Berliner ProjektSurfen hinter Gittern

In den Berliner Justizvollzugsanstalten erhalten die Inhaftierten künftig Geräte, die ihnen Zugang zum Internet ermöglichen. Viele Online-Dienste können sie jedoch nur gegen Bezahlung nutzen, zu etlichen bleibt ihnen der Zugang gänzlich verwehrt. Der Berliner Vollzugsbeirat begrüßt das Projekt dennoch.

Ein Computer hinter Gittern.
So stellt sich die „Künstliche Intelligenz“ einen PC hinter Gitter vor – Motiv: DALL-E-2 (a personal computer behind in jail, digital art, highly detailed)

Wer hierzulande im Gefängnis sitzt, verfügt in der Regel über keinen legalen Zugang zum Internet. Zumindest in den insgesamt sechs Justizvollzugsanstalten (JVAs) Berlins soll sich das nun ändern. Bis Oktober 2023 erhalten die dort Inhaftierten in der eigenen Zelle ein Gerät mit Internetzugang. Das sogenannte Haftraummediensystem ermöglicht es ihnen dann, ausgewählte Internetseiten abzurufen und E-Mails zu verschicken.

Der Entscheidung ist eine dreijährige Testphase in der JVA Heidering südlich von Berlin-Marienfelde vorausgegangen. Dort wurde der Internetzugang zwischen 2018 und 2021 unter wissenschaftlicher Begleitung vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme eingeführt.

Hinter dem Vorhaben steht der Gedanke des Angleichungsgrundsatzes, wie Olaf Heischel, Anwalt und Vorstandsvorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, gegenüber netzpolitik.org erklärte: „Das Leben in den Haftanstalten soll dem Leben außerhalb so weit wie möglich angeglichen werden.“ Auch Berlins Justizsenatorin Lena Kreck begrüßte das Vorhaben. Aus ihrer Sicht werde das Projekt mit dem Titel „Resozialisierung durch Digitalisierung“ inhaftierten Personen die schrittweise Eingliederung in die Gesellschaft erleichtern. Kreck betonte, dass sich sowohl aus dem Grundgesetz als auch aus der Berliner Landesverfassung ein Grundrecht auf Resozialisierung ableite.

Inhaftierte müssen Kosten übernehmen

Bei dem Haftraummediensystem handelt es sich um ein digitales Endgerät, das aus einem Touchscreen und einer Kabel-Fernbedienung besteht. Anders als bei einem herkömmlichen PC ist auf dem System kein Browser installiert, der das Surfen im Netz uneingeschränkt ermöglicht. Stattdessen steht den Inhaftierten kostenfrei lediglich ein Basis-Paket an Diensten zur Verfügung. Es beinhaltet einen Zugang zum digitalen Antragssystem der Justiz sowie zu ausgewählten Spielen wie Angry Birds, Sudoku oder Solitaire. Außerdem können die Gefangenen eine Auswahl an Internetseiten aufrufen, darunter Nachrichtenseiten und die Online-Bücherei der Zentral- und Landesbibliothek Berlins.

Soziale Medien und Videoplattformen wie YouTube dürfen die Gefangenen grundsätzlich nicht verwenden. Diese Beschränkung soll vermeiden, dass sie sicherheitsrelevante Informationen nach außen kommunizieren. Von einem freien Internetzugang kann also nicht die Rede sein – es handelt sich vielmehr um „betreutes Surfen“, wie es tagesschau.de treffend formuliert.

Um darüber hinaus Telefon, Videochat, Fernsehen, Radio, E-Mails, Office-Programme und Computerspiele nutzen zu dürfen, müssen die Gefangenen einen Vertrag mit der Betreiberin des Haftraummediensystems, der Telio Communications GmbH, abschließen. Sie können die Firma entweder einmalig für bestimmte Dienste oder in Form eines Abonnements bezahlen.

