3. Kurzstudie: Politik im Web 2.0

Seit vergangenen Sommer analysieren wir bei newthinking communications alle drei Monate das Engagement der Parteien, Spitzenpolitiker und ihrer Jugendorganisationen im sozialen Netz. Hier ist nun die dritte Kurzstudie „Politik im Web 2.0 – Zwischen Strategie und Experiment“ (PDF / 780 KB).

Und hier ist die Zusammenfassung der Ergebnisse:

Ausgangssituation

Die Parteien arbeiten an ihren Strategien für den Bundestagswahlkampf 2009. Welche Rolle wird das Internet dabei spielen? Welche Plattformen werden genutzt und durch wen?

Methodik

Untersucht wurde die Präsenz von Parteien, Jugendorganisationen sowie Spitzenpolitikern der Parteien und Jugendorganisationen in den in Deutschland relevantesten Social Networks (StudiVZ, XING, MySpace, Facebook) sowie auf YouTube und Twitter. In der dritten Ausgabe (Dezember 2008/Januar 2009) finden sich erste Tendenzen, welche Plattformen wahlkampfrelevant werden könnten – und welche nicht. Ergänzend wurde die Popularität von Parteien, Politikern und Jugendorganisationen bei den Blogsuchmaschinen Technorati und Google Blogsearch unter die Lupe genommen.

Key Findings

  • Die Aktivitäten der deutschen Parteien und Spitzenpolitiker im Social Web nehmen leicht zu.
  • Die Zahlen spiegeln deutliche Tendenzen zur Wahlkampftauglichkeit verschiedener Social Media-Phänomene wieder. So ist zum einen die Rolle von Facebook als wahrscheinliche Leitplattform für den Onlinewahlkampf trotz nach wie vor überschaubarer deutscher Nutzerzahlen absehbar, zum anderen der Wille der Parteien zur Nutzung von YouTube unübersehbar.
  • Der Microblogging-Dienst Twitter wird von den Parteien bisher kaum genutzt. Alleine die Grünen haben mit @Die_Gruenen einen eigenen Twitter-Kanal und kommen mittlerweile auf 1375 „Follower“. Bei den Liberalen twittert die FDP-Fraktion unter @FDP_Fraktion. Dort gibt es wenig Interaktion und mit 254 auch deutlich wenig „Follower“. Bei den anderen Parteien ist damit zu rechnen, dass offizielle Twitter-Kanäle in den nächsten Monaten gestartet werden.
  • MySpace ist weiterhin Terra Incognita – hier ist keinerlei Bewegung zu verzeichnen; der insgesamt nicht wesentlich wachstumsträchtige Service scheint für die Parteien kein attraktives Umfeld zu sein.
  • Im aktuellen Landtagswahlkampf in Hessen und im Ausblick auf die kommende Europawahl ist ein Trend klar erkennbar: Jeder halbwegs motivierte Kandidat in einem der kommenden Wahlkämpfe wird einen Account bei Facebook und Twitter haben und gelegentlich bei YouTube ins Internet sprechen. Einige werden sich davon absetzen, indem sie die Werkzeuge dialog-orientierter nutzen als ihre Konkurrenten und auch nach einer Wahl damit nicht aufhören.
  • Für die dritte Kurzstudie haben wir die aktuellen Technorati-Verlinkungszahlen der Partei-Domains mit den Werten aus Juni 2008 verglichen. Alle Parteien haben (teilweise deutlich) an Verlinkungen verloren. SPD.de wird mit 1382 Verweisen immer noch am Besten verlinkt. Im Juni 2008 waren es allerdings noch 2206 Verweise. Knapp hinter SPD.de kommt CDU.de mit 1271 Links (Juni: 1478). Auf den Plätzen folgen gruene.de (Aktuell 674 / Juni 08: 934), die-linke.de (616 / 745) , liberale.de (277 / 328) / fdp.de (157 / 185) und csu.de (200 / 349).
  • Fazit und Ausblick

    Langsam glaubt man strategische Entscheidungen der sich einrichtenden Wahlkampfzentralen erahnen zu können. Doch weiterhin bleibt die Frage nach Grassroots-Campaigning, nach guten Ideen und guten Umsetzungen unbeantwortet. Noch ist nicht klar ersichtlich, ob und wenn ja welche Rolle die Parteien und Spitzenpolitiker dem Internet im Wahljahr 2009 zugedacht haben.

