Wahlen in Kanada: Ein Wettlauf um die schlechteste Geheimdienstkontrolle?

Demonstration gegen das c-51-Gesetz by Laurel L. Russwurm flickr

Bei den gestrigen Parlamentswahlen in Kanada erreichte die Liberal Party von Justin Trudeau die absolute Mehrheit. Die Konservativen unter dem noch amtierenden Premierminister Stephen Harper wurden damit abgewählt. Im Wahlkampf spielte das unter Harper verabschiedete Überwachungsgesetz C-51 eine große Rolle. Dieses im Juni verabschiedete Gesetzespaket stellte die umfassendste Erweiterung der Befugnisse von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden seit 2001 dar.

Das Gesetz löste bei seiner Einführung landesweiten Protest von Zivilgesellschaft und Verbänden aus. In die Debatte darum brachte sich im März dieses Jahres auch Edward Snowden ein. Nach dessen Einschätzung besitzt Kanada – als Teil des Five-Eyes-Netzwerks – die schwächste Geheimdienstaufsicht der westlichen Welt. Ob Kanada tatsächlich dieses Negativ-Ranking gegenüber Großbritannien für sich entscheidet, scheint allerdings fraglich.

Die Liberal Party von Wahlsieger Trudeau hatte dem Gesetz im Parlament zugestimmt, obwohl führende Verfassungsrechtler es scharf kritisiert hatten. Zuletzt hatte Parteichef Trudeau sich selbst nicht festlegen wollte, ob C-51 als verfassungskonform einzuschätzen sei. Er versprach jedoch im Falle eines Wahlsieges, die Aufsichts- und Kontrollmechanismen zu verbessern.

Thomas Mulclair, von der drittplatzierten linken NDP, hatte angekündigt, die Geheimdienstbefugnisse wieder stark einzuschränken, sollte er Premierminister werden. Kurzzeitig waren ihm gute Chancen eingeräumt worden, als die NDP in Meinungsumfragen vor Konservativen und Liberal Party lag. Aufgrund des kanadischen Mehrheitswahlsystems hatten sie jedoch nur 44 der 338 Sitze im Unterhaus erhalten.

Das im Juni beschlossene Überwachungspaket stattet insbesondere den kanadischen Geheimdienst CSIS mit weitreichenden Befugnissen aus. Die Grundlage dafür ist eine äußerst allgemein gehaltene Definition von „Gefahrenabwehr“. Der Geheimdienst soll hierdurch nicht mehr nur Nachrichtengewinnung und Verarbeitung betreiben, sondern Gefahren proaktiv bekämpfen. Alex Neve von Amnesty International Canada hatte die Befugnisse und Neuerungen des Gesetzes im Vorfeld scharf kritisiert:

  • CSIS threat reduction powers violate international human rights law;
  • CSIS threat reduction powers draw judges into human rights violations;
  • CSIS threat reduction powers show contempt for foreign law;
  • exempting only „lawful“ demonstrations from new definitions of threats to the security of Canada is an assault on edgy, agitated, meaningful protests by Indigenous peoples, environmental groups, the labour movement and others;
  • the new criminal offence of promoting terrorism “in general” will violate and chill free expression in ways we will likely never be able to measure;
  • the new information-sharing regime learns no lessons from the past and ignores judicial inquiries that have documented the human rights toll, including torture, of sharing irrelevant, inaccurate and inflammatory information;
  • expanded arrest powers that allow individuals to be held for up to seven days without being charged, violate international standards;
  • a new no-fly list appeal process is next to meaningless as it denies individuals access to the bulk of the information being used to keep them from boarding flights;
  • Vergleichbare Befürchtungen hatte der kanadische Datenschutzbeauftragte Daniel Therrien über das Gesetz geäußert. Ebenso äußerte sich auch sein Mitarbeiter Steven Johnston bei einem Workshop vergangene Woche in Berlin. Er kritisierte dort, dass die Regierungen und Geheimdienste vieler Länder, keine stichhaltigen Informationen und Begründungen für die Ausweitung ihrer Befugnisse hätten. Bei der Einführung des C-51-Gesetzes hatten auch kanadische Behörden keine Rechenschaft über die Effektivität bereits bestehender Überwachungsmaßnahmen ablegen müssten.

    Eine Kontrolle von geheimdienstlicher Arbeit findet Johnston zufolge in Kanada stets im Nachhinein statt. Diese wird durch ein formal unabhängiges Gremium, das Security Intelligence Review Committee, ausgeübt. Doch dessen Ausstattung an Mitarbeitern und Ressourcen gelten schon seit langem als unzureichend für ihre Aufgabe. Die Geheimdienstaufsicht komme daher regelmäßig zu dem beunruhigendem Urteil, „ schlichtweg nicht genügend Beweise zu haben, dass etwas Unrechtmäßiges vor sich geht“, so Johnston. Welche konkreten Verbesserungen von der neuen Regierung unter Trudeau zu erwarten sind, bleibt abzuwarten.

    Jedoch dürften auch die Verlierer der gestrigen Parlamentswahl einen besonderen Grund zur Freude haben. Auf Grundlage des 2014 verabschiedeten Fair Election Act haben alle Parteien nun Zugang zu einer elektronischen Liste von allen BürgerInnen, samt Adressen, die an den Wahlen teilgenommen haben. Indem sie diese Listen mit parteiintern generierten Informationen verknüpfen, könnten sie so wertvolle Hinweise über ihre Wählerklientel gewinnen.

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    5 Ergänzungen

    1. Lese und verstehe ich den letzten Absatz richtig? Es gibt also kein Wahlgeheimnis für die Parteibonzen? Wie geil ist das denn? Da kann man ja gleich mit Marketingberatern und Facebook Analysten daherkommen und sich eine maßgeschneiderte Wahlkampagne einrichten, die auf die Wünsche und Bedürfnisse vieler Schafe eingeht und sie nach der Wahl zum Fenster rauswirft. Wie geil!

      1. Dann kommt der Politologe daher und labert was von “The protection of our data is … of paramount importance to us.” (… steht wohl für mit Ausnahme von CP, Terrorism und Copyright violations) und die ganzen Script Kiddies und Exploiter lachen sich tot. Wer stellt denn die IT für die Kanadier? Wohl sicher eine Firma die sich einen „Bundestagshack“ nicht bieten lassen würde. Hoffe ich doch zumindest für die Kanadier.

      2. Es wird dort natürlich nicht übermittelt wen Du wählst. Die Liste beinhaltet nur all Jene, die überhaupt zur Wahl gegangen sind. Aber natürlich lässt sich argumentieren, dass die Entscheidung von der Wahl fernzubleiben, auch Teil des schützenswerten Wahlgeheimnisses sein sollte.

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