Spiegel-Online hat einen ausführlichen Artikel zur „Zukunft von Wikipedia“: Lustverlust in der Lexikon-Maschine. Darin wrid die aktuelle Diskussion der Relevanzkriterien zwischen Inkludisten und Exkludisten anschaulich wieder gegeben.
Im Grunde handelt es sich um ein historisch einmaliges Experiment der Sozialtechnik: Braucht ein Gemeinschaftsunternehmen dieser Größe in Zukunft immer noch mehr Regeln, Prüfsiegel und Zugangskontrollen? Dann droht fundamentalistischer Starrkrampf. Oder muss man die Wikipedia in das Abenteuer der Selbstregulation entlassen, für die das Internet im Ganzen das beste Vorbild liefert? Sicher ist nur: Der Mittelweg wird immer schwerer.
Der Link führt anscheinend zur Druckversion des Artikels. Für „Nicht-Internetausdrucker“ *fg* müsste es http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,664195,00.html sein…
LG,
Pats
@pats: Stimmt. Dafür muss man dann auch nicht mehr so oft weiter klicken und Werbung laden.
Die entscheidende Stelle wurde im Beitrag leider nur kurz angerissen:
„Unstrittig ist, dass der harte Kern der Aktiven seit drei Jahren nicht mehr wächst. Bei der deutschen Wikipedia sind das um die tausend Leute, überwiegend Männer.“
Die Wikipedia-Community rekrutiert sich aus einem Stamm an langjährig aktiven Personen, die sich auch offline treffen, z.T. in einem Verein organisieren, sich in eine innerwikipedianische Sozialstruktur und Hierarchie integriert und ein starken Corpsgeist entwickelt haben.
Diese Leute befinden weniger nach inhaltlichen Gesichtspunkten, „was Wikipedia ist“, als vielmehr nach gruppendynamischen Einflüssen, was im Extremfall sogar Konspiration und Mobbing einschließt.
Wikipedia ist damit nicht mehr eine Plattform für kollektives Wissen „der Vielen“, sondern eine riesige (zerstrittene) Redaktion, die sich aus Leuten rekrutiert, die Spaß an schlechtem Betriebsklima, Löschdiskussionen und ähnlichem haben und in einer Art Second Life einen virtuellen sozialen Status suchen.
Die gegenwärtige Wikipedia hat ein Raster geschaffen, in dem eben tendenziell diese Leute hängen bleiben, während wissenschaftlich orientierte Autoren ohne politischen Kampfgeist keine Chance haben. Diese Leute schreiben für Ihresgleichen, nicht aber für die täglichen Nutzer, die statt philologischer Enzyklopädistik praktikable Information mit Alltagsnutzwert suchen.
Die aktuelle Inklusionisten/Exklusionisten-Debatte ist nur eine Facette dieses closed shop-Problems. Der eigentliche Missstand sind die verkrusteten Strukturen und die diesbezügliche Realitätsverweigerung der Funktionäre des Wikipedia-Establishments, das definitiv überfordert erscheint und statt Problembewusstsein auf Marginalisierung und Abwehr geschaltet hat.
Ein Wiki, in dem urheberische Leistungen nicht grundsätzlich respektiert werden, stillschweigend die Integration in gruppendynamische Strukturen fordert und in dem Admins nach Gutsherrenart willkürlich Artikel und Nutzer sperren, ist für Autoren, die sich ein Minimum an Selbstachtung bewahrt haben, nicht attraktiv.
@RA Kompa: Meine nicht, daß die WP derzeit „eine riesige (zerstrittene) Redaktion, die sich aus Leuten rekrutiert, die Spaß an schlechtem Betriebsklima, Löschdiskussionen und ähnlichem haben und in einer Art Second Life einen virtuellen sozialen Status suchen.“
Habe keine Veränderung des Betriebsklimas bemerkt.
Dem Wachstum sind grundsätzlich Grenzen gesetzt, sowohl was die Zahl der Artikel angeht als auch bei der Zahl der Mitarbeiter. Irgendwann hat halt jeder mal seinen Account. Und ich sichte immer noch viele Edits von IPs, die meistens genauso gut oder schlecht sind wie diejenigen der angemeldeten Benutzer.
Natürlich ist in allen Online-Projekten viel Bewegung drin. Und die WP zeigt derzeit vor allem, daß sie mit der Krise, in der sie steckt, nicht allzu kompetent umgehen kann, weder der Verein noch die Community.
Entscheidend ist aber, daß die Inhalte, die in der WP zusammengetragen worden sind, nicht verlorengehen werden, denn sie stehen unter einer freien Lizenz. Und ohne WP wäre „das Internet“ doch auch entschieden weniger spannend, nicht wahr?
@ Jürgen:
Der größte Teil an nicht genehmen Leuten, mit denen man sich streiten könnte, ist ja schon weg. Da haben sich u.a. in den Heise-Foren jede Menge Leute in den letzten Wochen Luft drüber gemacht.
Unter http://de.wikipedia.org/wiki/Spezial:Statistik sieht man:
879.803 angemeldete Benutzer
24.456 aktive Benutzer (mind. 1 Edit/30 Tage).
Das ist ein beachtlicher Schwund.
Mit Sicherheit gibt es viele gute Leute, die zur Wikipedia beitragen würden, wenn man sie denn ließe.
@5: Wieso sollte ich zur Wikipedia beitragen?
Ich bin hochausgebildeter Spezialist in meinem Fachgebiet und finde in der Wikipedia immer mal wieder gravierende Fehler und Auslassungen. Bei mir läuft ein privater Fork auf dem Desktop, da passe ich die Artikel an, führe für mich nach, ergänze. Mediawiki Software ist dafür genial gut geeignet, zur Gehirnerweiterung wie als Notizbuch – und erweiterbar für eigene Zwecke ist es allemal.
Meine Inhalte würde ich auch mit Dritten teilen, aber nicht um den Preis, auch noch kostenlosen Fernunterricht für Anfänger abhalten zu müssen, die meine Korrekturen nicht „abnehmen“ wollen und mal flink ein „undo“ machen, weil ihnen meine Änderung nicht korrekt erscheint.
Also eben nicht.