    Die Ungleichgewichte der verschiedenen Plattformen, die Abstinenz der Spitzen aus den meisten verfügbaren Services, die zunehmende Präsenz der zweiten Reihen (in der nächsten Ausgabe werden evtl. zusätzliche Daten zum Europawahlkampf erhoben, einige der Spitzenpolitiker der Europakampagnen erweisen sich bereits jetzt als äußerst internetzugewandt), die noch unklaren inhaltlichen wie parteistrategischen Ausrichtungen – sicherlich auch der spezifisch unsicheren Konstellation des weitgehend offenen, multioptionalen Möchtegernlagerwahlkampfs geschuldet – schlagen sich auch auf die Internetaktivitäten nieder.

    Spannend ist die Frage, wie weit sich ein Wahlkampf jenseits der Parteizentralen im Internet entwickelt – von Mitgliedern und Sympathisanten und vielleicht auch ohne die Zustimmung der taktierenden Apparate, die jeden Schritt sorgsam abwägen.

    Insgesamt ist eine Zunahme an Aktivität zu konstatieren, die dem Maß an vorsichtig gesteigertem Interesse entsprechen dürfte. Zu Angela Merkels zurückhaltend sachlichem Stil passt ihr bisheriges Nichtengagement im Internet jenseits ihres Kanzlerinnen-Videopodcasts. Doch dass die SPD mit Franz Müntefering/Steinmeier zumindest bislang keinen Onlinewahlkampf macht, darf jedoch zweifelsohne als fragwürdig bezeichnet werden. Bei FDP und Bündnis 90/Die Grünen erkennt man im Moment mehr Engagement. Die Linke als Partei ist bisher fast nicht im sozialen Netz aktiv, wenn man von den Aktivitäten der Linksfraktion absieht.

    Vergangene Ausgaben der Kurz-Studie:

    1. Kurz-Studie aus dem Juni 2008
    2. Kurz-Studie aus dem Oktober 2008

    Der Datenstand wurde zwischen dem 23. und dem 29.12.2008 ermittelt.

    Update: dpa berichtet jetzt über die Ergebnisse, u.a. bei der Taz zu finden: Parteien entdecken Twitter und Facebook.

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    37 Ergänzungen

    1. Danke für die Bestandsaufnahme.
      Das wird spannend in diesem Jahr, man kann auf viele lustige und verzweifelte Experimente hoffen.

    2. Es bleibt das Gefühl, dass vieles davon aus dem Bauch heraus kommt, wenig strategisch (weder von oben noch von unten) passiert. Das ist der große Unterschied zu Obama, und ich habe Zeifel, dass sich das bis zu den Europa- oder Bundestagswahlen stark ändern wird.

      Ich beobachte seit einem halben Jahr die Aktivitäten der europäischen Parteien in Vorbereitung auf die Europawahl 2009, und auch wenn sich auf Grund der Dimension der Europawahlen das Internet besser eignet als traditionelle Formen, so ist doch der einzige echte Versuch, etwas interaktiv online zu gestalten die Manifesto-Plattform (http://manifesto2009.pes.org/) der Europäischen Sozialisten.

    3. Eulen nach Newthinking tragen oder so — aber eigentlich ist es ja gerade im Hinblick auf Wahlkampfstrategien mindestens am zweitspannendesten, was in den parteiinternen Plattformen geschieht. Ist für das nächste Update dazu was eingeplant?

      Und dann noch so ein bißchen Methoden- bzw. Darstellungskritik: sagt doch bitte bei den bunten Balken dazu, dass es sich um Gruppenmitglieder handelt (ich habe das nämlich z.B. erst gelesen als: Im Juni hatten die Grünen etwa 90 Facebook-Gruppen, jetzt sind es 570).

      Beim Vergleich der Technorati-Links: sicher, dass da nicht Technorati sein Erhebungsverfahren verändert hat? Und müssten nicht eigentlich die ganzen Links an http://www.gruene-hamburg.de, myspd.de, wir-in-bayern.de (wenn’s denn sowas gibt) usw. mitgezählt werden?

    4. @ Till: Hast Du einen Vorschlag, wie man quantitativ die parteiinternen Plattformen bewerten könnte? Ich hab leider keinen.