Surfen beim Monopolisten

Bei der Telio Communications GmbH handelt es sich um eine Firma, die sich auf Gefängniskommunikation spezialisiert hat und dafür – mit Ausnahme Bayerns – in allen Bundesländern die Technik stellt. Wie eine Recherche von netzpolitik.org aus dem Jahr 2020 ergab, wälzt Telio die Kosten für Installation und Wartung der Technik auf die Gefangenen ab. Zudem war das Unternehmen in den vergangenen Jahren mehrmals gemaßregelt worden, weil seine Preise über dem durchschnittlichen Marktpreis lagen. Dessen ungeachtet hat Telio im vergangenen Jahr die Ausschreibung der Berliner Senatsjustizverwaltung für das Haftraummediensystem gewonnen.

Den Berliner Vollzugsbeirat bereitet das keine Sorgen. „Wir sind uns ziemlich sicher, dass die Preise vertretbar sein werden beziehungsweise von Gefangenen getragen werden können. Das liegt ja auch im Interesse der Justizverwaltung“, so Olaf Heischel gegenüber netzpolitik.org. Dennoch müsse man Telio gegenüber skeptisch bleiben, sagt der Jurist. Die Firma sei inzwischen ein Quasi-Monopolist, lediglich zwei ausländische Anbieter könnten ihr derzeit überhaupt noch Konkurrenz machen. Die Kosten für ein Telefonat liegen nach Aussage der Verwaltung bei 3 Cent, Videotelefonie gar bei 20 Cent pro Minute. Der durchschnittliche Stundenlohn in deutschen Gefängnissen liegt zwischen einem und drei Euro.

Fortschritt für Gefangene

Das neue System sei für Gefängnisinsassen ein Fortschritt, sagt Heischel: „Individuelle Internetzugänge für Gefangene gab es bislang nicht, höchstens die illegalen über Smartphones.“ In vielen Anstalten können Gefangene derzeit nur auf den Fluren telefonieren. Nun ist das in den eigenen vier Zellwänden möglich – auch wenn damit noch immer keine vollumfängliche Privatsphäre gewährleistet sei, da jedwede Kommunikation der Inhaftierten überwacht werden darf.

Heischel rechnet damit, dass die Gefangenen das System begrüßen werden. Das habe nicht nur das Pilotprojekt in der JVA Heidering gezeigt, sondern auch die Erfahrungen in dem Frauengefängnis in Berlin-Lichtenberg, wo ein Teil des Systems bereits vorab eingeführt wurde. Dort habe es auch Beschwerden gegeben, als das Haftraummediensysteme wiederholt nur mit Verzögerung repariert worden sei. In solchen Fällen müsse man „dann hoffen, dass die Verträge genug hergeben, um den Betreibern auf die Finger zu klopfen“, so Heischel. Die Verträge zwischen der Telio Communications GmbH und der Berliner Senatsjustizverwaltung hat golem.de durch eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten und veröffentlicht.

Das Berliner Projekt strahlt schon jetzt auf andere Bundesländer aus. Baden-Württemberg plant ein ähnliches Pilotprojekt – „natürlich mit entsprechenden Einschränkungen“, wie der rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Arnulf Freiherr von Eyb, betont.

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3 Ergänzungen

  1. Hallo,

    dazu hätte ich mir eine gesellschaftliche Diskussion vorab gewünscht. Wir reden hier über Menschen, die durch Ihr Verhalten bewusst von der Gesellschaft isoliert worden sind, um über Ihr Verhalten nachzudenken, nicht um sich zu unterhalten.

  2. Vorgaben des Anbieters der elis-Lernplattform, dem IBI — Institut für Bildung in der
    Informationsgesellschaft, werden folgende Anforderungen gestellt:
    […]
    _ Als Browser muss aktuell Firefox verwendet werden, ein Umstieg auf Microsoft Edge ist
    in Prüfung

    Wäre ein großer Fehler den Edge vorzuschreiben. Besser wäre es die Engine/Browserart vorzuschreiben, damit die Browser für die individuellen Wünsche angepasst werden können. Das kann man aber nicht mit Edge, aber z.B. mit Firefox/Chromium basierten browsern.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.