damages. Conference Edition. February 2007.

Die Studie enthält dieses Detail sehr wohl, auf Seite 56, mit nüchternen Zahlen u.a. unter der Überschrift „Estimating Excess Cancer Mortality“:

Taking the conservative assumption that death rates are nearly twice as high in rural than in urban China, we assumed that at least 67 percent of the approximately 102,000 under-5 diarrhea deaths occur in rural China alone. […] Approximately 484,840 deaths in rural China in 2003 due to esophageal, stomach, liver, and bladder cancers (see figure 3.7) based on a total of 62 deaths/100,000 population

Es gibt noch mehr Zahlen in dem Bericht, die sich insgesamt auf etwa die erwähnte dreiviertel Million Tote pro Jahr summieren. Krass, das entspricht der Bevölkerung von San Francisco, und das jährlich! Bleibt die Hoffnung, dass wenn die Umweltschützer sich erheben, China wirklich erzittert. Wir wissen ja, dass die umweltbewussten Chinesen diejenigen sind, die mit Technologie prima umgehen und per SMS den Bau neuer Fabriken stoppen können. Bevor aber China sich nachhaltig ändern kann müssen innere Einstellungsfragen, nunja, gelöst werden. Die FTD schreibt:

Guo Xiaomin, ein ehemaliger Mitarbeiter der chinesischen Umweltbehörde, der das chinesische Forscherteam leitete, sagte, manche Daten seien weggelassen worden, weil es Zweifel an der Methodik gegeben habe. Er sagte aber auch, dass Informationen über vorzeitige Todesfälle „Missverständnisse verursachen könnten. Wir haben diese Zahlen nicht bekannt gegeben. Wir wollten den Bericht nicht zu dick machen.“

Mit dem für die Darstellung benötigten Platz zu argumentieren ist etwa genauso haarsträubend unverforen wie die Gier des Westens, schicke und niedrigpreisige Unterhaltungselektronik aus Sklavenarbeit zu beziehen. Der Westen trägt eine offenkundige Mitschuld an diesen Toten. Aber auch China sollte begreifen, dass Formen des Staatskapitalismus nicht für einen einzigen des Fünftels der jährlich an Umweltschäden sterbenden Menschen eine Rechtfertigung sein können. Die Kosten dafür sind nicht zu hoch, sondern unbezifferbar.

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