      Zu den Blogs hatte ich gerade einen Bundestagsmitarbeiter am Teleofn, der ähnliches fragte. Meine These für die abnahme an Links ist, dass dies auf zwei Faktoren zurück zu führen ist:

      1. Es gibt eine leichte Abwanderung von Bloggern hin zu Twitter. Dort werden mehr Links verschickt, die man früher gebloggt hätte. Ein Effekt, der nicht nur Parteiseiten trifft, sondern sich z.B. auch in den Deutschen Blogcharts bemerkbar macht.
      2. Für die Berechnung sind die letzten sechs MOnate bei Technorati eingeflossen. In der Dezemberausgabe wurden so zwei sehr schwache Sommermonate mitgezählt. In der Juni-Ausgabe haben wir hingegen sechs tradionell starke Blog-Monate gezählt.

    5. Vielen Dank für die Studie. Aber mich erreicht die politische Mischpoke nicht mehr. Da ist kein Wandel erkennbar. das gleiche Gewürge, wie die letzten Jahrzehnte. Da ändert es dann auch nichts, wenn man die egozentrischen Wahlparolen über twitter % co. verbreitet. #revolution #hoechstezeit

    6. Vielen Dank für die Studie. Hätte nie gedacht, dass die SPD den Grünen das Wasser reichen kann.

      Leider ist diese Form von ‚Engagement für die Bürger‘ recht oberflächlich (wenn man sich bei facebook o.ä. präsentiert)
      Es würde allen Parteien sicherlich gut tun eine *transparente* innerparteiliche Plattform zu realisieren.
      So dass Abstimmungen vor allem für die Mitglieder sichtbar sind und ohne aufwendigen Parteitag Entscheidungen getroffen werden können. Auch jeder normale Bürger könnte davon profitieren.

      Mit http://www.metapartei.de wollen wir den Anfang machen für eine transparente politische Plattforn …

    7. Es gibt schon eine Menge mehr Politiker die twittern, aber es steht natürlich noch am Anfang.

      Sachdienliche Hinweise nehme ich gerne unter
      http://mit140zeichen.de/deutsche-politiker-und-parteien-auf-twitter-114

      entgegen. Engagement geht über reines Anlegen eines Accounts hinaus: Die Grünen waren bisher die schnellsten, mir von zentraler Stelle dei Infos für die Liste zu geben, FDP war jemand indirektes und bei CDU und SPD warte ich bis heute noch auf Rückmeldung. ;)

    8. Mir fehlt nach wie vor das Erfolgsmodell. Vergesst Obama – diese Geschichte spielt in einem anderen Kulturkreis, in einem anderen politischen System, in einem fundamental anderen Medienmarkt.

      Weshalb sollte sich ein deutscher Politiker einen Account bei einem US-Unternehmen einrichten, das wenige Deutsche erreicht? Und selbst wenn eine dieser Plattform Leute erreicht, dann fehlen elementarste Funktionen zur Mobilisierung wie ein anständiges Forensystem oder eine Einbindung in multiple Kommunikationskanäle.

      Es gibt seit Jahren bloggende Politiker. Was hatten die davon. Und noch wichtiger: was hatten wir davon?

    9. Zu den internen Plattformen: interessant ist ja erstmal, ob es sie überhaupt gibt, und wenn ja, in welcher Form („Extranet“ oder „Mitgliedernetz“ oder …). Diese Infos rücken Parteien möglicherweise sogar heraus, zumindest wenn sie glauben, besser zu sein als die Mitbewerber. Und vielleicht im Rahmen einer Untersuchung mit starker Ressonanz — wie dieser hier — auch die Zahl der in diesen Plattformen registrierten Mitglieder (da die Mitgliederzahlen der Parteien öffentlich sind, ließe sich so leicht ein Indikator dafür bilden, ein wie großer Teil der Parteimitglieder im Netz organisiert ist).

      Käme natürlich drauf an, entweder die Infos von den jeweiligen Parteien direkt zu kriegen (mit allen Fragen der Glaubwürdigkeit), oder aber auf allen relevanten Plattformen, Systemen etc. Parteimitglieder sitzen zu haben, die was zur Nutzung etc. sagen könnten.

      (Für ’ne ausführliche Studie müsste es etwas mehr sein als das; da müsste es m.E. eher darum gehen — qualitative Fragestellung, aufwendig zu erforschen — wie interne Plattformen tatsächlich genutzt werden, wie weit sie komplementär zu anderen Kommunikationswegen laufen usw.).

      Pragmatischer Vorschlag: es gibt ja sicher noch ein paar andere Sachen, die ihr von den Parteien direkt herauskriegen wollt — wenn’s dafür eh einen Fragebogen oder ein Formular gibt, ließen sich dort die drei Fragen zu Mitgliedernetzen etc. prima zusätzlich unterbringen.

    Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.